Skip to main content

Jürgen Hardt: "Wir brauchen keinen Marshallplan, um die Demokratie in Amerika zu stärken"

Rede in der Aktuellen Stunde | Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weise aufs Schärfste zurück, wie hier gerade der Versuch unternommen wurde, Täter zu Opfer zu stilisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Ich komme zu einem Punkt, den ich ergänzend zu dem, was viele der Vorredner bereits angesprochen haben, ansprechen möchte: Das ist das laufende Impeachment-Verfahren gegen Präsident Trump. Es gibt eine Diskussion darüber, ob es klug ist, in der gegenwärtigen Situation dieses Impeachment tatsächlich zu starten. Ich sage ganz klar: Aus meiner Sicht, aus meiner Kenntnis der Dinge ist es absolut gerechtfertigt, dass das Abgeordnetenhaus heute diesen Weg eingeschlagen hat.

Ich kann mich jetzt nicht erinnern – weder in Bezug auf meine Lebenszeit noch auf die der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika –, dass eine Handlung eines Präsidenten jemals Impeachment-würdiger gewesen wäre als das, was wir erlebt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Er hat – bis zum heutigen Tag – ein Wahlergebnis als gefälscht bezeichnet, das mit über 60 Gerichtsurteilen als absolut korrekt festgestellt wurde. Er hat versucht, seinen Vizepräsidenten – in seiner Rolle als Vorsitzender des Senats – zu nötigen, die Verfassung der Vereinigten Staaten zu verdrehen und die Abstimmung über die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses zu verhindern. Er hat damit glücklicherweise keinen Erfolg gehabt. Er hat seine Anhänger aufgefordert, zum Kongress zu marschieren. Ich glaube, das sind Dinge, die in jedem demokratischen rechtsstaatlichen Land dieser Erde politisch und rechtlich schwerwiegende Konsequenzen haben,

(Zuruf von der AfD: Und in Thüringen?)

und ich bin sehr gespannt darauf, was dem folgt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich fand bei dem Sturm aufs Kapitol das Verhalten der Stürmenden auch insofern irritierend, dass sie offensichtlich gar nicht auf die Idee kamen, dass sie eines Tages jemand für das, was sie da tun, zur Rechenschaft ziehen könnte. Auch das ist – Kollege Schmid hat es angesprochen – ein Merkmal von Putschisten: Man hält sein Gesicht in die Kamera, weil man damit rechnet oder darauf setzt, dass man eines Tages ein Denkmal in seiner Heimatstadt dafür gebaut bekommt. In Wirklichkeit hat der Staatsanwalt leichte Hand und kann die Täter dingfest machen. Das zeigt, welch Grad der Gehirnwäsche in den Köpfen derer eingesetzt hat, die diesem Aufruf Trumps gefolgt sind und das Kapitol besetzt haben.

Gott sei Dank haben der Sicherheitsdienst, die Polizei des Kongresses, und die Polizei des Districts of Columbia und die herbeigerufene Unterstützung aus Virginia besonnen gehandelt; denn bei denen, die das Kapitol gestürmt hätten, sind wohl viele dabei, die im Zweifel jeden Hühnerdieb, der sich widerrechtlich auf ihrem Grundstück aufhalten würde, mit der Pumpgun über den Haufen geschossen hätten. Wenn die Kongresspolizei in dieser Art und Weise, wie man das im Mittleren Westen unter Trump-Anhängern im Zweifel gut findet, so gehandelt hätte, dann wäre es zu einem schwerwiegenden Blutbad gekommen. Ich bin froh – trotz aller Kritik an dem, was dort auch seitens der Sicherheit passiert ist –, dass das nicht passiert ist und dass die Sitzung des Kongresses tatsächlich dann mit circa vier Stunden Verspätung ordnungsgemäß fortgesetzt werden konnte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Frage ist, ob uns in Deutschland und Europa so etwas auch passieren kann. Ich warne davor, leichtfertig zu behaupten, dass wir davor gefeit seien. Wir haben es im August hier erlebt. Ich fand es übrigens interessant, wie der Kollege der AfD jetzt diejenigen, die hier versucht haben, den Reichstag zu stürmen, vereinnahmt hat als Anhänger seiner Partei.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Waren ja mittendrin!)

Da gibt es ja noch eine Diskussion drüber: Der ein oder andere behauptet ja, das hätte mit der AfD nichts zu tun. Aber hier ist das Bekenntnis offensichtlich ganz eindeutig.

Ich glaube, dass wir in Deutschland ein vielleicht geeigneteres Wahlsystem haben, um solche Entwicklungen in der Demokratie besser aufzufangen: durch unser proportionales System und durch unsere Vielparteiendemokratie.

Ich glaube aber, dass wir nicht erst in der Coronakrise, sondern zum Beispiel bereits in der Debatte um das Handelsabkommen TTIP erlebt haben, dass Falschinformationen, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, die Diskussion in unzulässiger Weise mit bestimmt haben. Wenn wir glauben, wir wären gefeit davor, dass diese Flut von Falschinformationen oder dieser Populismus bei uns in Deutschland greifen kann, dann sollten wir sehr aufpassen.

Deswegen glaube ich auch, dass wir keinen Marshallplan brauchen, um die Demokratie in Amerika zu stärken. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen, es weltweit zu tun. Wir als Deutsche sollten im Übrigen unsere Hausaufgaben machen. Wir sollten zu unseren Versprechen stehen. Münchner Sicherheitskonferenz: Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Wales-Gipfel der NATO von 2014: Wir sind bereit, mehr für Verteidigung auszugeben. Ich erinnere auch unsere Bereitschaft, in der Handelsfrage enger mit Amerika zusammenzuarbeiten. All das sollten wir erfüllen. Dann sehe ich einer guten, einer sehr gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Weißen Haus und zwischen Deutschland und dem Weißen Haus in vielen Fragen entgegen, und darauf freue ich mich.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)