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Jürgen Hardt: Die Säule der europäischen Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken

Redebeitrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die deutsche Bundesregierung bei dieser Ratspräsidentschaft mehr auf dem Schreibtisch hat als je irgendeine andere Ratspräsidentschaft eines Landes zuvor; darum ist sie nicht zu beneiden. Ich glaube auch, dass von den übrigen 26 EU-Mitgliedern einige ganz schön froh sind, dass es jetzt ausgerechnet Deutschland trifft, diese Arbeit zu leisten und zu schultern.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist wahr!)

Das ist auch Ausdruck von Respekt und Anerkennung gegenüber unserem Land und unserer Leistungsfähigkeit – auch in europäischen Fragen.

Da ist die Frage der mehrjährigen Finanzplanung der Europäischen Union. Da ist natürlich die Frage des Brexits, die von uns gelöst werden muss. Da ist die Frage der Bewältigung der Coronafolgen. Allein das ist schon genug für zwei Jahre Präsidentschaft; es muss jedoch in sechs Monaten geleistet werden. Es wäre eine tolle Sache, wenn es darüber hinaus gelänge, noch in dem einen oder anderen Politikfeld klare deutsche Präsidentschaftsakzente zu setzen, die über das hinausgehen, was an Pflichtaufgaben vorliegt.

Da denke ich in erster Linie natürlich an die notwendige Stärkung der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich glaube, dass es der deutschen Bundesregierung gut ansteht, wenn sie die Säule der europäischen Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik auch in ihrer Präsidentschaft stärkt. Wenn ich durch das Programm gehe, weiß ich, dass das auch so ist.

Ich möchte einige Aspekte herausgreifen.

Wie geht die Europäische Union mit China um? Der EU-China-Gipfel ist, glaube ich, aus Coronagründen verschoben worden. Aber es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von politischen Gründen, warum dieser Gipfel zum jetzigen Zeitpunkt nicht stattfinden kann. Was den Investitionsschutz angeht, sind wir uns mit China eben noch nicht einig.

Was augenblicklich in China mit Blick auf Hongkong abgeht, ist unakzeptabel. Ich finde es gut, dass die Europäische Union heute Mittag dazu eine gemeinsame Erklärung abgefasst hat. Ich könnte mir sie fast mit noch ein bisschen schärferen Zähnen vorstellen. Aber das ist eben das Dilemma, wenn etwas einstimmig zustande kommen muss. Es wäre schön, wenn gerade bei solchen Dingen, wenn es um Menschenrechts- oder Völkerrechtsfragen in Drittländern geht, die Europäische Union die Kraft hätte, zum Mehrheitsprinzip überzugehen, und man vielleicht doch noch die eine oder andere Formulierung schärfer fassen könnte. Aber es ist natürlich ein wesentlich gewichtigeres Signal, wenn die EU gemeinsam gegenüber China wegen Hongkong auftritt, als wenn das jeder einzelne Mitgliedstaat tun würde und dann genau geguckt werden würde: Wer hat welchen Zungenschlag?

Von daher: klare Verurteilung dessen, was in Hongkong los ist; im Übrigen auch klare Verurteilung dessen, was China gegenüber der Minderheit der Uiguren macht. Die stalinistischen Umerziehungslager und das, was wir daraus hören, ist ein ungeheurer Skandal; da können wir nicht wegschauen. Deswegen brauchen wir eine EU-China-Strategie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Strategie? Eine Strategie kann doch keine Antwort auf die Frage der Uiguren sein!)

Außenpolitisch erhoffe ich mir etwas mit Blick auf das Verhältnis der EU zu Russland. Vielleicht ist da etwas drin – keine grundsätzliche Veränderung, aber vielleicht in Bereichen, in denen eine Zusammenarbeit dringend notwendig ist. Wir müssen uns, glaube ich, als Europäische Union an der Seite Finnlands mit Russland allein schon darüber verständigen, wie wir mit dem hohen Norden umgehen, wie wir mit den Bodenschätzen der Arktis umgehen, wie wir Regeln finden und bestimmte Entwicklungen, die dort drohen, verhindern. Ich glaube, dass im Übrigen auch Russland ein Interesse daran hat, in Wirtschafts- und Standardfragen mit der EU enger zusammenzuarbeiten. Vielleicht ist sogar in diesem Feld ein Impuls möglich.

Ich hoffe, dass wir bei Lateinamerika und den Mercosur-Verhandlungen ein Stück vorankommen. Ich freue mich, dass dies im Programm drinsteht und wir vielleicht doch ganz konkret eine Chance haben, dieses wichtige Handelsabkommen ein gutes Stück voranzubringen.

Ich setze darauf, dass sich die Sahelpolitik der Europäischen Union weiterentwickelt. Ja, der geplante Gipfel der Europäischen Union mit der Afrikanischen Union ist eine große Chance, als EU insbesondere im zivilen und stabilisierenden Bereich ein Stück voranzugehen. Und wenn es zum Markenzeichen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden würde, dass wir auch in der Afrika- und speziell in der Sahelpolitik ein gutes Stück vorankommen, wäre das super.

Ich denke auch an die PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitspolitik. Es ist eine ganze Reihe von Projekten auf dem Weg. Eines ist im Übrigen die Stärkung der Logistik, der Möglichkeit, die nötige Infrastruktur zu haben, damit man sich in Europa mit militärischen Ausrüstungen und mit Truppen sicher bewegen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass auch das ein schönes Investitions- und Konjunkturprogramm ist. Man sollte mal überlegen, ob man die Investitionen, die sowieso vorgesehen sind, gegebenenfalls nicht ein Stück vorzieht.

Ich möchte schließlich sagen, dass ich mir von der deutschen Regierung erhoffe, dass wir mit dem Westbalkan, speziell Nordmazedonien und Albanien, ein Stück vorankommen. Klarheit und Wahrheit – bei dem, was uns von diesen Ländern trennt, aber auch bei dem, was uns eint. Auch das könnte das Ergebnis der Präsidentschaft sein.

Ich wünsche alles Gute, viel Glück und vor allem Erfolg bei der Präsidentschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)