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Dr. Norbert Röttgen: "Europäische Stärken entwickeln und konkret machen"

Rede zur Vereinbarten Debatte zum G7-Gipfel in Kanada

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Phänomen Trump ist auch in dieser Debatte intensiv beschrieben worden. Ich möchte meine fünf Minuten darauf verwenden, fünf Schlussfolgerungen vorzustellen, von denen ich meine, dass wir sie aus diesem Phänomen ziehen sollten.

Die erste Schlussfolgerung ist, dass wir nach meiner Meinung aufhören sollten, von diesem Phänomen überrascht zu sein. Ich glaube, wir sollten inzwischen wissen, wer und wie Trump ist. Nebenbei bemerkt: Es wird noch mehr kommen. Das nächste Datum ist der NATO-Gipfel. Es wird noch mehr vom Gleichen von Trump geben.

Was ist dieses Phänomen? Ich glaube, es ist, wenn man es ganz kurz fassen will, die Ersetzung von Politik durch die Person. Es ist nicht nur die Innenpolitik, die alles dominiert, und auch die Außenpolitik. Ich glaube, es ist noch weitgehender: Es ist gewissermaßen die Abwesenheit von Politik und die Ersetzung von Politik durch die Person.

Das ist einerseits extrem weitgehend, und nur aus diesem Ansatz heraus ist das Verhalten von Trump gegenüber dem kanadischen Premierminister, dem nordkoreanischen Diktator und einem jahrzehntelangen Verbündeten wie Südkorea überhaupt verstehbar. Das passt in keine politische Kategorie, sondern ist sozusagen nur aus der Persönlichkeit, den persönlichen Bedürfnissen, der Biografie zu erklären. Wir haben es also an der mächtigsten Stelle der Welt mit einer sehr weitgehenden Entpolitisierung zu tun.

Andererseits – so sehe ich das – ist es aber auch ein individuelles Verhaltensmuster; es ist nicht systemisch, es ist auch nicht amerikanisch. Für dieses Verhalten, über das wir heute sprechen, wird man im Kongress keine Unterstützer finden. Es ist wichtig, zu sehen, dass es nicht amerikanisch-systemisch, sondern sehr individuell, aber trotzdem natürlich besorgniserregend ist.

Zweite Schlussfolgerung. Wir stehen zu dem, was wir für Errungenschaften halten, was wir für verteidigungswürdig und wertvoll halten. Das ist die G 7, das ist das Nuklearabkommen mit dem Iran, das sind freier und fairer Handel, und das sind die transatlantischen Beziehungen. Wir bleiben bei den Errungenschaften der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir stehen und verteidigen das, was wir für Errungenschaften halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens schlage ich vor, dass wir einstweilen und solange es geht eine Politik der Schadensbegrenzung machen, dass wir also nicht eskalieren und dass wir uns nirgendwo – weder beim Handel noch bei der Migration – auch nur andeutungsweise auf das Denken von Donald Trump einlassen und gewissermaßen sagen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, dann zahlen wir es heim. – Nein, wir sollten eine Politik der Schadensbegrenzung machen.

Meine Erfahrung aus allen Gesprächen, auch mit Unterstützern von Donald Trump im Senat der USA, ist: Dort bezweifelt keiner, dass die Europäer auch heute noch die besten Verbündeten und Freunde der Amerikaner sind. Wir bezweifeln auch nicht, dass die USA unser bester Verbündeter außerhalb Europas ist. Darum sollten wir Schaden begrenzen und nicht eskalieren und Schaden maximieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Viertens. Wenn wir politisch werden, wenn wir gestalten und Einfluss nehmen wollen, dann müssen wir uns auch einmal nüchtern und realistisch mit deutschen Schwächen beschäftigen und unsere Schwächen beseitigen. Vielleicht stimmen wir nicht darin überein, was die Schwächen sind, aber wir müssen mal bilanzieren: Haben wir auch Schwächen, die wir beseitigen müssen? Ich meine, ja. Ich glaube, wir haben kein Erkenntnisdefizit und auch kein Beschreibungsdefizit, aber wir haben ein deutsches und europäisches Handlungsdefizit; das ist keine Frage.

Wir betonen immer die regelbasierte Ordnung, die Bedeutung der Regeln und der Verlässlichkeit. Wir haben in der NATO die Regel vereinbart, uns auf das Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, zuzubewegen. Wir erfüllen diese Regel bislang nicht, noch nicht einmal bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma. Darum hat der Bundesaußenminister recht, wenn er sagt: Es geht hier nicht um Aufrüstung, sondern es geht darum, dass wir Lücken schließen. – Das ist eine Schwäche, die wir beseitigen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich nenne eine zweite Schwäche. Meine Meinung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Man kann das in der Sache anders sehen; aber eines kann man nicht bestreiten: Wir sagen immer: Wir müssen Europa stärken, wir müssen die europäische Einigkeit stärken. – Die bisherige deutsche Politik gegenüber diesem Projekt hat zur Uneinigkeit, ich würde sogar fast sagen: zur Spaltung in einer wichtigen Frage Europas beigetragen. Das ist der Preis, den man einkalkulieren muss. Wir müssen konsistenter werden. Wenn Europa überragend wichtig ist, dann muss auch Deutschland Solidarität erbringen. Es darf nicht zur Uneinigkeit in Europa beitragen, weil es für uns überragend ist, dass Europa zusammenhält und wieder zusammenfindet.

Fünftens. Wir müssen – ich habe leider keine Redezeit mehr; ich kann den Punkt nur kurz benennen – europäische Stärken entwickeln und konkret machen. Die europäische Interventionsinitiative wird begrüßt. Der europäische Sicherheitsrat soll kommen. Ein europäisches Asylrecht kann kommen. Ein Europäischer Währungsfonds kann kommen, und eine europäische Strategie gegenüber dem mittleren Osten und China ist notwendig.

Das heißt, es ist Konkretes möglich. Wir müssen Europa stärken. Transatlantisch bleiben, europäischer werden – das ist das richtige Motto und der Imperativ des Koalitionsvertrages.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)