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Andreas G. Lämmel: So kann man nicht mit den Beschäftigten eines Unternehmens umgehen

Rede in der Aktuellen Stunde zu Arbeitsplatzverlusten bei Siemens

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzte Umfrage der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Deutschland Anfang dieses Jahres

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Märchenstunde! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alles Ideologen!)

hat es an den Tag gebracht: Das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft hat in Deutschland einen Tiefstand erreicht. Das muss uns allen schon zu denken geben. Meine Damen und Herren, die Aktion, die Siemens jetzt in Gang gesetzt hat, wird noch ein paar Menschen mehr dazu bringen, an der sozialen Marktwirtschaft, die die Grundlage für das Wirtschaftsmodell Deutschland und den Erfolg Deutschlands darstellt, zu zweifeln.

Meine Damen und Herren, wir in der Politik können natürlich keine Arbeitsplätze schaffen; da stimme ich meinen Vorrednern zu. Wir können auch keine herbeizaubern. Aber wir können die Konzerne an ihre Verantwortung erinnern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kaeser ist einer, der ständig über die Verantwortlichkeit von Unternehmern philosophiert. Er meint auch: Das Wahlergebnis ist das Versagen der Eliten in Deutschland. – Ob er sich dazurechnet oder nicht, kann ich natürlich nicht sagen.

Was wir aber an dem Vorgehen von Siemens kritisieren, meine Damen und Herren, ist die Art und Weise, wie der Konzern diese Nachricht verkündet hat. Sie erinnern sich: Vor einigen Jahren hat sich die Siemens AG deutschlandweit dafür feiern lassen, dass sie einen Beschäftigungspakt, das sogenannte Radolfzell-II-Abkommen, beschlossen hat. Das heißt, Werkschließungen und Entlassungen können überhaupt nur nach vorheriger Absprache mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft verkündet werden.

Meine Damen und Herren, was hat Siemens hier gemacht? Siemens hat die Beschäftigten mit einer Pressekonferenz überrascht. Ich habe mit allen Betriebsräten gesprochen: Keiner der Betriebsräte, keiner der Werksleiter wusste von diesem geplanten Kahlschlag. Genau das ist der Kritikpunkt, den wir haben: So kann man nicht mit den Leuten umgehen. So kann man nicht mit den Beschäftigten eines Unternehmens umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Blicken wir doch einmal auf die beiden Werke, die in Sachsen geschlossen werden sollen. In Görlitz – Herr Kühn hat es kurz angesprochen – werden keine Gasturbinen, sondern Dampfturbinen für einen universellen Einsatz hergestellt. Schon vor drei Jahren hat in Görlitz eine Umstrukturierung stattgefunden, die über 100 Arbeitsplätze gekostet hat, meine Damen und Herren. Es ist nicht so, dass das Werk geschlossen werden soll, und damit ist die Produktion weg. Nein, das Problem ist – jetzt kommt der zweite Punkt –: Es geht hier um eine Umlagerung der Produktion von Görlitz nach Mülheim. Das heißt also, Know-how aus der Region wird in die alten Bundesländer verlagert, die Arbeitsplätze verschwinden und damit die Berufsausbildung und auch die Weiterbildung. Ein Riesennetzwerk wird also aus Görlitz verschwinden.

Meine Damen und Herren, die Beschäftigten in Görlitz – das muss man sich immer wieder auf der Zunge zergehen lassen – sind Mitglied im Siemens-Konzern. Sie verdienen nach wie vor ungefähr 13 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in den alten Bundesländern.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das habe ich ja gesagt!)

Wie es effizienter sein soll, die Produktion nach Mülheim zu verlagern, muss mir Herr Kaeser einmal vorrechnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Genau derselbe Blick nach Leipzig: In Leipzig werden keine Gasturbinen hergestellt. In Leipzig werden Kompressoren hergestellt. Von 170 industriellen Vorhaben, die in Leipzig realisiert worden sind, sind 5 Kompressorenanlagen für Kraftwerke. 165 Anlagen wurden in die Gasindustrie, in die Ölindustrie, in die Petrochemie und in die chemische Industrie geliefert. Also besteht auch dort im Prinzip kein direkter Zusammenhang zum geplanten Stellenabbau. Nun kommt der Gipfel: Das Werk in Leipzig ist nicht einmal im Tarifverbund Ost. 27 Jahre nach der deutschen Einheit betreibt Siemens Werke, die nicht einmal zum Tarifgebiet Ost gehören. Erst jetzt hat sich Siemens bereit erklärt, im Rahmen eines fünfjährigen Stufenplans das Werk in Leipzig in den Tarif Ost zu heben. Für einen Konzern, der weltweit aufgestellt ist, ist das ziemlich skandalös.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht mir nicht darum, in unternehmerische Entscheidungen einzugreifen; das geht auch gar nicht. Siemens muss selbst wissen, wie es seine Zukunftsfähigkeit herstellt. Ein Mittelständler würde zuerst immer darüber nachdenken, was er machen kann, um auch morgen die Fähigkeiten seiner gut ausgebildeten Beschäftigten zu nutzen und den Standort zu erhalten bzw. auszubauen. Genau das verlangen wir auch von Siemens. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten und werden mit ihnen gemeinsam kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)