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Dr. Norbert Röttgen: Wir müssen uns mit China auseinandersetzen

Rede zum Sicherheitsgesetz für Hongkong

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Jensen, auch wenn ich nicht jeden Satz Ihrer Rede unterschreibe, möchte ich zunächst an Ihre Fraktion gerichtet sagen: Ich finde es verdienstvoll und gut, dass Sie den Antrag gestellt haben und damit diese Debatte initiieren. Diese Debatte muss hier im Haus stattfinden, weil es ein wichtiges Thema ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns wirft das Sicherheitsgesetz, das jetzt im chinesischen Volkskongress verabschiedet worden ist, drei Fragen auf: Erstens die Frage unseres eigenen politischen Selbstverständnisses, zweitens die unseres Verhältnisses und unserer Politik gegenüber China und drittens die Frage, was wir politisch denn jetzt eigentlich tun. Das Sicherheitsgesetz, das in dieser Woche im Volkskongress verabschiedet worden ist, ist eine klare und eindeutige Verletzung der Rechte und der Selbstbestimmung, die Hongkong im britisch-chinesischen Vertrag über die Übergabe der ehemaligen Kronkolonie zugesagt worden sind – hinterlegt bei den Vereinten Nationen –, ein klarer internationaler Vertragsbruch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Und dieser Vertragsbruch, der an sich schon zu verurteilen ist, hat natürlich einen politischen Zweck. Er dient dazu, das, was der Inhalt der Selbstbestimmung in Hongkong ist, Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung, zu unterdrücken. Das sind klare Unrechtsakte, die beschlossen worden sind und deren Vollzug durch China gegenüber Hongkong damit angekündigt worden ist. Das muss aus- und angesprochen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Christoph Matschie [SPD])

Was heißt das für uns? Es ist eben eine Frage unseres außenpolitischen Selbstverständnisses: Sind diese ganz wenigen Werte und Prinzipien – Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit, Menschenrechte – prinzipieller Teil unserer Außenpolitik? Treten wir grundsätzlich dafür ein, oder treten wir nur dann dafür ein, wenn starke Wirtschaftsinteressen nicht betroffen sind?

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das ist eine grundsätzliche Frage, und ich möchte die Frage eindeutig beantworten: Es ist unser Selbstverständnis – nach unserem Grundgesetz, nach unserer Geschichte; es wird breit geteilt –, dass wir als Deutschland und Teil Europas für diese Grundwerte eintreten, meine Damen und Herren,

(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

und zwar bedingungslos und unbedingt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und wir tun es als Ausdruck unseres Selbstverständnisses wie auch unseres Selbstinteresses. Denn wenn wir unsere außenpolitische Glaubwürdigkeit beschädigen, dann beschädigen wir gleichzeitig auch unsere außenpolitische Wirksamkeit, meine Damen und Herren, weil man uns immer entgegenhalten kann: In einem Fall wie Russland oder sonst wo, dort ja; aber wo ihr selber betroffen wart, habt ihr euch nicht dafür eingesetzt. – Das beschädigt uns auch in unserer Aktionsfähigkeit in der Außenpolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Saudi-Arabien! Türkei!)

Das Zweite. Dieses Thema ist deshalb so interessant, weil es für unsere Politik gegenüber China entscheidend ist. China ist und wird die größte außenpolitische Herausforderung für Deutschland, Europa und den Westen in den nächsten Jahren und darüber hinaus sein. Es wird nach Hongkong weitere Fälle geben: Taiwan, Südchinesisches Meer, „Belt and Road“, Afrika, Handelsbeziehungen, Menschenrechtsfragen – ganz, ganz viele Fragen. Und darum hat die Frage, wie wir uns im Fall Hongkong verhalten, auch etwas damit zu tun, wie wir uns im nächsten Fall verhalten. Es hat etwas damit zu tun, wie China uns wahrnimmt. Es hat Konsequenzen, wenn China für solche Unrechtsakte nur Schweigen in Europa und im Westen erfährt; „Westen“ darf man nicht sagen; die USA machen eine andere Politik, die auch zu kritisieren ist. Darum korrigiere ich mich: Wenn China nur und im Wesentlichen Schweigen erfährt, wenn es solche Unrechtsakte ankündigt und vollzieht, dann wird das auf das weitere chinesische Verhalten Einfluss haben, meine Damen und Herren, und zwar ermunternden Einfluss. Und wir müssen den gegenteiligen Einfluss ausüben: Wir müssen Grenzen setzen, wir müssen klar aussprechen, dass das nicht geht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich plädiere nicht, um Missverständnissen entgegenzuwirken, für irgendeine Form von Antagonismus oder für einen Handelskrieg oder gar für einen neuen kalten Krieg. Nein, China ist eine Realität. Die frühere EU-Kommission hat es gesagt: China ist alles gleichzeitig: Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. – Also müssen wir uns mit China auseinandersetzen. Wir müssen zu unseren Werten stehen, wir müssen zu unseren Interessen stehen – das dürfen wir –: kein Antagonismus, kein Krieg in welcher Form auch immer, aber auch keinen Kotau.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und darum nutze ich die Gelegenheit dieses Podiums, um noch einmal zu sagen, dass der gemeinsame Artikel der europäischen Botschafter in Peking und der chinesischen Botschafter in der EU vor einiger Zeit in der chinesischen staatlichen Propagandazeitung „China Daily“ unter Akzeptanz von Zensur durch den EU-Vertreter in Peking und unter Übernahme sämtlicher chinesischer Narrative, ohne dass unsere kritischen Punkte angesprochen worden wären, ein Tiefpunkt unserer europäischen Außenpolitik war, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Solche Selbstdemütigungen müssen wir uns nicht selber zumuten. Das ist falsch und gegen unsere Werte und gegen unsere Interessen.

Abschließend: Was ist zu tun? Das ist gar nicht so leicht zu sagen, Frau Kollegin; aber ich habe schon gesagt, was jedenfalls falsch ist: Schweigen ist falsch.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 5G!)

Wir müssen sprechen. Darum ist es auch falsch, wenn Sie die Forderung erheben, dass jetzt kein Gipfel mehr stattfinden soll. Nein, der Gipfel muss stattfinden, und dann müssen wir für unsere Interessen eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Schweigepolitik, auch diplomatisch, macht keinen Sinn, meine Damen und Herren.

Wir müssen Allianzen bilden, mit anderen Mächten, mit Europäern, asiatischen Mittelmächten Allianzen bilden, um für gemeinsame Werte, gemeinsame Interessen einzutreten.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei 5G mal damit anfangen!)

Mit China zu kooperieren, aber uns nicht zu unterwerfen, nicht nachzugeben, unsere Werte und Interessen zu vertreten – das ist in unserem Interesse, und das ist im Interesse der Stabilität und des Friedens in der Welt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)