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Dr. Christoph Ploß: Wir werden in der Weltpolitik nur als vereintes Europa eine Rolle spielen

Rede zum Arbeitsprogramm 2019 der Europäischen Kommission

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zwingen uns alle zur Zusammenarbeit. Sie können nicht im Sinne des alten nationalstaatlichen Denkens von den einzelnen Ländern allein bewältigt werden.

Diese Sätze sagte der damalige Bundeskanzler und Ehrenbürger Europas, Helmut Kohl, im Jahre 1996. Auch heute, mehr als 20 Jahre danach, sind diese Sätze aktueller denn je; denn wenn wir über das Programm der Europäischen Kommission diskutieren und uns anschauen, vor welchen Herausforderungen wir heute stehen, ist vollkommen klar, dass wir diese als Bundesrepublik Deutschland nicht alleine bewältigen können. Wir brauchen dafür starke europäische Partner und ein starkes Europa.

Das zeigt schon ein Blick auf die bloßen Einwohnerzahlen: Die Chinesen sind mehr als 1 Milliarde Bürger auf der Welt. Auch Indien hat deutlich mehr als 1 Milliarde Einwohner. Die USA haben immerhin noch 330 Millionen Einwohner. Staaten in Afrika und Asien wachsen rasant. Allein der afrikanische Staat Nigeria wird nach UNO-Schätzungen im Jahr 2050 vermutlich 450 Millionen Einwohner haben. Das entspricht der Zahl der Bürger der gesamten Europäischen Union.

Deutschland hat heute circa 80 Millionen Einwohner und ist damit das größte Land der Europäischen Union. Aber – darauf haben auch meine Vorredner richtigerweise hingewiesen – wir sind im Weltmaßstab und im Vergleich zu den anderen Staaten klein. Deswegen werden wir in der Weltpolitik nur als vereintes Europa eine Rolle spielen und unserer Stimme dort Gehör verschaffen können.

Daher sind auch die Angriffe, die wir hier immer wieder vom linken und rechten Rand dieses Hauses hören, so gefährlich – wenn Sahra Wagenknecht die Europäische Union als Projekt der Ausbeuter bezeichnet oder wir bei der AfD sogar Stimmen hören, die mit dem Dexit liebäugeln und einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union vorantreiben wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Das ist der absolut falsche Weg.

Meine Damen und Herren, deswegen ist es so wichtig, dass wir die vernünftigen Kräfte im Deutschen Bundestag stärken und uns Europa nicht durch Angriffe von links und rechts kaputtmachen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn Europa ist letztlich wie ein Haus, in dem wir leben und das wir auch zum Leben brauchen, das Generationen vor uns erbaut haben, das wir aber in Zukunft weiterbauen und auch immer wieder renovieren müssen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Ploß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Weyel?

Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU):

Gerne doch.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: „Gerne“ ist gelogen!)

Dr. Harald Weyel (AfD):

Danke für die Zulassung der Frage, lieber Dr. Ploß. – Es ist ja generationsübergreifend so, dass immer die gleiche Rhetorik die europäische Angelegenheit begleitet,

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Sie erzählen, hören wir auch seit Jahrzehnten, den ganzen Müll!)

von wegen: Jedes Land ist einzeln zu klein, selbst das relativ große Deutschland usw. usf. – Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass Norwegen oder die Schweiz durchaus direkt mit China und sogar mit den USA Verträge schließen.

(Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

„Small is beautiful“, hat mal Hermann Lübbe, ein Philosoph, der sich von der Schweiz aus des Ganzen angenommen hat, gesagt.

(Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Zunächst eine Korrektur: Wir wollen eine Substanzreform; der Dexit ist kein Selbstzweck, kein L’art pour l’art. Um das zu bewirken, muss man eventuell einen anderen Ansatz verfolgen, nachdem es jetzt über 60 Jahre nichts mit einer Substanzreform geworden ist. Wir müssen auch feststellen, dass der Binnenmarkt eigentlich nicht realisiert wurde. Der Cecchini-Report hat Ende der 80er-Jahre festgestellt, dass in den damals vier Jahrzehnten noch nicht mal der Binnenmarkt verwirklicht wurde.

(Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die wohlwollendste Kritik – der können Sie sich vielleicht anschließen – ist doch, dass wir es bei der EU mit einer Versicherung zu tun haben, mit einer Überversicherungsgesellschaft.

(Marianne Schieder [SPD]: Wo ist die Frage?)

Die Kommission agiert als Vorstand einer solchen Versicherung. Es wird mit einem grellen Prospekt gearbeitet.

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das ist die Ideologie der Reichsbürger, die Sie da vertreten! – Weiterer Zuruf von der SPD: Was für ein seltsames Weltbild, Herr Professor!)

Es gibt Leistungsversprechen, die im Fall des Falles nicht eingehalten werden.

(Johannes Schraps [SPD]: Was wollen Sie uns sagen?)

Würden Sie die Leistungsversprechen von Schengen und Dublin, die uns ja dahin geführt haben, zu sagen, dass wir den großen Rahmen, die gemeinsame Außengrenze haben wollen, als erfüllt ansehen? Wenn nein, was ist Ihr Ansatz, um zu erzwingen, dass das, was im Kleingedruckten steht, auch geliefert wird?

Danke schön.

Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU):

Das Niedermachen und Schlechtmachen der Europäischen Union und Europas teile ich in keiner Weise, und ich habe ja am Anfang meiner Rede hier auch energisch widersprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wenn man sich die Geschichte der letzten Jahrzehnte anschaut, dann erkennt man, dass unsere Vorfahren das Friedensprojekt Europa begründet haben. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir hier auf dem europäischen Kontinent in Frieden leben.

(Johannes Schraps [SPD]: So ist es! – Beatrix von Storch [AfD]: Das war die NATO, nicht die EU!)

In allen Jahrhunderten gab es in Europa Krieg. Es mag für die jüngeren Generationen eine Selbstverständlichkeit sein, dass kein Krieg herrscht; das war es aber jahrhundertelang nicht. Deswegen ist Ihr Zündeln auch so gefährlich; denn es kann am Ende den Frieden in Europa gefährden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben wirtschaftliche Punkte angesprochen. Darauf möchte ich kurz eingehen. Man muss doch sagen: Europa ist einer der attraktivsten Wirtschaftsräume der Welt. Wir sind doch nicht umsonst in der ganzen Welt so angesehen. Das ist doch ein Grund dafür, dass viele Menschen nach Europa wollen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Ja! – Weiterer Zuruf von der AfD: Leider!)

Viele Menschen auf anderen Kontinenten sagen: Wir wollen Demokratie, Menschenrechte, Meinungsvielfalt und Toleranz wie in Europa haben.

(Beatrix von Storch [AfD]: Diese Phrasendrescherei ist nicht auszuhalten! Ehrlich!)

Ich möchte, dass wir diese europäischen Werte bewahren und stärken. Deswegen ist das, was Sie hier machen, so gefährlich. Ich kann Ihnen nur sagen, auch im Namen meiner Fraktion und aller Demokraten hier im Hause: Wir werden das in den nächsten Wochen deutlich machen, damit bei der Europawahl die Menschen Europa stärken und am Ende das friedens-, wirtschafts- und sicherheitspolitische Projekt Europa neue Kraft bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Schraps [SPD]: Das hat Herr Weyel nicht verstanden! – Uwe Schulz [AfD]: Phrasendrescher!)

Meine Damen und Herren, damit es so bleibt, müssen wir jetzt handeln. Denn die Aufgabe unserer Generation ist es – das hat der Kollege Philipp Amthor eben vollkommen zu Recht dargelegt –, Europa zu einem außen- und sicherheitspolitischen Akteur zu formen, einem Akteur, der auch in der Weltpolitik handlungsfähig ist, zum Beispiel beim Syrien-Konflikt, bei handelspolitischen Konflikten oder natürlich auch bei den großen Migrationsfragen.

Das beste Beispiel, das wir in der jüngeren Vergangenheit erlebt haben, war doch der Handelsstreit zwischen den USA und der Europäischen Union, bei dem wir als Europäische Union die Verhandlungen mit Donald Trump am Ende erfolgreich abgeschlossen haben, weil wir mit einer Stärke von 500 Millionen Europäern im Rücken auftreten konnten. Das dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen.

Wir werden aber nur dann eine Rolle als starker außenpolitischer Akteur in der Weltpolitik spielen, wenn wir das Einstimmigkeitsprinzip aufgeben und die europäischen Nationalstaaten den Mut haben, Kompetenzen auf die europäische Ebene zu verlagern.

(Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Da unterstützen wir als Unionsfraktion die Ansätze der Kommission,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil es anders nicht gehen wird, wie es auch der Kollege Gunther Krichbaum in seiner Rede hier dargelegt hat. Da möchte ich ihn mit Nachdruck unterstützen.

Wenn wir über die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union sprechen, dann möchte ich aber auch hervorheben, dass es natürlich nicht sinnvoll ist, automatisch alle Kompetenzen auf Europa zu übertragen. Die Entscheidungskompetenz über den Bau von örtlichen Straßen, von Radwegen, von Marktplätzen

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

soll natürlich weiterhin bei den Nationalstaaten oder bei den Kommunen verbleiben. Das soll nicht auf die europäische Ebene verlagert werden. Das entspricht dem häufig zitierten Subsidiaritätsprinzip, für das wir uns als CDU/CSU-Fraktion mit besonderer Leidenschaft einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Subsidiaritätsprinzip gilt auch bei den Steuersätzen. Wenn wir es ernst nehmen, dann brauchen wir natürlich nicht von Lissabon bis Tallinn einheitliche Steuersätze. Im Gegenteil: Da muss es Unterschiede geben. Das befeuert auch den Wettbewerb der Staaten untereinander. Deswegen sehen wir die Ansätze, die auf einheitliche Steuersätze zielen, kritisch.

Am Ende brauchen wir eine schlanke, effiziente Europäische Union, die sich um die großen Fragen kümmert. Nur so kann Europa in Zukunft erfolgreich und das europäische Haus sturmfest sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)