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Volker Kauder: Die Religionsfreiheit ist das bedeutendste Menschenrecht überhaupt

Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Fast auf den Tag genau vor 400 Jahren begann mit dem Bruch der Religionsfreiheit einer der schlimmsten Kriege in Deutschland, der Dreißigjährige Krieg, nämlich am 23. Mai 1618 mit dem sogenannten zweiten Prager Fenstersturz als Antwort darauf, dass die Katholiken aus Wien den protestantischen Landständen in Böhmen die Religionsfreiheit mehr oder weniger entzogen hatten.

Es war der Auftakt zu einem grässlichen Krieg, der ein Drittel der Bevölkerung des Heiligen Römischen Reiches auslöschte. Ein Drittel! Dieser Krieg war geprägt durch die Unbedingtheit, die aus der religiösen Gegnerschaft entstanden war, und wurde dann unbeherrschbar.

Herfried Münkler hat in seiner faszinierenden Beschreibung und Analyse des Dreißigjährigen Krieges genau erklärt, was damals passiert ist. Er formuliert: Dieser Dreißigjährige Krieg ist zugleich eine „Analysefolie“ für das, was in heutiger Zeit stattfindet. Auch heute entstehen aus der Unbedingtheit der religiösen Überzeugung wieder schreckliche Kriege, und es gibt sie auch schon, beispielsweise in der ganzen Region Syriens und des Irak. Aber nicht nur in diesen Regionen sehen wir eine Entwicklung, bei der man fast deprimiert sagen will: Hört das eigentlich gar nie auf?

Wie auch im Dreißigjährigen Krieg kommen neben den religiösen Überzeugungen natürlich auch noch Interessen dazu. Diese Interessen werden aber nicht definitiv formuliert, sondern hinter den religiösen Überzeugungen versteckt.

Ich denke beispielsweise an die Entwicklung in Indonesien, in einem Land, das von der Demokratie geprägt war und in dem die wenigen Christen – 3 Prozent – problemlos mit den Muslimen zusammenlebten, bis der arabische Islam in jüngster Zeit versuchte, die Strukturen dieser Gesellschaft mehr und mehr zu übernehmen – mit den entsprechenden Konsequenzen. Viele moderne Muslime in Indonesien erzählen mir, dass sie Sorge haben, dass durch diese Unbedingtheit, die auf der Hauptinsel Java schon die Scharia hervorgebracht hat, ihr schönes Land und ihre Gesellschaft zerstört werden könnten.

Die ohnehin schon schlimme Situation in Pakistan wird mit keinem Tag besser. Bis zum heutigen Tag sitzt Asia Bibi im Gefängnis – auch kleine Kinder werden eingesperrt – und wird nicht freigelassen, obwohl die halbe Welt dafür wirbt.

Auch in China gibt es eine neue Entwicklung, die von der chinesischen Regierung unter dem Stichwort „Sinisierung der Religion“ vorangetrieben wird. In einer großen Provinz kann man eine Entwicklung beobachten, von der man nicht weiß: War das vorauseilender Gehorsam, oder ist das die neue Strategie? Es wurde ein – so kann man sagen – Papier an alle Menschen in dieser Region herausgegeben, auf dem der Hinweis zu lesen war: Kinder unter 18 Jahren dürfen nicht mehr in religiöse Veranstaltungen mitgenommen werden; denn sie sind in diesem Alter noch nicht urteilsfähig. Die Eltern werden angehalten, die Kinder nicht in Liebe zur Religion, sondern in Liebe zum Land, zur Wissenschaft und zum Fortschritt zu erziehen. Den Eltern wird geraten: Wer es mit seinen Kindern gut meint, sollte keine Kirchen und keine religiöse Einrichtungen mehr besuchen. – Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass Frieden in einer Gesellschaft nicht möglich ist, wenn Religionsfreiheit nicht gewährleistet wird, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Martin Hebner [AfD])

Werfen wir noch einmal den Blick zurück. Münkler liefert nicht nur eine Analyse des Dreißigjährigen Krieges, sondern er weist auch darauf hin, wo die Lösung liegen könnte. Er führt den Westfälischen Frieden an, in dem die Religions-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit zumindest im Grundsatz formuliert wurden. Mit diesem Westfälischen Frieden wurde der Dreißigjährige Krieg beendet.

Deswegen bleibt es dabei, auch wenn gesagt wird, dass sich in unserer Welt vieles wandelt: Ohne Religionsfreiheit werden die schweren Konflikte, die auch jetzt im Orient zu beobachten sind, nicht beendet werden können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es wird immer wieder gefragt: Was können wir zur Lösung dieser Konflikte beitragen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind aufgrund tragischer Erfahrungen, die wir gemacht haben, das Land der Religionsfreiheit. Wir können deshalb unseren Beitrag dadurch leisten, indem wir sagen: Ein zentrales Thema von Gesprächen in dieser Region, aber auch in anderen Teilen der Welt muss sein, Religionsfreiheit einzufordern und für ein Ende der Unbedingtheit einzutreten. Das heißt natürlich, dass die Religionsfreiheit in allen Ländern gewährleistet sein muss. Darauf müssen wir pochen und auf die guten Beispiele hinweisen.

Es ist geradezu ein Jammer, dass in Regionen, die als Wiege des Christentums gelten, Christentum immer weniger gelebt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ein Beispiel ist die Türkei. In der Region Kappadokien in der Türkei, einer Wiege des Christentums, sind nur noch wenige Christen zu finden. Aber selbst diese wenigen haben kaum noch Chancen, religiöses Leben in der Türkei darzustellen. Deshalb muss, finde ich, gesagt werden – ausgehend von der Situation in unserem Land –: So wie wir ganz selbstverständlich Muslimen die Möglichkeit geben – und dafür treten wir auch ein –, als Teil der Religionsfreiheit ihre Moschee bauen und darin beten zu können, verlangen wir, dass die Christen ihre kleinen Kirchen in der Türkei auch bauen dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Forderung der Religionsfreiheit muss unbedingt sein, nicht die Unbedingtheit der einzelnen Religion. Das könnte unser Beitrag sein, indem wir dies immer wieder einfordern, wo wir auch sind. Die Religionsfreiheit ist das wohl bedeutendste Menschenrecht überhaupt,

(Zuruf von der AfD: Unsinn!)

weil es den Menschen über seine irdische Existenz hinaus verweist.

Deswegen finde ich es gut, dass wir einen Bericht der Bundesregierung bekommen haben. Ich finde es großartig, dass wir uns in der Koalition darauf verständigen konnten, mit Markus Grübel einen Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit zu installieren. Und ich finde es gut, dass wir die Zusage haben, nun regelmäßig Berichte zu bekommen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Friede in dieser Welt größer wird. Er wird nur dann größer, wenn die Religionsfreiheit mehr und mehr wieder zu einem wichtigen Thema und zu einem wichtigen Grundsatz wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)