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Elisabeth Motschmann: "Das russische Volk hat einen besseren Präsidenten verdient"

Konsequenzen der Bundesregierung aus den jüngsten gewaltsamen, willkürlichen und repressiven Entwicklungen

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein persönliches Wort vorweg: Ähnlich wie Alexander Lambsdorff habe ich eine ganz große Nähe zu Russland. Ich liebe die Musik, ich liebe die Kultur, ich liebe die Literatur. Meine Großmutter ist in Sankt Petersburg geboren. Also, Herr Gysi: von Russland-Phobie keine Rede.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber dieses russische Volk hat einen besseren Präsidenten verdient als den Despoten Putin; das ist die erste Botschaft, die ich hier loswerden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist aber Sache des russischen Volkes!)

Vergiftet in Tomsk, ausgeflogen nach Berlin, dort geheilt, Rückkehr nach Russland, verhaftet am Flughafen, verurteilt in einem Schnellgerichtsverfahren: zwei Jahre und acht Monate Gefängnis bzw. Arbeitslager: Das ist die traurige Kurzbiografie von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny seit dem 20. August.

Mutige Demonstranten in ganz Russland gehen auf die Straße, fordern die Freilassung von Nawalny, fordern übrigens auch Reformen in ihrem Land. Reaktionen des Putin-Regimes? Brutale Niederschlagung des friedlichen Protestes, Tausende Festnahmen, Willkür, Gewalt, üble Einschüchterung der Bürger und Bürgerinnen Russlands. Aufklärung: Fehlanzeige! Der Mörder ist frei. Das Opfer ist im Arbeitslager. Das ist eine traurige Bilanz. So verhält sich ganz bestimmt kein „lupenreiner Demokrat“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die ritualisierte, hilflose Reaktion eines Despoten. Das ist Putins Angst vor dem Machtverlust. Das ist Putins Angst vor seinem eigenen Volk. Das ist Putins Angst vor einem demokratischen Prozess. Nawalny ist ja kein Einzelfall. Circa 20 Oppositionelle wurden in den vergangenen Jahren ermordet, erschlagen und vergiftet. Das Ganze ist ein schlimmes System.

Und was tun wir? Wir erschrecken, wir sind empört. Die internationale Presse schreibt. Der Bundestag diskutiert. Berlin und Brüssel verurteilen mit scharfen Worten und maßvollen Sanktionen. – Das alles ist wichtig. Aber diese weltweite Welle der Empörung ebbt erfahrungsgemäß immer wieder ab und wird irgendwann immer leiser, und genau das, liebe Kollegen, darf es nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So ist es aber geschehen nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, nach den Massendemonstrationen und Inhaftierungen in Belarus, nach dem Mord an Khashoggi, nach den Demonstrationen in Hongkong. Es ist immer dasselbe System: Es wird immer, immer leiser.

Wir dürfen nicht nachlassen, diese Menschenrechtsverletzungen immer wieder aufs Neue zu verurteilen. Herr Gauland, Menschenrechtsverletzungen sind Verletzungen des Völkerrechts, dem normalerweise auch Russland unterliegt, und deshalb müssen wir auch hier laut unsere Stimme erheben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir dies immer wieder verurteilen und anprangern, unterstützen wir ideell die Demonstranten vor Ort. Damit sind wir Sprachrohr für sie. Damit beschädigen wir das Image eines „lupenreinen Demokraten“.

Diesen Worten müssen aber immer auch Taten folgen. Spürbare Sanktionen müssen die Antwort auf Menschenrechtsverletzungen sein. Wir müssen eine Sprache sprechen, die Putin versteht. Die einen meinen, das ist die Sprache „Geld, Gas, Öl“; andere meinen, das geschehe auf diplomatischem Weg durch Ausnutzung aller Gesprächskanäle, durch personenbezogene Sanktionen gegen Putins Oligarchen, Stichwort: Einreisestopps und Kontosperrungen.

Wichtig ist mir – das sage ich hier wirklich aus vollstem Herzen –, dass Europa eine gemeinsame Sprache findet, meine Damen und Herren. Dies gilt auch im Hinblick auf Nord Stream 2. Wir sind immer ganz bewusst darauf bedacht, dass wir Europa nicht spalten, dass Europa zusammengehalten wird, dass Europa eine Sprache spricht. Das muss auch hier erreicht werden; das ist meine herzliche Bitte an die Bundesregierung. Wenn die AfD allerdings nach Moskau reist, sich den roten Teppich ausrollen lässt, konterkariert sie damit alle Bemühungen, Putin in die Schranken zu weisen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir dürfen nicht vergessen: Putin ist nicht das russische Volk. Dieses Volk leidet unter Armut, Unfreiheit und Korruption. Es hängt jetzt von uns ab, wie es weitergeht. Wir müssen treu an der Seite der friedlichen Demonstranten bleiben und dürfen nicht nachlassen, sie zu unterstützen.

Ich schließe mit einem Zitat von Nawalny. Er hat gesagt, als er in dem Glaskasten vor Gericht stand: Einen wegzusperren, ist einfach. Doch ein ganzes Land kann man nicht einsperren.

(Stephan Brandner [AfD]: Doch! In Deutschland klappt das! Fragen Sie mal Frau Merkel, wie das funktioniert! Seit Monaten!)

Er hat recht.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)