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(Quelle: Fotograf Laurence Chaperon)

"Die Menschen erwarten das von uns"

Volker Kauder im Interview mit der F.A.Z.

Volker Kauder mahnt in der Auseinandersetzung um Landwirtschaftsminister Schmidt zu Zurückhaltung. „Wir brauchen alle in dieser schwierigen Lage einen kühlen Kopf“, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z. Das Interview in voller Länge: 

Frage: Herr Kauder, hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) mit seiner Entscheidung, der Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in Brüssel zuzustimmen, den Gesprächen der Union mit der SPD einen Bärendienst erwiesen?

Kauder: Die SPD ist mit der Entscheidung natürlich nicht glücklich, weil ihre Umweltministerin Barbara Hendricks eine andere Position vertrat. In der EU stand aber nach langen Debatten nun eine Entscheidung an. Die EU-Kommission hätte sich offenbar ohnehin für eine Verlängerung entschieden, weil die vielfach behauptete Schädlichkeit nicht nachweisbar ist. Der Minister hat erreicht, dass diese Entscheidung nun im Sinne des Gesundheits- und Naturschutzes mit einigen Bedingungen versehen wurde. Jetzt ist die Zulassung um fünf Jahre verlängert, ursprünglich standen sogar einmal 15 Jahre im Raum. Drei Jahre wären mir lieber gewesen, um die Sache noch besser im Auge zu behalten.

Frage: Barbara Hendricks und die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sprechen von einem schweren Vertrauensbruch.

Kauder: Das sehe ich nicht. Wir werden in den nächsten Tagen mit der SPD sicher noch einmal über den Vorgang reden. Ich möchte dazu beitragen, dass dieser Vorgang die anstehenden Gespräche nicht belastet. Wir brauchen alle in dieser schwierigen Lage einen kühlen Kopf. Die Bürger erwarten das von uns. Es geht gerade in unserer Demokratie um sehr viel.

Frage: Der Vorwurf der SPD lautet, der Landwirtschaftsminister habe auch gegen die Maßgabe der Geschäftsordnung der Bundesregierung verstoßen, im Falle von Differenzen im Kabinett müsse man sich in Brüssel der Stimme enthalten.

Kauder: Es gab Differenzen zwischen dem Landwirtschaftsminister und der Umweltministerin. Wenn diese nicht zusammengebracht werden können, muss sich der Vertreter der Bundesregierung in europäischen Räten der Stimme enthalten.

Frage: Die SPD-Fraktionsvorsitzende Nahles sagte, sie frage sich, ob Merkel ihren Laden noch im Griff habe.

Kauder: In der Sache halte ich das Glyphosat-Votum für vertretbar. Allerdings wurde hier wurde nach Aussage der Bundeskanzlerin gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung verstoßen.

Frage: Auch die Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen sind ja, wie es der FDP-Vorsitzende Christian Lindner ausdrückte, an einem mangelnden Vertrauen zwischen den Beteiligten gescheitert.

Kauder: Christian Lindner hat seine Meinung vertreten. Ich beurteile das ganz anders. Herrn Lindners Rückzugs-Entscheidung haben wir natürlich zu respektieren. Sondierungen sind nun einmal dazu da, um zu klären, ob man miteinander arbeiten kann. Wenn einer der Beteiligten dies nicht so sieht, muss man das akzeptieren. Schuldzuweisungen sollte man aber nicht vornehmen.

Frage: Schließen Sie denn, was die Gespräche mit der SPD angeht, eine Minderheitsregierung aus?

Kauder: Ich begrüße außerordentlich, dass die SPD bereit ist, Gespräche über einen Ausweg aus der jetzigen Lage zu führen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Wir streben die Bildung einer Koalitionsregierung an, weil unser Land Stabilität und Verlässlichkeit braucht.

Frage: Es wurde berichtet, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe im CDU-Bundesvorstand auch die Optionen Minderheitsregierung und vorgezogene Bundestagswahl nicht ausgeschlossen.

Kauder: Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass wir jetzt mit der SPD ernsthaft in Gespräche gehen. Über Neuwahlen hat die Bundeskanzlerin gar nicht aktuell zu entscheiden. Das ist Sache des Bundespräsidenten.

Frage: Aber der Bundespräsident folgt, wie sich das bei früheren Gelegenheiten erwiesen hat, stets der Empfehlung des Bundeskanzlers.

Kauder: Zunächst einmal muss ein Bundeskanzler gewählt sein. Wenn er mit der absoluten Mehrheit gewählt ist, ist er im Amt, könnte aber später einmal die Vertrauensfrage im Bundestag stellen und so Neuwahlen herbeiführen, was aber übrigens nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so einfach wäre. Wenn er aber lediglich eine relative Mehrheit im Bundestag bekommt, entscheidet der Bundespräsident, ob er zu Neuwahlen ansetzt. Darüber sollten wir aber jetzt nicht spekulieren. Wir wollen mit der SPD darüber sprechen, ob wir gemeinsam eine stabile Regierung stellen können. Daraus konzentrieren wir uns.

Frage: In Ihrer Partei gibt es die Befürchtung, es solle um jeden Preis ein Bündnis mit der SPD geschmiedet werden.

Kauder: Eigentlich ist es eine Binsenweisheit: Für eine Koalition müssen die Partner immer aufeinander zugehen und Kompromisse schließen. Natürlich gibt es auch Punkte, bei denen die eine oder andere Seite sagt: Diese Hürde können wir nicht nehmen. Als Beispiel nenne ich die Migrationspolitik. CDU und CSU haben ein Regelwerk verabredet. Dieses Regelwerk, so meinen wir, ist die richtige Antwort auf die Herausforderung durch die Migration, die gerade in Afrika immer noch anhält. Dieses Regelwerk möchten wir umsetzen.

Frage: Bei den Sondierungsgesprächen mit FDP und Grünen gab es ja schon einige Ergebnisse und Verabredungen. Die Frage ist, ob diese Verabredungen weiterhin Bestand haben. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagt, Verbesserungen bei der Mütterrente seien der CSU zugesagt worden. Bliebe das auch in einer großen Koalition so?

Kauder: Wir haben in unseren Parteigremien verabredet: Jetzt ist alles auf null und die Gespräche fangen logischerweise von vorn an. Wir können doch nicht die Zwischenstände der Sondierungsgespräche mit ganz anderen Parteien, die auch Kompromisscharakter hatten, zum Ausgangspunkt neuer Verhandlungen machen. Die Grundlage für die Gespräche mit der SPD ist das gemeinsame Regierungsprogramm von CDU und CSU.

Frage: Und da steht die Mütterrente nicht drin?

Kauder: So, wie wir die Wünsche der CSU aus ihrem Bayernplan in die Gespräche mit FDP und Grünen eingeführt haben, werden wir das auch in den Gesprächen mit der SPD tun. Dann werden wir sehen, zu welchen Ergebnissen wir kommen.

Frage: Gilt das auch für die Zugeständnisse der Union an FDP und Grüne, Einschränkungen bei der Vorratsdatenspeicherung vorzunehmen?

Kauder: Die Sondierungsgespräche, die wir mit FDP und Grünen geführt haben, werden wir jetzt nicht mit der SPD fortsetzen. Wir werden mit der SPD neu beginnen. Im Sinne der Bürger wollen wir eine möglichst effektive Vorratsdatenspeicherung.

Frage: Gesundheitspolitiker der SPD fordern die Einführung einer Bürgerversicherung.

Kauder: Bisher habe ich diese Forderung nicht von der SPD insgesamt gehört, sondern nur von deren Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Die Union will das Miteinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung erhalten. Dieses System hat sich bewährt. In kaum einem Land gibt es eine so gute Krankenversorgung wie bei uns, trotz einiger Mängel, die wir natürlich auch kennen.

Frage: Beim Mittelstand der Union gibt es die Sorge, dass die CDU-Führung in der Wirtschaftspolitik zu viele Zugeständnisse an die SPD macht. Was wird es auf keinen Fall geben?

Kauder: In unserem Regierungsprogramm haben wir Vollbeschäftigung spätestens bis zum Jahr 2025 als Ziel formuliert. Das kann nur mit einer wachsenden Wirtschaft funktionieren. Auch unsere Ziele des ausgeglichenen Haushalts und der Entlastung der Steuerzahler können nur mit einer starken Wirtschaft erreicht werden. Wir streben massive Investitionen in Bildung und Infrastruktur an und auch das ist nur mit einer starken Wirtschaft zu schaffen. Deswegen braucht sich unser Wirtschaftsflügel keine Sorgen zu machen.

Frage: Es gibt ja die Befürchtung, die Wiederauflage einer großen Koalition bedeute ein bloßes „Weiter so“.

Kauder: Genau das darf nicht passieren. Eine neue große Koalition müsste sich der Modernisierung des Landes verschreiben, einer Modernisierung gemeinsam mit den Menschen. Dazu gehört insbesondere die Digitalisierung unserer Schulen, aber auch ein Konzept zur Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland, also ein modernes Fachkräftezuwanderungsgesetz. Mit dem trägen derzeitigen Planungsrecht kommen wir nicht mehr aus. Es muss alles schneller gehen. Deutschland braucht einen Modernisierungsschub, um den Wohlstand zu sichern.

Frage: Zu einem anderen Thema: Einige Felder der Außenpolitik geraten im Moment aus dem Blickfeld. Dazu gehören die Anschläge in Ägypten und die Krisen im Libanon und Jemen. Sie haben sich immer wieder um die Region gekümmert. Wie ist Ihre Bewertung?

Kauder: Diese Region in unser Nachbarschaft ist weiter in großer Unruhe. Diese Unruhe steigt sogar noch. Wir müssen uns um die Region viel mehr kümmern. Im Jemen hungern Millionen Menschen, und niemand interessiert sich dafür. Die Lage im Libanon und im Irak ist instabil, die Zukunft Syriens ist trotz der Erfolge Im Kampf gegen den IS ungewiss. Die Amerikaner ziehen sich aus der Region zurück und überlassen Russland, der Türkei und dem Iran das Feld. Europa muss versuchen, hier diplomatisch mehr Einfluss zu nehmen. Auch dafür brauchen wir eine starke Bundesregierung. Wir müssen verhindern, dass Ägypten durch den IS-Terror immer mehr geschwächt wird. Je mehr Stabilität wir im Nahen Osten haben, desto stabiler ist auch Europa. Ich erinnere da nur an das Jahr 2015, das Jahr der Fluchtbewegung.

Frage: Die Krisen in der Region sind ja eine Ursache des islamistischen Terrors in Europa. Bald jährt sich der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Nun sind Bilder aufgetaucht, nach denen der Attentäter Anis Amri mit Handfeuerwaffen posierte. Ist es nicht langsam Zeit für weitere politische Konsequenzen?

Kauder: Im Fall Amri haben mehrere Sicherheitsbehörden eindeutig versagt. Es ist seitdem viel geschehen. Wir haben die Gesetze verschärft und auch die Kooperation der Sicherheitsbehörden ist besser geworden. Dennoch: Das jetzt erkannte Versäumnis zeigt einmal mehr, dass wir auch von Seiten des Bundes noch einmal eine gründliche parlamentarische Aufarbeitung benötigen. Kurz: Wir brauchen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags. Allein die Fehler-Liste, die der ehemalige Bundesanwalt Jost als Sonderermittler des Landes Berlin kürzlich aufgestellt hat, ist schlicht niederschmetternd. Nötig sind eine umfassende Fehleranalyse und Handlungsempfehlungen des Bundestags. Es geht um unser aller Sicherheit!