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Dr. Andreas Nick: "Der Europarat hat einen entscheidenden Beitrag zur europäischen Rechts- und Friedensordnung geleistet"

Rede zu 70 Jahre Europarat

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 70 Jahre Europarat – für uns in Deutschland ist dies zuallererst ein Grund zu tiefer Dankbarkeit; denn der Europarat war nicht nur die erste zwischenstaatliche Organisation in Europa nach 1945, sondern auch die erste, die Deutschland überhaupt wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen hat. Daran werden wir im nächsten Jahr mit 70 Jahren deutscher Mitgliedschaft erinnern.

Der Europarat blickt zurück auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte bei der Heranführung junger Demokratien an die Standards von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und pluralistischer Demokratie nach 1949 und erneut nach 1990. Lassen Sie mich festhalten: Ohne diese historische Leistung wäre auch die Heranführung der Staaten Mittel- und Osteuropas an die Europäische Union nicht denkbar gewesen. Damit hat der Europarat einen entscheidenden Beitrag zur europäischen Rechts- und Friedensordnung insgesamt geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Heute umfasst der Europarat 47 Mitgliedstaaten mit über 800 Millionen Menschen. Dazu gehören über die EU hinaus nicht nur Regionen wie der westliche Balkan und der Kaukasus, sondern auch große und manchmal durchaus schwierige Nachbarn wie Russland, die Ukraine oder die Türkei. Kernaufgabe des Europarats ist der Schutz der individuellen Menschenrechte. Dieser wird vor allem durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewährleistet.

Auch mit Blick auf manche politischen Debatten der letzten Jahre in der Parlamentarischen Versammlung muss ich aber zu bedenken geben: Nicht alles, was gesellschaftspolitisch vielleicht als wünschenswert erscheinen mag, ist deshalb gleich ein Menschenrecht. Oder, um es mit den Worten des französischen Philosophen André Glucksmann zu sagen: Bei den Menschenrechten geht es nicht um den jährlichen Urlaub im Club Méditerranée, sondern um die Verhinderung des Abstiegs in die Hölle.

Wir müssen deshalb in vielen Fällen deutlich früher ansetzen, nämlich bei der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und pluralistischer Demokratie.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Dünne Definition!)

Wenn dieser institutionelle Rahmen erodiert, dann können am Ende auch die Rechte des Einzelnen nicht mehr umfassend geschützt werden.

Es ist nicht zu bestreiten: Aktuell haben wir es mit einer neuen Herausforderung zu tun, nämlich mit einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten, die sich offenbar bewusst nicht mehr in diese Richtung bewegen will, sondern im Hinblick auf diese Standards andere Wege einschlägt. Das betrifft leider auch Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Polen und Ungarn. Grundsätzlich verfügt der Europarat durchaus über ein geeignetes Instrumentarium, vom Monitoringverfahren der Parlamentarischen Versammlung über die Gutachten der Venedig-Kommission bis hin zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs. Dieses wird aber bislang im Falle von Problemen in einzelnen Mitgliedstaaten nicht immer entschlossen und konsequent genug angewendet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am heutigen Tag wird aber nicht nur das 70-jährige Bestehen des Europarats gewürdigt; vielmehr werden vom Ministerkomitee heute in Helsinki auch wichtige Entscheidungen für seine weitere Zukunft getroffen. Der heutige Beschluss des Ministerkomitees stellt einen wichtigen Schritt zur Überwindung der institutionellen Krise zwischen den Organen des Europarates dar; Kollege Schwabe hat das ja schon dargestellt. Die Entscheidung bekräftigt auch die deutsche Position, die von der Bundesregierung und der Delegation gleichermaßen geteilt wird, nämlich dass Russland nach Möglichkeit Mitglied des Europarats bleiben soll, und zwar mit allen Rechten und Pflichten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn nur wenn dies gelingt, kann die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für 140 Millionen Bürger der Russischen Föderation auch weiter aufrechterhalten werden.

Ich will ausdrücklich der finnischen Präsidentschaft für ihre Bemühungen in den letzten Monaten danken. Sie hat einen herausragenden Beitrag für die Zukunft des Europarats geleistet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege Nick, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Dr. Andreas Nick (CDU/CSU):

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. – Mit der Etablierung eines robusten Sanktionsmechanismus für die Zukunft wollen wir gleichzeitig ein Instrument schaffen, um Staaten, die gegen unsere Grundwerte verstoßen, im Einklang mit dem Statut des Europarates wirksam sanktionieren zu können.

Darüber hinaus ist der Europarat aber auch bei wichtigen Zukunftsaufgaben gefragt. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Wir haben im Januar die Staaten Europas aufgefordert, durch die Einführung des sogenannten Magnitsky-Acts mit globaler Reichweite sicherzustellen, dass weltweit Täter sowie Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen gezielt und auf rechtsstaatlicher Grundlage sanktioniert werden können und nicht pauschal ganze Staaten oder Völker. Die Sanktionen sollen diejenigen, die Menschenrechte verletzen, persönlich treffen. Bei der Frage der ethischen Gestaltung künstlicher Intelligenz kann der Europarat wichtige Beiträge leisten im Hinblick auf ihre Nutzung im Einklang mit Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.

Konrad Adenauer hat den Europarat einst als das europäische Gewissen bezeichnet. Ich glaube, wir stimmen der Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung, ­Liliane Maury Pasquier, zu, die gestern Abend festgestellt hat: Unsere gemeinsame Geschichte und unser fester Wunsch, Europa zu einem friedlichen, prosperierenden Ort zu machen, sind stärker als die Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen und Konflikte, denen wir momentan gegenüberstehen. – Dies gilt nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Frank Schwabe [SPD])