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(Quelle: Foto Laurence Chaperon)

Deutschlands Wirtschaft muss wettbewerbsfähig bleiben

Volker Kauder im Interview mit dem Handelsblatt

Solidaritätszuschlag, Steuersenkungen, Bundeshaushalt und Sozialpaket - Volker Kauder über die Vorhaben der Koalition in dieser Wahlperiode. 

Herr Kauder, konnten Sie sich im Urlaub etwas von den Strapazen erholen?

Kauder: Eine Woche hatte ich frei. Davor habe ich wie immer eine Sommertour durch meinen Wahlkreis gemacht. Es war wieder interessant, was die Menschen berichtet oder gefragt haben. Die waren vermutlich verwundert über den quälenden Flüchtlingsstreit, den die Union vor der Sommerpause aufgeführt hat.
Dazu gab es natürlich Nachfragen. Den Bürgern brennen aber auch andere Themen unter den Nägeln – wie der Mangel an Wohnraum oder der Dieselskandal. 

Kaum ist die Sommerpause vorbei gibt es nun Ärger zwischen Union und SPD um die Rentenpolitik. Wofür steht die Große Koalition noch außer für Streit und Stillstand? 

Kauder: Die Koalition arbeitet und trifft wichtige Entscheidungen: Denken Sie an die grundsätzliche Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge oder die für alle Verbraucher wichtige Musterfeststellungsklage. Der Haushalt 2018 wurde verabschiedet. Jetzt stehen wir kurz vor dem Abschluss eines großen Sozialpakets. 

Aber es geht nie ohne Streit. 

Kauder: Volksparteien müssen deutlich machen, was ihre Grundsätze sind, und worin sie sich unterscheiden. Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen. Wenn es um die Sache geht, kann diskutiert werden.  

Dann begrüßen Sie die von Finanzminister Olaf Scholz angezettelte Rentendebatte?

Kauder: Eine Koalition sollte sich erst einmal damit beschäftigen, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Es stehen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, die Ausweitung der Mütterente und die Stabilisierung des Rentenniveaus für die nächsten Jahre an. Das wird Vielen helfen. Die Koalition als Ganzes muss das den Bürgern auch so vermitteln. Alles vorher zu zerreden, indem man schon das übernächste Projekt diskutiert, wie dies zuletzt einige SPD-Politiker taten, nützt uns als Regierungsparteien gar nichts. Die Bürger werden so nie glauben, dass es jetzt schon Fortschritte gibt. Wir brauchen Besonnenheit in der Rentendiskussion. Für die Zeit nach 2025 soll deswegen eine von der Koalition eingesetzte Kommission Vorschläge entwickeln. Dieser Vorgaben zu machen, die auch noch als unverhandelbar markiert werden, macht keinen Sinn. Dann braucht die Kommission gar nicht mit der Arbeit zu beginnen.

Aber in den Umfragen zeigt sich, dass Scholz‘ Vorstoß gut ankommt. Macht Ihnen das Sorge?

Kauder: Das war erwartbar. Zwei Versprechen kommen immer an: ein stabiles Rentenniveau und keine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wenn man aber in den Gesprächen darauf hinweist, dass die Vorschläge finanzierbar und für die junge Generation tragbar sein müssen, werden die Menschen schnell nachdenklich…  

Die SPD schlägt vor, die Steuern zu erhöhen, um die Renten zu finanzieren.

Kauder: Wir haben doch so gute Staatseinnahmen, dass es geradezu absurd ist, jetzt über Steuererhöhungen zu sprechen.

Dann lassen Sie uns doch über Steuersenkungen sprechen. 

Kauder: Bitte! 

Die Koalition könnte den Solidaritätszuschlag in dieser Legislaturperiode komplett abschaffen. 

Kauder: Wir schaffen den Soli für 90 Prozent der Steuerzahler ab. Das haben wir im Koalitionsvertrag bereits vereinbart. Da sprechen wir immerhin über eine Entlastung von zehn Milliarden Euro ab 2021. Wir haben die Familien über das höhere Kindergeld und einen höheren Freibetrag bereits entlastet. Bei der Arbeitslosenversicherung senken wir den Beitrag um 0,5 Prozent und vielleicht geht noch ein bisschen mehr. Es passiert schon was. Das Thema Steuerentlastung schauen wir uns noch an. 

Das klingt jetzt aber alles nicht nach einer großen Entlastung. 

Kauder: Das sehe ich anders. Steuerlich sind es immerhin jetzt schon rund 20 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode. Wir sind keine Haushaltshasardeure und es gibt eben auch überall Modernisierungsbedarf. Stichwort Bundeswehr. Mit Freude habe ich den Beitrag von Außenminister Heiko Maas im Handelsblatt gelesen, in dem er wie wir auch für höhere Verteidigungsausgaben plädiert. Dafür werde ich mich gerne mit ihm zusammen bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz einsetzen. Wir müssen die Schulen ans Netz bringen. Auch die Digitalisierung der Bundesverwaltung und der Ausbau des schnellen Internets müssen vorangebracht werden. Das sehe ich, wie im Koalitionsvertrag beschrieben, als zunächst vorrangig an. Wir tun, was machbar und sinnvoll ist.  

Die USA haben gerade die Unternehmenssteuer kräftig gesenkt. Sehen Sie hier keinen Handlungsbedarf?

Kauder: Wir müssen aufpassen, dass die deutsche Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleibt. Unsere vielen Familienunternehmen, das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, zahlen allerdings Einkommensteuer. Von einer Senkung der Körperschaftsteuer würden sie nicht profitieren. Das macht eine zielgerichtete Reform schwierig. 

Also lieber gar nichts ändern?

Kauder: Wie gesagt, wenn es machbar und sinnvoll ist. Aber es gibt auch andere Dinge, die für die Wettbewerbsfähigkeit wichtig sind. Dazu zählen die Stromkosten. Unser Ziel muss sein, dass sich die Strompreise nicht weiter verteuern. 

Neben der Steuerbelastung und den Stromkosten treibt die Wirtschaft der Fachkräftemangel um. Was spricht da gegen die Forderung der SPD, gut integrierte Flüchtlinge nicht mehr abzuschieben?

Kauder: Es fehlen mittlerweile nicht mehr nur Fachkräfte. In einigen Regionen und Branchen haben wir einen Arbeitskräftemangel, etwa in der Bauindustrie. Mit den Beratungen für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird im Bundestag noch in diesem Jahr begonnen werden. Die Sache eilt. Wir müssen aber zwischen Zuwanderung und Asyl trennen. An einer Stelle sind wir aber allerdings heute schon großzügig: Auch abgelehnte Flüchtlinge können unter Bedingungen für die Zeit der Ausbildung und zwei Jahre danach in Deutschland bleiben, wenn sie Arbeit haben. 

Also sind die Klagen der Unternehmen unberechtigt, wonach ihre Mitarbeiter mit Abschiebung rechnen müssen?

Kauder: Es gibt berechtigte Klagen. Manchmal stellt sich aber auch heraus, dass im Asylverfahren von dem Flüchtling falsche Angaben gemacht wurden. Ich bitte auch die Frage des Spurwechsels nicht zu überhöhen. Wer tatsächlich fünf Jahre in Deutschland ist, ausgebildet worden ist und arbeitet, hat bereits jetzt Chancen auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht.  

Sie haben über Investitionen gesprochen. Allerdings gibt der Staat vornehmlich Geld für Sozialleistungen aus. Eine Billion Euro im Jahr werden es bald schon sein. Wie erklären Sie diese Unwucht?

Kauder: Wir müssen investieren und wir investieren auch. Ein Problem sind oft die Kapazitäten in der Wirtschaft. Im Übrigen: Auch die Unterstützung von Familien und Kindern fallen zum Teil unter die Sozialkosten. Sie sind aber ganz sicher Investitionen in die Zukunft. Das gilt auch für die Bildungsausgaben. 

Der Verschleiß der Infrastruktur lässt sich prognostizieren, ebenso der demographische Wandel und die Entwicklung der Kinderzahl. Warum hat die Politik es versäumt, vorsorgend zu handeln?

Kauder: Zu Beginn des Schuljahrs fehlen in vielen Ländern ausgebildete Lehrer, insbesondere an den Grundschulen. Mancher hat die Stirn gerunzelt, als ich von der Gefahr eines Bildungsnotstands gesprochen habe. Aber es gibt für die Zukunft eines Landes kaum etwas Wichtigeres als gute Schulen. Dass es in einzelnen Ländern große Defizite gibt, kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Also müssen wir uns in Deutschland ehrlich machen, einmal die Lage tiefgreifend analysieren und Abhilfevorschläge machen. Was soll daran falsch sein? Und ja, wir sind beim Ausbau des schnellen Internets zu langsam und müssen uns noch mehr um Fachkräfte bemühen. 

Manch Ökonom sieht eher die Sparrunden für die schwarze Null als Grund dafür, dass wir heute den Investitionsstau haben. 

Kauder: Also bitte! Alle haben doch gesagt, wir sollen die Verschuldungspolitik beenden. Das haben wir gemacht. Es ging auch um die Einhaltung der Stabilitätsziele für den Euro, die wir doch von den anderen Euro-Ländern ebenfalls verlangen. Trotzdem haben wir hohe Einnahmen, die wir jetzt investieren können. Fazit: Es war richtig und ist richtig, die Haushalte zu konsolidieren. 

Ihre Partei arbeitet an einem Konzept für eine soziale Marktwirtschaft in der digitalen Welt. Wie soll die aussehen neben dem Credo ausgeglichener Haushalte?

Kauder: Die Beratungen beginnen jetzt. 

Also warten wir wieder auf ein Ergebnis einer Kommission?

Kauder: Ich will einen Punkt nennen: Zur sozialen Marktwirtschaft gehört die Wahrung eines fairen Wettbewerbs. Hier machen mir die Internetgiganten wie Facebook und Amazon Sorgen. Ich bin gespannt, zu welchen Ergebnissen das Bundeskartellamt bei seinen Prüfungen kommt. Wir alle müssen uns auch bewusst machen, was es für unser Leben bedeutet, wenn wir nur noch bei Amazon einkaufen. Das mag bequem sein, lebendige Innenstädte können wir aber vergessen.  

Wie stark soll die Politik in Branchen künftig eingreifen?

Kauder: Der Schutz des fairen Wettbewerbs ist wichtig. Genauso wie der Schutz unserer nationalen Interessen bei Unternehmensverkäufen. Aktive Industriepolitik hat aber ebenfalls ihre Berechtigung. Beispiel: Unsere Autobranche. Wenn ein großer Teil der Wertschöpfung in dieser Branche nach Asien abwandern könnte, weil dort die Batteriezellen hergestellt werden, muss uns das beschäftigen. Ich sehe die Kaufförderung für Elektroautos kritisch. Die Forschung und Produktion in der Batteriezellenbranche in Deutschland zu unterstützen, halte ich hingegen wegen ihrer Bedeutung für die deutsche Autoindustrie für richtig. In Ihrer Zeitung habe ich eine Debatte gelesen, ob nicht auch die Bankenwelt politisch begleitet neu strukturiert werden müsse. 

Muss sie?

Kauder: Jedenfalls haben wir derzeit keinen echten Globalplayer aus der allerersten Reihe mehr in Deutschland. Die Deutsche Bank ist leider von alter Größe ein Stück entfernt. Ich hoffe, dass sich die Lage verbessert. Ich glaube, dass unsere Weltmarktführer schon von zwei kräftigen Großbanken profitieren könnten. Ansonsten ist unsere Bankenlandschaft ja eher zerstückelt. Wir müssen uns überlegen, wie wir in Deutschland wieder leistungsfähige Großbanken bekommen. 

Das klingt nach einem Paradigmenwechsel, zehn Jahre nach der Lehman-Pleite. Damals konnte nicht genug reguliert und Banken geschrumpft werden. Wurde übertrieben?

Kauder: Es musste energische Krisenvorsorge betreiben werden. Dazu war das Versagen in vielen Banken zu groß. Es konnte doch nicht damit weitergehen, dass die Institute die Gewinne einstreichen und die Steuerzahler im Krisenfall die Verluste übernehmen. Die Regulierung ist berechtigt. Dennoch müssen wir uns mehr um den Finanzsektor kümmern.  

Wie soll das gelingen?

Kauder: Darüber sollten sich die Fachleute jetzt Gedanken machen. Aber die Politik muss dem Problem mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Bankenwelt wird sich allein durch die Digitalisierung verändern. Dennoch wäre es wünschenswert, dass wir weiterhin Filialen im ländlichen Raum haben. Aber wir müssen eben auch an die Stellung unserer Wirtschaft im globalen Wettbewerb denken.  

Es gab in den vergangenen Tagen Diskussionen darüber, ob nicht ein Deutscher wie Bundesbank-Chef Jens Weidmann künftig die Geschicke der Europäischen Zentralbank lenken soll, um den Menschen auch wieder Vertrauen in die Währungspolitik zu geben. Warum setzt Deutschland offenkundig lieber auf die Position des EU-Kommissionschefs?

Kauder: Diese Personalfragen sind sehr sensibel. Da bin ich zurückhaltend. Ich halte es aber für zwingend, eine der wichtigen Positionen mit einem Deutschen zu besetzen. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeskanzlerin jetzt erst einmal Gespräche führt.

Wären Sie bereit nach Brüssel zu wechseln?

Kauder: Nein.

Sie stehen Ende September zur Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender. Haben Sie angesichts des harten Unionsstreits der vergangenen Monate daran gedacht, auf eine Kandidatur zu verzichten?

Kauder: Als Vorsitzender der gemeinsamen Bundestagsfraktion habe ich es als meine Aufgabe empfunden, den Streit nicht weiter anzuheizen, sondern zu seiner Beilegung beizutragen – was ja dann auch gelungen ist. Es war von Anfang an mein Anliegen, die Fraktion die gesamte Wahlperiode zu führen. Ich kandidiere wieder, weil ich glaube, sowohl in der Fraktion als auch für die große Koalition etwas voranbringen zu können. 
 

Das Interview ist am 29.8.2018 im Handelsblatt erschienen.