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Mark Hauptmann: Wir müssen in einer schwierigen Region unterstützend wirken können

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2018

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kollegen! Verehrte Gäste! Ich möchte einen besonderen Gast der heutigen Debatte persönlich begrüßen. Ich freue mich, dass wie jedes Jahr der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, dieser Debatte beiwohnt. Herr Jahn, es freut uns, dass Sie hier an dieser Debatte teilnehmen. Ich möchte Ihnen, aber auch Hubertus Knabe, dem langjährigen Leiter der Stasigedenkstätte Hohenschönhausen,

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dem muss man nicht danken!)

recht herzlich für Ihre Arbeit danken, die Sie hier in den letzten Jahren geleistet haben. Sie sorgen dafür, dass das historische Erbe der DDR weiterhin erfahrbar bleibt, dass es nicht aus unserem kulturellen Gedächtnis verschwindet und dass Aufarbeitung nach wie vor stattfinden kann. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte drei Themen, die im Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit zentral sind, hier in den Fokus rücken. Erstens möchte ich das Zerrbild des Ostens geraderücken. Zweitens geht es um die Frage, wie wir den wirtschaftlichen Aufholprozess weiter unterstützen können. Und drittens geht es natürlich auch darum, wie wir die Herausforderungen weiter angehen können.

Wir alle wissen, dass wir in den nächsten Tagen wieder ein freudiges Ereignis zum Feiern in dieser Republik haben, nämlich den Tag der Deutschen Einheit. Deswegen ist gerade diese Debatte und die Art und Weise, wie wir sie heute führen, von großer Aktualität, aber auch von Notwendigkeit geprägt, die der Jahresbericht vorstellt. Die Bilder von Chemnitz und Köthen sind nach wie vor sehr präsent und erinnern uns an die furchtbaren und schockierenden Geschehnisse in diesem Jahr in diesen beiden Städten. Aber ebenso schockierend ist die schamlose Instrumentalisierung der selbsternannten Führer des Volkes von rechts und der Verführer von links,

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ein Schwachsinn!)

die hier letztendlich eskalieren statt deeskalieren, die polarisieren statt versöhnen. Für sie ist Ostdeutschland lediglich ein Wallfahrtsort für Empörungs- und Protestkultur aus ganz Deutschland. Ich sagen Ihnen eins: Das hat der Osten Deutschlands nicht verdient. Sie machen den Osten zum Prügelknaben in der öffentlichen Debatte; wir haben es in den letzten Wochen erlebt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Menschen in Ostdeutschland erwarten, sind konkrete Maßnahmen, mit denen wir die Weiterentwicklung Ostdeutschlands vorantreiben.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann macht es doch! – Enrico Komning [AfD]: Dann machen Sie doch mal!)

Was in dieser Debatte, sehr geehrter Herr Kollege, nicht hilft, ist, wie Sie bewusst Ängste zu schüren, die Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen, sich mit einem verurteilten Volksverhetzer wie Herrn Bachmann in der ersten Reihe unterzuhaken, dann einen Protestmarsch zu starten und zu ignorieren, dass Naziparolen gebrüllt werden. So geht es nicht. Das schürt Ängste in unserem Land, das polarisiert, und das führt unsere Gesellschaft nicht zusammen, gerade in einer schwierigen Phase, wie wir sie derzeit erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gleiche erleben wir auch bei dem politisch linken Flügel. Auch bei der Linkspartei wird nicht abgegrenzt zum Linksextremismus. Auch hier wird Gewalt wie beispielsweise in Leipzig 2017 verharmlost; sie wird nicht thematisiert. Deswegen sage ich Ihnen aus der Mitte dieses Hauses, der Demokraten: Jeder Extremist ist Mist, egal ob rechts oder links oder religiös fundamental. Wir brauchen Demokraten in der Mitte der Gesellschaft, die diese Gesellschaft zusammenhalten, gerade in schwierigen Zeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen, dass bei der Linken – Sie haben es gerade in Ihrem Wortbeitrag wieder dargestellt – der Jammerton zum Kammerton geworden ist. Alles in den letzten Jahren hat sich Ihrer Meinung nach wenig zum Positiven entwickelt. Natürlich wäre es falsch, an diesem Pult zu stehen und zu sagen: Wir haben nach 28 Jahren deutscher Einheit bereits ein Schlaraffenland geschaffen. Nein, das haben wir noch nicht erreicht. Aber ich sage Ihnen auch: Wir müssen die positiven Beispiele der Entwicklung in den Vordergrund stellen. Wir müssen darstellen, was sich hier positiv in den letzten Jahren entwickelt hat. Wo sind wir vorangekommen? Wo haben sich Chancen ergeben, die sich niemals unter einer DDR-Führung ergeben hätten, und wie können wir die Gesellschaft mitnehmen, diese Chancen zu nutzen und in der Realität zu verwirklichen?

Deswegen möchte ich – das ist mein zweiter Punkt –, auf den wirtschaftlichen Aufholprozess zu sprechen kommen. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahren im Osten um 1,9 Prozent gestiegen. Wenn wir uns anschauen, wie sich allein die Arbeitslosenquote reduziert hat – zum Glück! – auf 7,6 Prozent im Jahr 2017, dann zeigt sich, dass wir die Zeit seit 2005, als wir noch 18,7 Prozent Arbeitslosigkeit im Osten hatten, genutzt haben, Menschen in Beschäftigung zu bringen und durch wirtschaftlichen Wohlstand an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen.

Ich vertrete einen Südthüringer Wahlkreis hier im Deutschen Bundestag. In meinem Wahlkreis entwickelt sich die Arbeitslosenquote in Richtung 3 Prozent – nahezu Vollbeschäftigung.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer ist Ministerpräsident? Bodo Ramelow!)

Unser Problem ist nicht mehr die Arbeitslosigkeit, unser Problem sind fehlende Arbeiter. Der Fachkräftemangel ist die zentrale Herausforderung, die uns mittlerweile bewegt. Die Wirtschaftskraft hat sich hier in den letzten Jahren massiv angeglichen, die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, und die wirtschaftlichen Ergebnisse zeigen, dass eine Angleichung zwischen Ost und West in den letzten Jahren stattgefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber – auch das ist Realität –: Dieser wirtschaftliche Aufholprozess ist ins Stocken geraten, er hat sich verlangsamt. Das ist nicht etwa so, weil es Deutschland insgesamt wirtschaftlich nicht gut ginge. Deutschland geht es sogar sehr gut. Aber wir entwickeln uns wirtschaftlich eben in beiden Teilen dieser Republik, in Ost und in West. Deswegen ist dies ein Zeichen der gesamtdeutschen Stärke und nicht etwa ein Zeichen der rein ostdeutschen Schwäche. Schauen wir uns an, was Ihre Partei als Erbe der DDR hinterlassen hat: Der Anteil der industriellen Produktion im Osten lag 1991 bei 17 Prozent.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Blockpartei!)

Im Jahr 2016 lag die industrielle Produktion bei 52 Prozent. Wenn wir das in einem europäischen Vergleich bewerten, dann zeigt sich, dass der Osten Deutschlands bereits heute über dem Niveau anderer westeuropäischer Länder liegt und bei der industriellen Wertschöpfung deutlich aufgeholt hat.

Die Zeit der Klagelieder der Wirtschaft im Osten ist vorbei. Schauen wir uns an, was sich in den Regionen spezifisch entwickelt hat: Mikroelektronik in Sachsen – Stichwort „Silicon Saxony“. Es freut mich natürlich auch, dass der entsprechende Minister heute hier anwesend ist. Sachsen ist mittlerweile das größte Mikroelek­tronik-Cluster Europas und das fünftgrößte weltweit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Start-up-Szene in Berlin hat sich massiv entwickelt. Ich prophezeie Ihnen: Sollte der harte Brexit kommen, dann wird Berlin die Start-up-Stadt Nummer eins in ganz Europa werden.

Das ist doch eine Entwicklungschance, die wir voranbringen sollten: Leichtbaucluster in Sachsen-Anhalt; in Mecklenburg-Vorpommern hat sich mittlerweile eine Luft- und Raumfahrtbranche in geografischer Nähe zu Hamburg entwickelt, und auch Brandenburg ist mittlerweile ein bedeutender Standort, wenn es um die Chemie- und Kunststoffindustrie geht. Nicht zuletzt zeigt auch der Freistaat Thüringen, wie man aus mittelständischen und kleinen Betrieben Weltmarktführer macht, die im internationalen Wettbewerb der Globalisierung bestehen. Hier müssen wir zeigen: Wir haben Forschungs- und Entwicklungscluster, und diese wollen wir in den nächsten Jahren weiterentwickeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in diesem Land mit 44,3 Millionen Menschen die höchste Erwerbstätigkeit seit der Wiedervereinigung. 7,9 Millionen Menschen davon arbeiten in Ostdeutschland; das sind 18 Prozent unserer Gesamtbevölkerung. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung dieses Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist ein positiver Wert, den wir in den Fokus rücken sollten. Natürlich wollen wir diese wirtschaftliche Entwicklung weiter angehen und staatlich unterstützen, sei es durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, das bürokratiearm ist und nicht etwa, wie der Kollege gesagt hat, nur auf die Ballungszentren abzielt. Die Stärke von ZIM ist, dass es sich gerade an den kleinen forschenden Mittelständlern ausrichtet, und die sitzen zum Großteil im ländlichen Raum.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist eine Stärkung, gerade auch der ostdeutschen Forschungskultur. Daneben werden die Mittelstands-4.0-Kompetenzzentren in den neuen Ländern aufgebaut.

Wir müssen natürlich – das ist mein dritter Punkt – auch die strukturellen Nachteile des Ostens berücksichtigen. Wir dürfen sie nicht wegdiskutieren, sondern wir müssen sie ansprechen und schauen, wie wir hier in den nächsten Jahren weiterkommen können. Ein Thema, das zentral ist: Der Osten Deutschlands hat eine andere Siedlungsdichte. Er ist ländlicher geprägt, er hat mehr Mittelzentren und weniger Ballungszentren. Natürlich hat das auch Auswirkungen auf wirtschaftliche Cluster, wirtschaftliche Entwicklungen. Daher ist es wichtig, dass wir den ländlichen Raum in Deutschland fördern, dass er nicht hinten runterfällt bei der Infrastruktur, dass er nicht hinten runterfällt bei der Entwicklung der Forschung, dass er nicht hinten runterfällt, wenn es darum geht, gleiche Lebensverhältnisse in unserem Land herzustellen. Deswegen müssen wir ihn zentral auf unsere politische Agenda setzen. Natürlich müssen wir bei den Themen Fachkräfteausbau, Breitbandinfrastruktur und der kommunalen Daseinsvorsorge den ländlichen Raum weiterhin in den Fokus nehmen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein zentrales Thema, das für den Osten wichtig ist, benennen: das Kohlerevier in der Lausitz. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Transformationsbewegungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Erfolge durchaus überschaubar sind. Was wir jetzt brauchen, ist eine ehrliche und offene Debatte, bei der es keine Denkverbote geben darf. Wir müssen auch über Sonderwirtschaftszonen nachdenken, in denen es ein beschleunigtes Verfahren gibt, in denen man vielleicht auf die Körperschaftsteuer verzichtet, um spezifisch in einer schwierigen Region unterstützend wirken zu können.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das schlägt die FDP seit gut 20 Jahren vor! Die CDU hat das immer abgelehnt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe großes Vertrauen in die Kraft der Bürger unseres Landes. Ich denke, dass wir die gemeinschaftlichen Leistungen des Ostens weiterhin in den Fokus rücken sollten, dass wir die Herausforderungen aktiv angehen müssen. Dabei dürfen wir aber eines in diesem Land nicht verlieren: den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft – in Ost und West. Deswegen: Lassen Sie uns diese Herausforderungen anpacken, damit die deutsche Einheit wirklich vollendet wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)