
Bettina Margarethe Wiesmann: "Den Eltern wird eine Peer-Beratung empfohlen"
Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung
Vor zweieinhalb Jahren haben wir uns hier schon einmal mit Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung beschäftigt. Damals ging es um die Änderung des Geschlechtseintrags, und es war für manche Beobachter wohl ein wenig überraschend, dass es sich hierbei um eine zwar kleine und inhomogene Gruppe von Menschen handelt, deren Anliegen aber sehr berechtigt ist und unbedingt ernst genommen zu werden verdient. Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung haben das gleiche Recht auf Respekt und Anerkennung, auf geschlechtliche Selbstbestimmung und bei Bedarf auf Unterstützung der Gesellschaft wie alle anderen.
Damals wurde viel gestritten, ob auch Menschen mit einer diversen Geschlechtsidentität dazugehören, und die eindeutige Antwort ist: Nein. Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung haben diese Anlagen schon bei ihrer Geburt, sie haben ein Geschlecht und nicht das falsche. Diese Definition steht in einer Vereinbarung medizinischer Fachverbände auf internationaler Ebene und auf nationaler Ebene in einer medizinischen Leitlinie. Es sollte den betroffenen Menschen selbst überlassen bleiben, ob sie sich als divers, männlich, weiblich oder keinem Geschlecht zuordnen. Das können sie nun durch Eintrag in das Personenregister bei Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung oder einer eidesstattlichen Erklärung.
Heute beschließen wir nun ein Gesetz, das hierzu ergänzend wirkt: Geschlechtsangleichende Operationen bei Kleinkindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung dürfen nicht mehr einfach so vorgenommen werden, um ihnen mögliche Leidenswege zu ersparen. Es war schon im Koalitionsvertrag klar, dass wir uns bei diesen Fragen am Kindeswohl und an medizinischen Notwendigkeiten orientieren. Medizinisch notwendig kann ein Eingriff sein, wenn die Gesundheit des Kindes gefährdet ist. Dann bleibt er möglich, sogar geboten. Medizinisch nicht notwendig dagegen sind Eingriffe, die lediglich das Erscheinungsbild modellieren oder den Hormonhaushalt beeinflussen, um ein eindeutiges Geschlecht zu erreichen. Solch ein Eingriff darf nicht mehr auf Wunsch der Eltern vorgenommen werden, es sei denn, das Kind selbst ist einwilligungsfähig und wünscht ihn.
Mir ist auch wichtig, dass in der Evaluierung geprüft werden soll, die Einwilligungsfähigkeit des Kindes nicht mehr an einer fixen Altersschwelle festzumachen, sondern sie von ärztlicher Seite feststellen zu lassen. Denn Kinder müssen vor Fremdbestimmung, aber auch vor leichtsinnigem Handeln möglichst gut geschützt werden.
Gut geregelt ist weiter, dass das Familiengericht als neutrale Instanz ein Verfahren durchführt, das sich ausschließlich am Kindeswohl zu orientieren hat. Es geht um das weitere Leben eines Kindes oder Jugendlichen, nicht um das der Eltern.
Auch die Unterstützung der Familie durch eine interdisziplinäre Kommission aus Ärzten, Psychologen und Ethikern ist begrüßenswert. Eltern wird zudem die Hinzuziehung einer Peer-Beratung empfohlen. Damit können Eltern besser zu ihrem Kind stehen und es als Geschöpf Gottes annehmen.
Das Gesetz ist offen für die Vielfalt der Natur, indem es auch fragliche Fälle einbezieht, etwa Kinder mit adrenogenitalem Syndrom, einer ihrerseits variantenreichen Hormonverteilung. Hier sollen nicht pauschal Behandlungen erlaubt werden, sondern nur solche, die bestimmte Erleichterungen verschaffen. Behandlungen sind also ebenso nicht ausgeschlossen, sondern werden unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls von Ärzten angeraten und vom Gericht zugelassen.
Anhörung und parlamentarisches Verfahren haben dazu beigetragen, dass das Gesetz nun eine gute Lösung für alle Betroffenen bereithält. Was noch aussteht, sind mehr empirische Daten; denn selbst die Anzahl der Betroffenen variiert erheblich. Deshalb ist der Aufbau eines Zentralregisters unbedingt notwendig, dies deckt das Gesetz noch nicht ab. Doch wird eine Evaluation des Gesetzes bereits nach fünf Jahren vorgenommen. Sie soll einerseits mehr Erkenntnisse über die betreffenden Varianten als auch frühzeitig die neue Rechtslage auf den Prüfstand bringen.
Dies ist ein gutes und ausgewogenes Gesetz, das sich eindeutig am Kindeswohl orientiert und der Vielfalt der Schöpfung Rechnung trägt.