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(Quelle: picture alliance/ dpa)

Bruch des INF-Vertrags ist Zäsur für unsere Sicherheit

Russland droht durch nukleare Aufrüstung das Kräftegleichgewicht in Europa zu verschieben. Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, schreibt in einem Gastbeitrag für die WELT, wie die Nato Moskau Paroli bieten muss – und welche Rolle Deutschland dabei spielt.

Der Bruch des INF-Vertrags ist – wie schon die Verletzung der Grenzen der Ukraine im Jahr 2014 und damit der Charta von Paris – eine Zäsur für die Sicherheit Europas. Es droht eine substanzielle Verschiebung des Kräftegleichgewichts in Europa. Darauf bedarf es einer besonnenen und in der NATO abgestimmten Antwort. Keine Option des Westens darf von vornherein ausgeschlossen werden. Dies würde unsere Verhandlungsposition schwächen. Ich kann nicht verstehen, dass von Seiten der politischen Linken, auch in Teilen unseres Koalitionspartners SPD, reflexartig bestimmte Gegenmaßnahmen ausgeschlossen werden. Geschichte wiederholt sich nicht. Doch bewährte Strategien der Vergangenheit könnten sich auch in heutiger Zeit bewähren. Geschlossenheit ist das Gebot der Stunde.

Gleiches gilt für die fortgesetzte Beteiligung Deutschlands an der nuklearen Abschreckung der NATO. Eine nuklearwaffenfreie Welt bleibt unser Ziel. Doch wer glaubt, die richtige Antwort auf nukleare Aufrüstung in Russland und anderen Teilen der Welt sei einseitige NATO-Abrüstung, ist naiv. Solange Nuklearwaffen Teil des Bedrohungsarsenals anderer sind, muss die NATO glaubhaft nuklear abschrecken können. Und Deutschland als größter europäischer Partner der NATO muss teilhaben und mitreden. Deshalb müssen wir eine lückenlose Verfügbarkeit entsprechender Trägersysteme auch zukünftig sicherstellen.

Als drittes Element kommen unsere Fähigkeiten im konventionellen Bereich der Bündnisverteidigung hinzu. Allein schon zur Überwindung des Modernisierungsstaus in der Bundeswehr bedarf es weiterer erheblicher zusätzlicher Mittel – wer dies als ‚Aufrüstung‘ diffamiert, sollte sich einmal in der Truppe umhören. Wie alle anderen NATO-Partner auch haben wir uns bereits im Jahr 2002, bekräftigt im Jahr 2014, dazu verpflichtet, unsere Verteidigungsausgaben in Richtung 2% des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Wenn wir nach langem Gezerre innerhalb der Bundesregierung melden, dass wir bis zum Zieldatum 2024 lediglich 1,5% des BIP in die Verteidigung investieren wollen, ist das zu wenig. Wir sollten ambitionierter agieren und die 1,5% bereits bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 erreichen.
Wir stärken die NATO. Und zugleich stärken wir die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Wir wollen unsere Kräfte und Fähigkeiten bündeln, um dem Ziel einer Europäischen Armee als starkem europäischen Pfeiler der NATO näher zu kommen. Diplomatie, Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit haben Vorrang. Aber in einer Welt von ‚Fleischfressern‘ dürfen die robusten Elemente unserer Sicherheit nicht vernachlässigt werden. Für eine optimale Ausrüstung unserer Soldaten brauchen wir mehr Rüstungskooperation. Dazu muss noch in diesem Jahr die Frage beantwortet werden, wie wir es mit Exportgenehmigungen für gemeinsam mit anderen produzierte Rüstungsgüter halten. Hierfür brauchen wir Sondervereinbarungen jenseits des deutschen Verfahrens, idealerweise eine EU-einheitliche Regelung.

Angesichts einer eher dürftigen Bilanz von 20 Jahren Putin-Herrschaft in der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sozialpolitik sieht der russische Präsident den Konflikt mit Europa und Amerika als Chance, Stärke zu beweisen. Denn mit Öl und Gas, dass schon in wenigen Jahrzehnten immer weniger gebraucht wird, und einer rückständigen Infrastruktur und Industrielandschaft kann Russland seinen selbstgesetzten Anspruch auf Weltgeltung nicht behaupten. Was liegt da näher als der Versuch, zu vollenden, woran Breschnew und die UdSSR gescheitert sind: Die Spaltung der NATO und des Westens? Vielleicht ist das der Kern des Problems, das mit den Militäraktionen gegen Georgien und Moldawien begann und über die Besetzung der Krim und die Einmischung in der Ostukraine und den Kampf an der Seite von Diktator Assad nun zur Verletzung des INF-Vertrags führte. Die bevorstehende Münchner Sicherheitskonferenz ist einmal mehr Anlass, uns auf die Chancen zu besinnen, die aus Geschlossenheit und Entschlossenheit erwachsen – auch für einen fruchtbaren Dialog über eine sichere Welt.