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Dr. Johann David Wadephul: "Es gibt keine zwei Maßstäbe"

Rede in der Aktuelle Stunde | Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in der Tat eine Eskalation militärischer Gewalt in Idlib, und das ist im Grunde eine verharmlosende Umschreibung dessen, was geschieht. Es ist eine humanitäre Katastrophe.

Der Kollege Omid Nouripour hat dankenswerterweise einigen Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit gegeben, vor dieser Sitzung mit Vertretern der Weißhelme zu sprechen; das war beeindruckend. Ich möchte an der Stelle sagen: Die Frauen und Männer, die seit vielen Jahren in Syrien unter Einsatz von Leib und Leben Menschen retten, verdienen unsere Hochachtung und unsere Unterstützung, aber natürlich auch unsere politischen Antworten auf das, was sie zum Schutze ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger in ihrem Heimatland leisten. Herzlichen Dank für die Gelegenheit dieses Austausches!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was geschieht, ist, dass das Assad-Regime versucht, durchzusetzen, was der Diktator angekündigt hat, nämlich die komplette Rückeroberung Syriens, und das geschieht mit russischer Hilfe, mit russischer Unterstützung und mittlerweile in einer Konfrontation mit der Türkei. Das Regime allein könnte all das, was es militärisch in der Vergangenheit geleistet hat, ohne iranische Unterstützung und insbesondere ohne die Unterstützung Russlands in dieser Region nicht leisten.

Was wir jetzt in Idlib erleben, zeigt, dass Putin der Türkei, aber auch der Welt bewiesen hat, dass seine Abkommen wie die von Sotschi oder Astana nur dann etwas wert sind, wenn sie Russland etwas nützen. Ich glaube, das ist eine der ersten Lehren, die wir ziehen müssen. Das verlangt von uns, das verlangt von Europa eine geschlossene Reaktion, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD)

– Wenn das Ihre einzige Einlassung dazu ist – wo sich Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Fraktion mit diesem schrecklichen, menschenverachtenden Regime noch treffen –, ist das sehr bezeichnend – Vertreterinnen und Vertreter der AfD-Fraktion hier.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier wird ein Krieg gegen das eigene Volk geführt, ohne jede Rücksichtnahme, in einer Brutalität, wie wir es nie erlebt haben,

(Beatrix von Storch [AfD]: Beantworten Sie doch mal die Frage, was die Türken da machen!)

unter Verletzung der grundlegenden Vorschriften des Kriegsvölkerrechtes. Das ist eine humanitäre Katastrophe; es ist aber auch eine zivilisatorische Katastrophe. Und da noch danebenzustehen: Da sollte man sich schämen! Dem muss man entgegentreten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss aber auch in der Situation klar sagen: Was können wir machen? Was sollten wir machen? Wozu sind wir in der Lage? Wo wären wir überfordert? Ich will an dieser Stelle offen sagen, dass es natürlich wünschenswert wäre, eine „no-fly zone“, eine Flugverbotszone, zu errichten. Ich will aber auch sagen: Wir müssen sehen, was wir leisten können und wozu wir auch rechtlich in der Lage sind. Wir sollten uns an das Völkerrecht halten; das ist für uns immer die Maßgabe. Das heißt, ohne ein UN-Mandat wird es dort keinen militärischen Einsatz geben können. Ich bin deswegen etwas irritiert, dass Herr Borrell so etwas ins Spiel gebracht hat. Man muss natürlich auch wissen, dass dies eine unmittelbare militärische Konfrontation mit Russland wäre. Das ist eine Geschichte, die man sich sehr überlegen muss.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist wohl wahr!)

Aber die Europäische Union muss hier geschlossen reagieren. Europa muss Russland sagen, dass wir eine zweite schwere, tiefgreifende Verletzung des Völkerrechts

(Beatrix von Storch [AfD]: Durch die Türken!)

nach der Krim-Annexion und nach der andauernden Tätigkeit in der Ostukraine nicht hinnehmen. Deswegen ist Russland hier in der Verantwortung.

(Beatrix von Storch [AfD]: Sagen Sie doch mal was zur Türkei!)

Wir schauen hin, Herr Putin, wie Sie sich verhalten, ob Sie Kriegslogik über die Logik der Humanität setzen. Herr Putin, darauf wird Europa achten, und das wird für uns Maßstab des Umgangs mit Ihnen auch in der Zukunft sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen der Türkei klar sagen, dass sie am Scheideweg steht, was die Aktivitäten der türkischen Armee auf syrischem Gebiet angeht. Das haben wir mehrfach gesagt. In der Tat – auch Stefan Liebich hat das immer gesagt, sich aber in seiner Fraktion nicht durchsetzen können –:

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja ganz was Neues!)

Für uns ist klar: Es gibt keine zwei Maßstäbe. Es ist nicht völkerrechtlich legitimiert, was die Türkei dort macht.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Deswegen fordern wir die Türkei auf: Halten Sie das Völkerrecht ein, und achten Sie darauf, Herr Erdogan, wer Ihre wahren Partner der Zukunft sind. Das kann nur Europa, das kann nur der Westen sein. Jetzt nach Russland zu fahren und in dieser Stunde zu sagen, wie ich es im Ticker gelesen habe: „Die türkisch-russischen Beziehungen sind auf einem Höhepunkt und sollten sich verbessern“, das ist ein Kotau des türkischen Präsidenten.

Wir bieten der Türkei eine Partnerschaft an. Wir helfen, weil sie viele Flüchtlinge aufnimmt, aber das nur auf einer klaren Wertebasis, und die muss auch die Türkei wieder einhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir hier zu einer Einigung kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)