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Peter Stein: "4 Prozent der jährlich exportierten Pestizide sind in der EU nicht zugelassene Pestizide"

Gefährliche Pestizidexporte stoppen – Internationale Abkommen zum Schutz vor Pestizidfolgen stärken

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nahrung ist Leben. Deshalb gibt es auch ein Menschenrecht auf Nahrung. Und nach großen Erfolgen bei der globalen Hungerbekämpfung ab der Jahrtausendwende steigt die Zahl der Menschen, die hungern oder mangelernährt sind, leider wieder an. Das liegt zumeist an neuen Bürgerkriegen und leider auch an der Pandemie.

Das Tragische an Hunger und Mangelernährung ist, dass es genug Nahrung geben würde. Sie ist nur leider ungleich verteilt; aber auch Transport und Lagerung sind ein Problem. Ebenfalls spielen Misswirtschaft, schlechte Böden, mangelnde Mechanisierung, aber auch falscher oder fehlender Umgang mit Düngemitteln eine Rolle. Umwelteinwirkungen wie Dürren, Stürme, Überflutungen, aber auch Schädlingsbefall kommen hinzu. Und ein verstärkender Faktor ist dabei der Klimawandel. Das ist, außer bei der AfD, unstrittig.

Auch durch klimatische Veränderungen – und damit komme ich zum eigentlichen Thema heute – nehmen Ernteausfälle durch Schädlingsbefall drastisch zu. Die enormen Heuschreckenschwärme, die immer wieder auftreten, sind nur ein Beispiel dafür. Und wo Schädlinge sind, da sind wir beim Thema Pestizide. Richtig eingesetzt, ermöglichen Pestizide erhebliche Ertragssteigerungen oder auch nur Erntesicherungen. Wir selber in Europa sind das beste Beispiel: Neben einer gezielten Düngung und dem Züchten effizienter Arten waren Pflanzen- und Insektenschutzmittel eine Grundlage für unseren Standard der Lebensmittelversorgung. Der entscheidende Punkt dabei ist „richtig eingesetzt“. Falsch eingesetzt, gefährden sie ein weiteres Menschenrecht, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, und es schädigt die Umwelt, beispielsweise das Wasser oder die Artenvielfalt. Es ist also fundamental wichtig, dass Menschen, die mit Pestiziden arbeiten, das richtige Equipment zur Verfügung haben und wissen, was sie tun, also Ausrüstung und Ausbildung. Das ist ein Argument für einige Kernanliegen unserer Entwicklungspolitik: technische Entwicklung, Bildung und Ausbildung.

Die Verantwortung für Ausbildung liegt bei allen handelnden Akteuren, zunächst einmal selbstverständlich bei den die Chemikalien importierenden Staaten. Sie tragen natürlich zuallererst die Verantwortung, ihre eigene Bevölkerung und ihre Landarbeiter zu schützen. Sie tragen auch die Verantwortung für ein ausreichendes Gesundheitssystem, das im Falle von Gesundheitsschäden und Vergiftungen durch falschen Gebrauch helfen und beraten kann. Verantwortung liegt aber natürlich auch bei den importierenden und exportierenden Unternehmen: Wer Chemikalien kauft, muss auch die Schutzausrüstung bereitstellen können, und wer Pestizide verkauft, muss das Wissen um den sicheren Umgang vermitteln. Und letztlich trägt selbstverständlich auch der Endanwender Verantwortung. Wer Chemikalien nutzt, ist grundsätzlich selber für einen gesundheits- und umweltgerechten, also einen fachgerechten Umgang und Einsatz dieser Produkte verantwortlich. Der Bauer muss sich, seine Familie, seine etwaigen Angestellten schützen. Dazu muss er es aber auch können. Selbstverständlich ist das Wissen um die Gefahren bei der Anwendung eine wesentliche Voraussetzung dafür, ebenso die Möglichkeit, sich eine Schutzausrüstung zu leisten. Wo dies nicht gewährleistet ist, dürfen diese Mittel nicht eingesetzt werden, um das ganz klar zu sagen. Das alles gilt „over all“, für alle sensiblen chemischen Produkte.

Jetzt kommen wir zum speziellen Thema dieses Antrages, zum Export der in der EU verbotenen Pestizide aus der EU in andere Länder. Ich habe meine Haltung dazu im Ausschuss schon sehr deutlich geäußert: Ich habe Sympathie dafür, dass wir uns Frankreich und der Schweiz anschließen und den Export von ausdrücklich diesem Teil der Pestizide – die, die bei uns verboten sind – perspektivisch unterbinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])

Ich plädiere dafür, dies im Rahmen der bereits gestarteten Initiative der Europäischen Kommission auch zu tun. Was wir offenbar aus guten Gründen bei uns selbst verbieten, sollte grundsätzlich keinen Einsatz andernorts bekommen.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau so ist es!)

Denn: Es ist noch nicht einmal unser Kerngeschäft: Nur gut 4 Prozent der jährlich exportierten Pestizide sind in der EU nicht zugelassene Pestizide. Bei Chemikalien, die wir für die Anwendung auf unseren Feldern für ungeeignet halten – und das bei unserem hohen Ausbildungsstand und hervorragender landwirtschaftlicher Technik –, ist der Export mit Blick auf einen möglichen Gebrauch andernorts schlicht unnötig.

Letztlich kann es natürlich dazu kommen, dass die importierenden Länder aus ihrer Eigenverantwortung heraus die Notwendigkeit zum Gebrauch dieser Mittel feststellen und sich gegenüber manchem Schädlingsbefall auch nicht anders zu helfen wissen. Da gibt es ganz andere Dimensionen, als wir es hier bei uns kennen. Sie sind jedoch verantwortlich für ihre Ernährungssicherung, die Gesundheit der Landarbeiter, aber auch ihre Umwelt. Und vielleicht brauchen sie nur das gute Beispiel, eine Alternative oder auch Hilfe. Souveränität und ein Agieren auf Augenhöhe bleiben daher auch hier die Grundlage zwischenstaatlichen Handelns. Wir wollen niemanden bevormunden. Und leider ist ein Teil der Wahrheit auch, dass, selbst wenn wir diese in falscher Anwendung hochgefährlichen Chemikalien verbieten, sich die Importeure dann woanders bedienen. Das Kernproblem lösen wir damit nicht.

Was also tun? An dieser Stelle können wir in Europa ein breiter aufgestelltes Angebot machen. Das reicht von guter Gesundheitsversorgung über gute Information und Ausbildung und dem Aufzeigen von Alternativen bis hin zu Regelungen und Verboten. Wir könnten hier europäische und damit globale Standards durchsetzen und in den Zielländern ein Umdenken einleiten. Ich bin überzeugt, dass mit einem fairen Gesamtkonzept aus EU-zugelassenen Pestiziden, aus gutem, an lokale Bedingungen angepasstem Gebrauch und einer fundierten Ausbildung und vollständiger Information ein Gesamtprodukt „made in Germany“ angeboten werden kann, das absolut konkurrenzfähig ist.

Zu guter Letzt ist es unser gemeinsames Ziel in der Entwicklungspolitik, aber auch bei uns, den Einsatz von Chemikalien insgesamt zu reduzieren: entweder durch technische Hilfsmittel, die einen immer spezifischeren Einsatz von Pestiziden ermöglichen – Stichwort: Smart Farming – oder eben mithilfe eines Anbaukonzeptes, welches, wie viele wissen, mir persönlich sehr am Herzen liegt: der Agrarökologie. Gestern erst hatten wir das Thema im Ausschuss auf der Tagesordnung. Durch den holistischen Ansatz der Agrarökologie verbessert und erhält man die Artenvielfalt in der Natur und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur. An dieser Stelle sind wir Entwicklungspolitiker, lieber Uwe, wieder beieinander.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was denn nun? Stimmt ihr zu oder nicht? – Gegenruf von der CDU/CSU: Perspektivisch!)