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Hans-Jürgen Irmer: "Verbrechen kennt leider keine Grenzen"

Rede zu Europol

Hochverehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich zunächst im Namen der Union – ich hoffe, auch im Namen der anderen Fraktionen – all denen Dank sage, die bei Europol ihrer Tätigkeit nachkommen. Europol inklusive der Exekutivdirektorin Frau De Bolle leistet hervorragende Arbeit. Das muss man bei dieser Gelegenheit ausdrücklich anerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kollegen von der FDP, Ihr Antrag ist natürlich ausschließlich aus hehren Motiven entstanden; das wissen wir alle. Aber er ist insofern ganz gut – das ist schon angeklungen, liebe Frau Mittag –, als dass wir über das Thema Europol diskutieren können. Ich will in der Kürze der Zeit auf Ihren Antrag eingehen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Terroristische Anschläge werden bedrohlicher. Die organisierte Kriminalität stellt ein Bedrohungspotenzial dar genauso wie die Onlinekriminalität. Die nationalen Strafverfolgungsbehörden stoßen an ihre Grenzen. Die internationale Zusammenarbeit ist verbesserungsfähig; auch das ist richtig. Das Verbrechen ist über die Binnengrenzen hinaus vernetzt. Letzteres ist weiß Gott keine neue Erkenntnis; das ist so. Verbrechen kennt leider keine Grenzen. Deshalb sagen Sie von der FDP: Wir brauchen ein europäisches Kriminalamt; denn der Schutz der Bevölkerung ist Kernbestand staatlicher Souveränität. – Richtig, das kann man nur unterstreichen. Ohne Sicherheit gibt es keine individuelle Freiheit; das ist so.

Sie sagen vor diesem Hintergrund: Europol braucht mehr Personal und mehr Mittel. – Ja, auch das ist völlig richtig. Aber ich füge hinzu: nicht nur mehr Personal und mehr Mittel, sondern auch die technischen Möglichkeiten, um Interoperabilität überhaupt gewährleisten zu können. Entscheidend für den Erfolg von Europol als Hotspot der Datenlieferung, -analyse und -auswertung sowie der Information der Mitgliedstaaten sind der Datenfluss, der Datenaustausch und das Gewinnen von Daten. Das bedeutet – darauf hat Kollege Schuster völlig zu Recht hingewiesen; genau das ist Ihr politisches Problem –: Wenn man etwas auswerten und analysieren will, braucht man zuvor Daten. Man muss also die Messenger-Daten erfassen können. Man braucht

(Konstantin Kuhle [FDP]: Eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage!)

die Vorratsdatenspeicherung, die Daten aus der Kfz-Scannung, der Schleierfahndung und längere Speichermöglichkeiten. Das sind letzten Endes die Grundvoraussetzungen für den Erfolg von Europol.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höferlin, FDP-Fraktion?

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Bitte schön.

Manuel Höferlin (FDP):

Herr Kollege, ich höre jetzt zum zweiten Mal aus den Reihen der Union, dass die Vorratsdatenspeicherung so elementar sei für die polizeiliche Arbeit. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass polizeiliche Arbeit gar nicht ohne Vorratsdatenspeicherung möglich ist. Das heißt also, wir leben in Deutschland seit Jahren völlig unsicher, haben quasi keine Ermittlungsansätze. Ich frage mich, wie die Polizei in Deutschland dann überhaupt zu Ermittlungsansätzen und zu Ergebnissen kommen kann. Offensichtlich geht es auch anders.

Meine Frage ist nun: Wenn Sie sagen, es geht nicht ohne Vorratsdatenspeicherung, warum sind Sie dann seit Jahren nicht in der Lage, ein verfassungsgemäßes Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen?

(Beifall bei der FDP – Konstantin Kuhle [FDP]: Weil es nicht geht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Hans-Jürgen Irmer [CDU/CSU] gewandt: Wie lange wollen Sie regieren?)

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Ich bedanke mich für die Frage, Herr Kollege. – Die Vorratsdatenspeicherung ist aus unserer Sicht unverzichtbar, und zwar nicht nur aus unserer Sicht – das ist relativ unerheblich –, sondern auch aus Sicht aller entscheidenden Behörden, die mit dem Thema zu tun haben,

(Konstantin Kuhle [FDP]: Warum legen Sie es dann nicht vor, verfassungsgemäß? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen, warum tun Sie dann nichts? Das ist ja schrecklich!)

wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter, der sich öffentlich dafür ausgesprochen hat, dass wir das benötigen. Ich erinnere auch an das Bundeskriminalamt.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 14 Jahren in der Verantwortung, und Sie tun nichts!)

– Jetzt bin ich dran, Herr Kollege Notz. Ich stehe am Mikrofon; da bin ich per se etwas lauter als Sie. – Das Bundeskriminalamt beispielsweise hat im Kontext von Ermittlungen gegen die Mafia erklärt,

(Manuel Höferlin [FDP]: Warum legen Sie keine verfassungsgemäße Version vor?)

dass wir faktisch eine kaum umsetzbare Form der Vorratsdatenspeicherung haben.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum tun Sie denn nichts, Herr Irmer? Warum tun Sie denn nichts?)

Deshalb brauchen wir eine entsprechende Gesetzesänderung.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Wann kommt die?)

Dazu braucht man parlamentarische Mehrheiten, und da wäre es schön, wenn Sie dabei sind. Wir laden Sie zu einer Gesetzesinitiative ein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben es bisher doch immer abgelehnt.

(Manuel Höferlin [FDP]: Verfassungsgemäß, Herr Kollege!)

Sie haben doch gesagt, Sie wollen die Vorratsdatenspeicherung abschaffen. Sie sind der Ungeeignete, uns in dieser Frage Ratschläge zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht in der Lage, ein verfassungskonformes Gesetz zu präsentieren! Ein Armutszeugnis!)

Meine Damen und Herren, der geschätzte Kollege Kubicki, den ich jetzt virtuell in der Reihe vor mir sehe,

(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Der sitzt hinter Ihnen!)

hat vor wenigen Tagen erklärt: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, nicht mehr Überwachung. Wir brauchen mehr Menschen, die analysieren. – Lieber Herr Kollege Kubicki, bei aller wirklich großen Wertschätzung: Was will ich mit netter, kollegialer Zusammenarbeit, wenn ich keine Informationen habe, die ich analysieren kann? Das ist doch der springende Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben keine Kenntnisse von Vernetzungen, keine Kenntnisse von Strukturen; das ist aber genau das, was wir brauchen.

Meine Damen und Herren, ich akzeptiere nicht, dass in diesem Staate de facto – zumindest partiell – der Datenschutz zum Täterschutz mutiert. Das ist die falsche Richtung. Deshalb müssen wir hier eine entsprechende gesetzliche Änderung hinbekommen.

Abschließend: Ich habe bei Ihnen wirklich den Eindruck, dass unsere Sicherheitsbehörden für Sie das größere Problem sind als die Kriminellen.

(Stephan Thomae [FDP]: Woraus lesen Sie das denn?)

Ich habe vor unseren Sicherheitsbehörden inklusive Europol und Interpol keinerlei Sorge. Sie machen eine hervorragende Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Konstantin Kuhle [FDP]: Gar keine Rechtsgrundlage!)

Aber dazu gehört der optimale Datenaustausch. Vor unseren Sicherheitsbehörden habe ich deshalb keine Angst, weil ich überzeugt bin, dass sie bei aller individuellen Unzulänglichkeit des Einzelnen hervorragende Arbeit machen, seriös, verantwortungsbewusst und professionell arbeiten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege.

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Sorge bereiten mir, meine Damen und Herren, die Kriminellen: Sie sind der Feind der Freiheit. Sie kämpfen mit allen illegalen Methoden. Sie gilt es deshalb zu bekämpfen – mit allen rechtsstaatlichen Mitteln.

(Stephan Thomae [FDP]: Rechtsstaatlich! – Benjamin Strasser [FDP]: Rechtsstaatlich!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Irmer, –

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Und das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

– der Kollege von Notz möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Wer?

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Kollege von Notz.

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Bitte schön, Herr Kollege.

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh, jetzt!)

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Irmer, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Sie müssen mir das jetzt noch einmal erklären. Wenn die Lage, wie Herr Seehofer sagt, im sichersten Land der Welt – dem können Sie ja widersprechen; das ist Ihr gutes Recht – ohne Vorratsdatenspeicherung so prekär ist, warum präsentieren Sie dann kein funktionierendes Gesetz?

(Manuel Höferlin [FDP]: Das verfassungsgemäß ist! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es gibt doch ein Gesetz!)

Wie viele Jahrzehnte will die CDU/CSU-Fraktion noch regieren, ohne zu liefern? Ich verstehe es nicht. Können Sie einfach die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen, nach der Sie nicht in der Lage sind, ein verfassungskonformes Gesetz zu präsentieren,

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)

sodass wir uns mit Alternativen auseinandersetzen müssten?

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege von Notz, ich lade auch Sie genauso herzlich ein, an der Gestaltung eines entsprechenden Gesetzes mitzuwirken.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISES 90/DIE GRÜNEN – Benjamin Strasser [FDP]: Wenn man die Opposition braucht, um Gesetze zu machen!)

Aber Sie haben die Vorratsdatenspeicherung doch genauso abgelehnt wie die Kollegen von der FDP, von links außen ganz zu schweigen.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie das Bundesverfassungsgericht!)

In diesem Rahmen braucht man nun einmal eine schöne und im Optimalfall fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Ich lade Sie herzlich dazu ein.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie mal vor!)

Natürlich hat der Bundesinnenminister recht, wenn er sagt: Wir leben in einem sicheren Staat. – Das ist so. Aber das Bessere ist der Feind des Guten,

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Mehrheit hier im Haus! – Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind in der Regierung! Wie peinlich ist das denn!)

und wir haben immer noch zu viele Verbrechen in Deutschland; es sind ungefähr 5,8 Millionen jedes Jahr. Jedes einzelne ist eines zu viel. Deshalb müssen wir gemeinsam alles daransetzen,

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, fangen Sie mal an!)

die Lage der inneren Sicherheit zu verbessern. Sie sind herzlich eingeladen, da mitzuwirken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund – wir wissen, dass es nur um die hehre Motivation geht – und in Bezug auf die Kernaussage, dass wir auf der europäischen Ebene zusammenarbeiten wollen, brauchen wir Ihren Antrag nicht. Wir müssen erst einmal die Grundvoraussetzungen schaffen, und wenn Sie daran mitwirken, meine Damen und Herren, dann sind wir einen großen Schritt weiter. Bei uns ist das Thema „FBI auf europäischer Ebene, Europol“ in den besten Händen. Dazu brauchen wir Ihren Antrag nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)