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(Quelle: Unsplash.com)

"Es gibt keine einseitige Abhängigkeit von Russland"

Fragen und Antworten zur Nord Stream 2 an Joachim Pfeiffer

Die Gaspipeline Nord Stream 2 ist derzeit eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Ende dieses Jahres soll die Pipeline, die auf einer Länge von 1.200 km unter der Ostsee entlang führt, Erdgas von Russland direkt nach Deutschland transportieren. Die EU-Kommission hat sich jetzt auf eine Änderung der EU-Gasrichtlinie verständigt, die zusätzliche Auflagen für den russischen Betreiber Gazprom beinhalten. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, beantwortet im Kurzinterview die wichtigsten Fragen.

Der Bedarf Deutschlands an Importgas wird in den nächsten Jahren steigen. Welche Rolle spielt hier die Gaspipeline Nord Stream 2? 

„Deutschland tut gut daran, die bisherige europäische Diversifizierungsstrategie der Energiequellen und Transitrouten fortzusetzen. Deutschlands Ausstieg aus der Kern- und Kohlekraft macht es perspektivisch erforderlich, etwaige Versorgungslücken durch Gas zu schließen, denn die fluktuierenden erneuerbaren Energien können dies nur eingeschränkt leisten. Bislang kommt Erdgas vor allem über Leitungen aus den Niederlanden, Russland und Norwegen. Allerdings entwickelt sich die einheimische und niederländische Gasförderung in den nächsten Jahren stark rückläufig. So ist nach aktuellen Prognosen davon auszugehen, dass Europa bis 2030 einen zusätzlichen Gasbedarf von 50 Milliarden Kubikmeter bis 120 Milliarden Kubikmeter hat. Kurzum: Deutschland und Europa sind künftig verstärkt auf Gasimporte angewiesen. Die Ostseepipeline Nord Stream 2 kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Aber auch LNG-Terminals (Liquefied natural gas oder Flüssiggas) können zur Diversifizierung der Gasbezugsquellen und Erhöhung der Versorgungssicherheit beitragen. Die Bundesregierung unterstützt daher auch den Ausbau der Flüssiggasinfrastruktur.“

Macht der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 Deutschland nicht zu stark abhängig von Russland?  

"Nein, das trifft nicht zu. Die Zahlen belegen, dass es keine einseitige Abhängigkeit von Russland gibt und auch mit Nord Stream 2 nicht geben wird. Zum einen ist Russland heute bereits stärker auf die Einnahmen aus den Gasexporten nach Europa abhängig, als umgekehrt Europa von russischen Gaslieferungen. Nicht zuletzt deshalb war ja Moskau auch seit vielen Jahrzehnten ein zuverlässiger Lieferant, selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Zum anderen gibt es in der EU inzwischen eine Vielzahl von Verbindungspipelines zwischen den Ländern, außerdem über 30 Terminals für Flüssiggas (LNG). Jede Gaslieferung nach Europa – ob aus Norwegen, den USA, Aserbaidschan, Katar oder Russland – stärkt somit die Liquidität des europäischen Marktes insgesamt. Der europäische Markt ist durch das hohe Gasangebot inzwischen ein klassischer Käufer-Markt geworden. Erpressungsversuche eines einzelnen Anbieters sind damit faktisch nicht mehr möglich. Außerdem sind zum Beispiel schon die bestehenden LNG-Terminalkapazitäten – nicht mitgezählt die geplanten bzw. in Bau befindlichen - in der EU nur zu 25 Prozent ausgelastet. D.h. es bestünde noch ausreichend Kapazität für zusätzliche Lieferungen, sollte ein Lieferant ausfallen. Ebenso wichtig ist, dass durch eine hohe Liquidität des Marktes die Gaspreise nicht mehr durch einen einzelnen Anbieter diktiert werden können. Dafür gibt es zu viel Gas und zu viele Lieferalternativen. Ohnehin ist bei der Frage der Abhängigkeit nicht entscheidend, durch welche Rohrleitung das russische Gas kommt, wie Bundeswirtschaftsminister Altmaier richtig anmerkte.“

Steht Nord Stream 2 in Einklang mit den Zielen der europäischen Energieunion und des europäischen Energiebinnenmarktes, gerade auch im Hinblick auf die Sicherheitsbedenken der Ukraine und unseren osteuropäischen Nachbarn?

„Wie bereits erläutert, stärkt Nord Stream 2 den europäischen Binnenmarkt, weil diese Gaspipeline einen weiteren Beitrag zur Diversifizierung leistet. Ein hohes Angebot an Gas führt zur Steigerung der Liquidität. Eine erhöhte Liquidität wiederum kurbelt den Wettbewerb an, wodurch letztlich die Preise sinken. Davon profitieren alle Verbraucher in Europa. 

Nord Stream 2 unterwandert also keineswegs die Ziele der europäischen Energieunion, sondern im Gegenteil. Dennoch nehmen wir die Bedenken der Ukraine, Polen und des Baltikums sehr ernst. Bisher kam das meiste Gas über das ukrainische Pipelinesystem zu uns. Die Ukraine befürchtet den Verlust von zwei Milliarden Dollar an Transiterlösen pro Jahr. Daher ist es richtig, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlungen für eine Fortführung des Ukraine-Transits auch nach Fertigstellung von Nord Stream 2 einsetzt. Der Bundeswirtschaftsminister unterstützt hierbei die EU-Kommission in den trilateralen Gesprächen mit der Ukraine und mit Russland. Ich bin optimistisch, dass hier eine Lösung gefunden wird. Die Ukraine selbst hat übrigens kein Versorgungssicherheitsproblem, da sie ohnehin inzwischen weitgehend aus der EU mit Gas versorgt wird. Auch sie profitiert somit von einem liquiden Binnenmarkt.“

Deutschland erfährt im öffentlichen Diskurs den stärksten Gegenwind. Es entsteht der Eindruck, Nord Stream 2 sei ein rein deutsches Projekt? 

"Das ist aber nicht zutreffend. Nord Stream 2 ist ein europäisches Projekt. Mit Wintershall, Uniper, OMV, Royal Duch Shell und Engie wird das rund 10 Milliarden Euro teure Projekt von Partnern aus verschiedenen EU-Ländern mit finanziert. Daran wird auch deutlich, dass Nord Stream 2 ein privatwirtschaftliches Projekt ist, für das keine Fördermittel von Seiten der Bundesregierung fließen. Außerdem kommt es dem EU-Binnenmarkt aus den genannten Gründen insgesamt zugute."