Skip to main content

Ralph Brinkhaus: Es war keine Option bei den Zukunftsausgaben zu sparen

Redebeitrag in der Haushaltswoche zum Einzelplan 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

Frau Präsidentin! Ich glaube, es ist das erste Mal, dass Sie jetzt an diesem Platz sitzen. Herzlichen Glückwunsch noch mal im Namen des ganzen Hauses, und auf gute Zusammenarbeit!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als 500 Tote: Hinter diesen Zahlen stehen Gesichter, dahinter stehen Familien, dahinter stehen Schicksale – gar nicht zu reden von den Menschen, die langfristige gesundheitliche Schäden haben. Insofern war die eine oder andere Bezirksparteitagsrede oder auch andere Rede hier echt unangemessen, muss ich sagen; denn das wird der Sache nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben als Deutscher Bundestag darauf reagiert, ja. Wir haben den Ländern sehr, sehr viel Spielraum gegeben. Wir haben diesen Spielraum im Bevölkerungsschutzgesetz auch noch mal erweitert. Aber ich habe an dieser Stelle – andere Redner haben das auch gemacht – vor zwei Wochen schon gesagt: Es hat nicht gereicht, was an Maßnahmen auf den Weg gebracht worden ist. Deswegen ist es gut und richtig, dass jetzt einzelne Ministerpräsidenten anfangen, darüber nachzudenken, mehr zu machen, insbesondere für die kritische Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, insbesondere auch für den Bereich Schule. Das ist in der Tat wichtig; in der Schule ist es nicht gut gelaufen. Ich hoffe mal, dass dazu jetzt auch eine Einigkeit zustande kommt. Sich einfach nicht mehr vor Weihnachten zu treffen und es laufen zu lassen, das geht nicht. Wir haben eine klare Erwartungshaltung, dass die Maßnahmen jetzt nicht nur nachgebessert werden, sondern auch auf eine so solide Grundlage gestellt werden, dass wir damit auch langfristig arbeiten können. Ich wiederhole das, was ich in der letzten Plenarsitzung gesagt habe: Dieses scheibchenweise Vorgehen macht uns alle mürbe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir sehen aber auch, dass das ein ganz besonderer Haushalt ist, dass es ein Coronahaushalt ist: 179 Milliarden Euro Neuverschuldung. Das ist nicht das, was die Union sich gewünscht hat, weil es für uns auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist. Um das aufzugreifen, was eben in der Debatte und auch gestern in der Finanzdebatte gesagt worden ist: Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass die Belastung, die in unserer Generation entstanden ist, auch möglichst von unserer Generation getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verbietet es sich, das auf ewig weiter zu strecken. Andere Generationen, andere Politiker, die hier in 20, 30, 40 Jahren sitzen werden – diese Ahnung haben wir doch alle –, werden ihre eigenen Probleme haben, deren Lösung sie auch finanzieren müssen. Deswegen ist es richtig, was die Haushälter gemacht haben, als sie eine kurze Tilgungsfrist gesetzt haben, und dass wir 2026 damit anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber wir haben die Entscheidung für diesen Haushalt ganz bewusst getroffen, weil es für uns keine Option war, diejenigen, die unter der Coronakrise leiden, hängen zu lassen, auch wenn man ganz klar sagen muss – und das muss betont werden –: Es ist nicht so, dass wir jedem alles ersetzen können. Das wird nicht funktionieren; das muss man auch klar sagen.

Es war für uns übrigens auch keine Option, in einer Zeit, wo der Zusammenhalt der Gesellschaft ganz besonders wichtig ist, im sozialen Bereich zu sparen. Es war erst recht keine Option, bei den Zukunftsausgaben zu sparen. Deswegen ist es richtig, dass wir diesmal mit 179 Milliarden Euro Neuverschuldung reingehen. Das Stichwort „Zukunft“ sollte uns auch leiten. Wir haben heute zu Recht sehr viel über Corona und die Bewältigung der Pandemie geredet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt dreht sich weiter. Wir müssen uns auf die Welt in der Nachcoronazeit vorbereiten. Deswegen ist diese Generaldebatte auch der Ort, wo wir über die Themen reden müssen, die uns nach Corona in den nächsten Jahrzehnten bewegen.

Da ist meines Erachtens zunächst einmal das Thema Wirtschaftspolitik. Ich fordere – ja, noch mal – eine Renaissance der Wirtschaftspolitik, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens. Die anderen schlafen nicht. Es ist so, dass China, aber auch, Frau Bundeskanzlerin, asiatische Demokratien durch entschlosseneres Handeln schneller aus dieser Pandemie rauskommen als wir und dass die diesen Wettbewerbsvorteil auch nutzen. Dieser Wettbewerbsvorteil richtet sich gegen uns, und deswegen müssen wir Wirtschaftspolitik machen.

Der zweite Grund. Es wird ja immer gefragt: Wie kommen wir aus dieser Krise raus? Wie werden wir diese finanziellen Belastungen tragen? Es gibt die einen, die sagen: Wir müssen uns da raussparen. – Das wird nicht funktionieren. Es gibt die anderen, die sagen: „Wir müssen uns da rausbesteuern“, Herr Scholz. Auch das wird nicht funktionieren. Es wird wirtschaftliche Entwicklung abwürgen, wenn wir die Steuern erhöhen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir aus dieser Krise rauswachsen, und zwar durch gute Wirtschaftspolitik. Dafür brauchen wir ein vernünftiges Unternehmensteuerrecht. Das wird von unserem Koalitionspartner immer wieder blockiert, aber wir kämpfen trotzdem weiter. Wir brauchen verlässliche Energiepreise. Wir brauchen auch einen Abbau der Bürokratie. Ich habe ja mal ein Belastungsmoratorium vorgeschlagen. Das hat bei unserem Koalitionspartner, Herr Mützenich, keine Begeisterung hervorgerufen. Das ist als „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ und „Schleifung von Arbeitnehmerrechten“ denunziert worden. Das ist nicht unser Ansatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mittelständische Unternehmen wollen keine Arbeitnehmerrechte schleifen, mittelständische Unternehmen wollen keine Steuern hinterziehen. Das ist ein komisches Verständnis von Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Es geht aber auch darum, dass wir im Rahmen der Wirtschaftspolitik noch mehr für Forschung tun. Geld schießt Tore, das ist auch im Bereich Forschung so.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Leistung schießt Tore!)

Wir haben den Ansatz für den Forschungshaushalt in den letzten Jahren nicht nur hochgefahren, sondern wir haben ihn auch für die nächsten Jahrzehnte verstetigt; das ist wichtig.

Der nächste Bereich, der wichtig ist, ist der Bereich Investitionen. Im Bereich Investitionen geht es wirklich nicht nur darum – das ist hier mehrfach gesagt worden –, das Geld bereitzustellen – denn das hat der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren gemacht –, sondern es geht hier in erster Linie darum, dieses Geld auch auszugeben. Da sind insbesondere die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung gefordert. Da sind wir aber auch gefordert, die Hürden im Planungsrecht wegzuräumen. Da ist uns viel gelungen. Es war nicht immer einfach mit der SPD; aber wir haben das Planungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch – Frau Baerbock, da haben Sie recht – um den Bereich Bildung. Wirtschaftspolitik ist auch immer Bildungspolitik. Ich soll ja die Bundesländer nicht mehr kritisieren; das tue ich auch nicht. Aber trotzdem: Es geht besser im Bereich Bildung. Deswegen müssen wir uns da noch mehr anstrengen. Es ist nicht nur Bundesgeld, was da fehlt, sondern da geht es um viel mehr. Wenn wir die Pandemie jetzt nicht nutzen, das Bildungssystem neu aufzustellen und neu zu organisieren, dann haben wir viel verpasst, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Saskia Esken [SPD])

Es geht aber nicht nur um Wirtschaftspolitik, über die wir uns Gedanken machen müssen. Es geht auch um Außenpolitik. Ich glaube, da waren wir in den letzten drei Jahren ein bisschen wenig sichtbar; da können wir mehr tun. Und ich möchte noch mal eins sagen: Wir haben eine riesige Chance. Wir haben eine riesige Chance, weil wir einen neuen amerikanischen Präsidenten haben. Da wird sich nicht alles um 180 Grad drehen; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir sollten diese Chance nutzen, und wir sollten uns hier als Deutscher Bundestag auch klar verorten.

Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir sind Transatlantiker.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten eine Demokratie sind. Wir wissen, dass China keine Demokratie ist. Und an die Adresse ganz links und rechts: Russland ist auch keine Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen wissen wir, wo wir hingehören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Es geht aber auch um Europapolitik, und da ist viel erreicht worden in der deutschen Ratspräsidentschaft, auch im finanziellen Bereich. Das muss jetzt aber morgen und übermorgen auch umgesetzt werden. Wir als Unionsfraktion stehen zu dem mehrjährigen Finanzrahmen. Wir stehen auch zu dem Aufbaupaket, wobei wir da über einen ganz, ganz langen Schatten springen mussten. Aber da müssten jetzt die europäischen Kolleginnen und Kollegen auch so verantwortlich mit umgehen, dass das Geld auch abfließt, und zwar schnell abfließt. Deswegen erwarten wir von den Verhandlern, dass wir am Donnerstag und Freitag eine Lösung kriegen.

Wir sagen aber auch eins ganz klar: Rechtsstaatlichkeit ist der Ausfluss unseres gemeinsamen europäischen Wertesystems, und dieses europäische Wertesystem ist nicht verhandelbar – mit niemandem und niemals, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:

Herr Brinkhaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ernst?

 

Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):

Nein, ich führe erst zu Ende.

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:

Okay.

 

Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):

Nach der Europapolitik und der Außenpolitik geht es natürlich auch um Sicherheitspolitik, und es geht auch um die äußere Sicherheit. Dafür brauchen wir eine starke Bundeswehr, und eine starke Bundeswehr kostet Geld. Wir stehen zu den NATO-Zielen, wir stehen auch zu unseren Bündnisverpflichtungen, und wir werden dieses Geld auch bereitstellen. Das ist in diesem Haushalt gelungen, in der Finanzplanung noch nicht; da müssen wir nacharbeiten.

Es geht nicht nur um Geld, wenn wir zum Beispiel über bewaffnete Drohnen sprechen, sondern es geht auch um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz ihr Leben für unsere Freiheit riskieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der AfD)

Deswegen werbe ich nur dafür, dass unsere Kolleginnen und Kollegen eine Entscheidung treffen, damit wir dieses Projekt möglichst schnell zu einem guten Ende bringen.

Es geht beim Bereich Sicherheitspolitik aber auch um innere Sicherheit. Es geht um den Kampf gegen den Terrorismus, und zwar nicht nur gegen den rechten Terrorismus, sondern auch gegen den linken und den islamischen Terrorismus. Wir haben dafür Mittel bereitgestellt; das ist gut. Wir brauchen dafür aber auch noch weitere gesetzliche Grundlagen. Da liegt einiges vor; das muss jetzt umgesetzt werden, damit wir diesen Kampf entsprechend auch konsequent weiterführen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn wir über diese ganzen Zukunftsthemen reden, dann reden wir natürlich auch über das Thema Nachhaltigkeit – was übrigens mehr ist als Umweltpolitik; das wird leicht vergessen. Und wenn wir über das Thema Nachhaltigkeit reden, dann muss ich sagen: Wir haben da gerade im letzten Jahr während der Coronakrise sehr, sehr viel gemacht, weil der Umweltverbrauch, weil der Klimawandel natürlich keine Pause in der Coronakrise macht; das ist richtig.

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir gemeinsam ganz, ganz viel aus dem Klimapaket aus dem Herbst 2019 bereits umgesetzt haben. Ich bin froh und glücklich, dass es uns gelungen ist, in dem Coronakonjunkturpaket sehr, sehr viele Ausgaben für Klimaschutz zu verankern. Es ist richtig, dass wir als Ergebnis des Autogipfels Elektromobilität und emissionsärmere Nutzfahrzeuge fördern.

Insofern ist da viel gemacht worden und auch viel Geld bereitgestellt worden, gerade in der Coronakrise, und da rede ich noch gar nicht über Technologie und Innovation wie beispielsweise Wasserstoff und viele, viele andere vielversprechende Sachen, weil wir glauben, dass Technologie und Innovation im Kampf gegen den Klimawandel mehr bringt als Verbote, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber wir müssen weitermachen. Und wir würden uns wirklich wünschen, dass es uns auf europäischer Ebene gelingt – ich weiß, die Grünen finden das gar nicht so gut, Frau Baerbock –, dass wir den Emissionshandel, der sehr, sehr erfolgreich war – übrigens auch in der Luftfahrtindustrie; die Lufthansa unterliegt dem Emissionshandel, liebe Kolleginnen und Kollegen –,

(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)

auch auf die Bereiche Mobilität und auf die Bereiche Wohnen und Wärme ausdehnen; denn der Markt wird dort bessere Lösungen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt den Klimawandel zum Anlass zu nehmen, den Markt zu diskreditieren, halte ich für falsch. Der Markt ist die Lösung, und Technologie und Innovation sind die Lösung im Kampf gegen den Klimawandel und nicht das Hindernis, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir das alles zusammen machen, dann haben wir im Übrigen auch die Grundlage dafür gelegt, dass wir einen vernünftigen Sozialstaat finanzieren können. Denn das wird auch hin und wieder einfach mal vergessen: Das Geld, das ausgegeben wird, muss auch finanziert werden können. Aber um es den Leuten zu sagen, die uns als Große Koalition sagen: „Ihr habt zu viel für den Sozialstaat gemacht“:

(Jan Korte [DIE LINKE]: Wer sagt das denn? – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Wer sagt das?)

Das Wichtigste ist der Zusammenhalt der Gesellschaft, und dieser Zusammenhalt der Gesellschaft wird durch diesen Sozialstaat auch entsprechend gesichert. Vor diesem Hintergrund brauchen wir da an der Stelle nichts zurücknehmen.

Um noch mal zum Anfang meiner Rede zu kommen: Zusammenhalt der Gesellschaft, das ist eigentlich das Stichwort, an dem sich die Coronamaßnahmen messen müssen. Zusammenhalt der Gesellschaft bedeutet eben nicht nur, den Starken und Jungen alles zu ermöglichen, jegliche Freiheiten zu geben, sondern Zusammenhalt der Gesellschaft bemisst sich daran, inwieweit wir in der Lage sind, die Alten, Verletzlichen und Schwachen zu schützen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)