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Dr. Dietlind Tiemann: Wirksam filtern statt frieren

Redebeitrag zum Thema Schule: Luftfilter, Digitalisierung, Förderung

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Suding, es macht ja fast Spaß, darauf zu reagieren, was Sie hier heute wieder vorgetragen haben.

(Katja Suding [FDP]: Das freut mich!)

Aber ich will mal den Teil vortragen, der aus meiner Sicht dagegengestellt werden sollte; denn wir sind ja nicht zum Spaß hier.

„Filtern statt frieren“, so titelte der Hessische Rundfunk kürzlich zu Luftfilteranlagen in Schulen. Nicht ganz so schlüssig überschrieben steht es ja in den Anträgen der FDP und der Grünen. Der Bund sollte neben Lehrerlaptops und der Einstellung von IT-Administratoren zusätzlich zu den beschlossenen stationären Filteranlagen jetzt auch mobile Filteranlagen fördern. Wenn Sie nachgeschaut haben, sehen Sie: Seit dem 20. Oktober können Mittel für stationäre Anlagen beantragt werden, unter anderem auch für Schulen, durch Länder, Kommunen und entsprechende Einrichtungen.

Wissenschaftliche Studien hätten belegt, dass die mobilen Anlagen zur Reduktion der Verbreitung des Virus beitragen und damit die Gesundheit schützen; Sie sprachen es gerade an. Sicherlich ist es so. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle schätzen wissenschaftliche Untersuchungen. Diese müssen dann aber auch für uns alle eine wissenschaftliche Expertise darstellen, die belastbar ist, ob bei der Pandemiebekämpfung oder natürlich auch bei der Verbesserung der Bildungspolitik.

Aber in den Anträgen lese ich statt der wissenschaftlichen Erkenntnisse viel politischen Aktionismus. Nehmen wir als Beispiel die Studie der Frankfurter Goethe-Universität aus dem Antrag der FDP. Dort heißt es, dass Luftfilter der Filterklasse HEPA 13 die Aerosolkonzentration in einem Klassenzimmer in einer halben Stunde um 90 Prozent senken könnten; das ist das, was Sie gerade angesprochen haben. Dieser Erkenntnis liegt aber eine Studie zugrunde, bei der das Forscherteam eine Woche lang vier Luftreiniger in einem Klassenraum mit Lehrer und 27 Schülern getestet hat. Auf der Grundlage von einer Woche und einer Klasse wurde hier eine Studie erstellt. Klingt das, was Sie hier vortragen, nach einem stabilen Fundament für politische Maßnahmen mit erheblichen finanziellen Auswirkungen?

Im zweiten Beispiel der FDP führt die Universität der Bundeswehr München aus, dass Raumluftfilter der Klasse HEPA 14 – also eine Weiterentwicklung – eine sehr sinnvolle technische Lösung darstellen – ich glaube, diejenigen unter uns, die nicht Fachleute sind, würden das auch ungesehen bestätigen –, um in Schulen die indirekte Infektionsgefahr stark zu verringern. Wer die Studie liest – ich habe es getan –, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass mobile Luftreiniger nur eine Notlösung darstellen und obendrein die Erkenntnisse nur in der Theorie vorliegen. Empfehlenswert ist laut Studie nämlich der Einbau bzw. die Aufrüstung von sogenannten raumlufttechnischen Anlagen. Dabei handelt es sich um die stationären Anlagen, die wir fördern und für die seit dem 20. Oktober Mittel beantragt werden können.

Zusätzlich fand die Studie unter Laborbedingungen statt. Kein Lehrer, kein Schüler befand sich zur Zeit der Messungen in diesem Raum. Theoretisch betrachtet geht natürlich auch vieles.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau Suding, das geht doch nicht! – Gegenruf der Abg. Katja Suding [FDP]: Mit dieser Akribie sollten Sie mal die Quadratmeterregelung angehen! Da wäre das mal sinnvoll gewesen! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, sie ist die Einzige, die die Studie gelesen hat!)

Daneben betonen die Forscher, dass Raumluftreiniger, geöffnete Fenster und raumlufttechnische Anlagen zwar geeignet sind, um das indirekte Infektionsrisiko zu reduzieren; aber das direkte Infektionsrisiko können sie natürlich nicht verringern. Da sind die angesprochenen Maßnahmen, dass eben Masken getragen werden, völlig richtig. Wir sollten auch wirklich überlegen – wir können darüber nachdenken; die Länder haben es umzusetzen –, ob das Lehrpersonal und die Verantwortlichen vielleicht mit Masken ausgestattet werden. Das ist aber nicht unsere Aufgabe.

(Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Auch hier muss ich die kritische Frage stellen: Klingt das nach einem stabilen Fundament, liebe FDP, um die Zeit hier im Plenum heute wieder damit auszufüllen, dass wir alle zu diesem Antrag Stellung nehmen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine Stunde! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Showantrag! – Katja Suding [FDP]: Es geht um das Recht von Kindern auf Bildung, Frau Tiemann!)

– Ich weiß. Bildung liegt mir sehr am Herzen, Frau Suding. Deswegen rede ich ja so gerne dazu, weil Sie da Vorlagen schaffen, die aber ein bisschen zu überarbeiten sind.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: „Ein bisschen“ ist gut! – Katja Suding [FDP]: Dann sagen Sie doch einfach mal was und machen Vorschläge, anstatt immer dagegenzureden!)

Die Leopoldina hat die vorliegenden Studien zu diesem Thema mehrfach einer kritischen Würdigung unterzogen. Das Ergebnis ist und bleibt deutlich: Die Wirksamkeit von mobilen Filteranlagen ist durch die vorhandenen Studien nicht gesichert. Im Gegenteil: Die mobilen Anlagen können sogar eine Gesundheitsgefahr darstellen, zum Beispiel wenn die Geräte falsch aufgestellt oder die Filter nicht sachgerecht bedient werden.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Die Kollegin Nicole Höchst würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

 

Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU):

Bitte.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Lassen Sie die zu?

 

Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU):

Sehr gern.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin.

 

Nicole Höchst (AfD):

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie halten Ihren eigenen Ausführungen zufolge nichts von Luftfiltertechnik in Klassenräumen.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gesagt!)

Wie stehen Sie dazu, dass Abgeordnetenbüros seit Neuestem Filtertechnik, mobile Raumluftfilter bezahlt bekommen?

(Johann Saathoff [SPD]: Sie hat doch aus wissenschaftlichen Erkenntnissen zitiert!)

 

Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU):

Kollegin Höchst, ich habe in meinen Ausführungen deutlich gemacht, dass ich das trage, was wir beschlossen haben, nämlich die seit 20. Oktober zu beantragende Förderung von Luftfilteranlagen stationärer Art, und zwar in den verschiedensten Räumlichkeiten; da geht es nicht nur um Schulen. Ich denke, es ist richtig und wichtig, dies zu unterstützen, um sicherzustellen, dass wir dauerhaft Schulunterricht mit Anwesenheit machen können. Wenn dann der Einsatz von Luftfilteranlagen von den Ländern bzw. den Kommunen beschlossen wird, dann ist das ihre Angelegenheit. Aber wenn uns hier dadurch die Zeit geraubt wird, dass ein solcher Antrag eingebracht wird, obwohl der andere vorhandene noch nicht mal in Angriff genommen wurde, halte ich das für vertane Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Suding [FDP]: Die Ministerin raubt uns Zeit! Seit Monaten! – Peter Heidt [FDP]: Was haben Sie eigentlich für ein Demokratieverständnis?)

– Sehr viel, Herr Kollege.

(Peter Heidt [FDP]: Nein, das glaube ich nicht!)

– Ich würde jetzt gerne weiterreden, wenn es in Ordnung ist.

Ich will es nur kurz ausführen – Sie sind wahrscheinlich sehr häufig in Schulen –: Ich kann auf zurückliegende und auch aktuelle Besuche an Schulen blicken. Ich weiß genau, was da abläuft, zum Beispiel wenn die Geräte falsch aufgestellt oder die Filter nicht sachgerecht bedient werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir debattieren hier gemeinsam völlig zu Recht über das Thema Bildung, das hier auch richtig platziert ist. Wir haben über digitale Fortbildungen für Lehrkräfte gesprochen und über mögliche zusätzliche IT-Administratoren. Wenn Sie hier aber letztendlich Fragen zu flexiblen Anlagen in den Raum stellen, wissen Sie, was dann passiert? Dann sind die Lehrkräfte an den Schulen und die Erzieherinnen und Erzieher in Krippen und Kindergärten nicht nur damit ausreichend belastet; dann müssen wir sogar aufpassen, dass sie ihrer Arbeit überhaupt noch wirklich nachgehen können und diese auch umfänglich betrachtet wird. Nein, wir belasten sie nicht nur damit, sondern wir wollen jetzt auch noch erwarten, dass sie vielleicht die Luftfilter wechseln.

Was haben wir dafür zu tun? Ich glaube, gar nichts. Es ist eine Anregung, die alle gern mitnehmen. Geben Sie die in die Bundesländer, wo Sie Verantwortung tragen! Geben Sie die in Ihre Wahlkreise! Da haben Sie, glaube ich, ausreichend Möglichkeiten. Wir stützen den sozialen Ort Schule. Wir halten die Schule offen und schützen sie. Wir wollen gesicherte Erkenntnisse für uns in den Vordergrund stellen.

„Filtern statt frieren“, titelt der Hessische Rundfunk. Ich sage: „Wirksam filtern statt frieren“, heißt die Devise.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)