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Eckhardt Rehberg: "Die Länder tragen deutlich weniger Lasten in dieser Krise"

Abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gesundheitliche Notlage ist nicht gegeben, Kollege Boehringer, weil wir gehandelt haben – deswegen ist sie nicht gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn wir nicht gehandelt hätten, dann hätten wir sie. Das haben doch die Monate September, Oktober, November mit dem exponentiellen Wachstum der Infiziertenzahlen gezeigt. Und: Was wäre denn, wenn wir heute ein sofortiges Ende des Lockdowns beschließen würden, das heißt, alles wieder aufmachen würden – AC/DC-Konzerte, 80 000 Zuschauer bei Borussia Dortmund gegen Schalke 04 usw. usf.? Dann würden Sie sich Wochen später hierhinstellen und uns die Schuld dafür geben!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern im Haushaltsausschuss hat sich deutlich gezeigt, was Ihre Strategie ist, als es um die Freigabe von 6,2 Milliarden Euro für Impfstoffe ging. Das haben Sie abgelehnt mit zwei Begründungen. Die erste Begründung war, dass die Impfstoffe von BioNTech und Moderna Nebenwirkungen haben. Die zweite Begründung war, dass der Staat das alles finanziert. – Nein, Sie wollen – das ist der Grund für Ihre Hetze gegen das Impfen und gegen unsere Politik –, dass Deutschland im Chaos versinkt. Das Ergebnis Ihres Tuns wäre, dass noch viel mehr Menschen sterben und sich noch viel mehr Menschen infizieren würden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern ist im Haushaltsausschuss ganz klar und deutlich geworden, was Ihr Ziel und was Ihre Strategie an der Stelle ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was soll denn eine außergewöhnliche Notsituation sein, wenn nicht diese? Hier werden ja immer Vergleiche gezogen. Der Bundesfinanzminister beispielsweise zieht einen Vergleich zum Jahr 2010. Ja, die Staatsschuldenquote war damals höher; sie lag bei gut 80 Prozent, sie ist heute auf gut 70 Prozent gesunken. Aber das Entscheidende, um aus den Schulden wieder herauszukommen, ist die Kreditfinanzierungsquote von damals und von heute. Damals war die Kreditfinanzierungsquote des Bundes nur halb so hoch wie heute; sie liegt bei 15 Prozent. Wir haben heute 30 Prozent.

Auch Ihre Einlassung, dass die Gesamtsumme der Schulden damals deutlich höher war als heute, stimmt nicht; das ist falsch. Wir hatten damals, in den Jahren 2008 bis 2014, eine Gesamtverschuldung von rund 160 Milliarden Euro. Allein im letzten Jahr haben wir rund 130 Milliarden Euro Schulden gemacht, und in diesem Jahr werden es – so ist es jedenfalls prognostiziert – 190 Milliarden Euro sein.

Deswegen wird es im Wesentlichen darauf ankommen – das ist der Punkt –, dass wir im Bundeshaushalt aus den Schulden herauswachsen. Ganz nebenbei: Allein die 310 Milliarden Euro, die in der Finanzmarktkrise in die Bad Banks gepackt worden sind, entsprachen 12 Prozent der Verschuldung aus dem Jahr 2010. Also, für mich ist das eine völlig andere Situation. Zumal damals nicht das gesamte gesellschaftliche Leben betroffen war; es waren Teilsegmente.

(Otto Fricke [FDP]: Das stimmt!)

Wir sind auch sehr schnell wieder herausgekommen. Damals hatten wir Zinsminderausgaben – Kollege Lindner von der FDP hat das auch immer gesagt –, und wir hatten die Rendite der Hartz-IV-Reformen, ja. Unsere Herausforderung im kommenden Jahrzehnt ist außerdem der demografische Wandel. Deswegen sind aus meiner Sicht diese beiden Situationen nicht vergleichbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke [FDP])

Meine Prognose ist, dass es deutlich schwieriger wird, jetzt wieder herauszuwachsen, als das im Jahr 2009 ff. war.

Nebenbei bemerkt – im Folgenden redet ja für uns eine Zeitzeugin der Föderalismuskommission, Antje Tillmann –:

(Otto Fricke [FDP]: Jetzt bist du schon eine Zeitzeugin! – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Jetzt komme ich mir alt vor!)

Das, was damals in den Jahren 2006, 2007, 2008 und 2009 unter dem Vorsitz von Peter Struck und Günther Oettinger gemacht wurde – ein Ergebnis war ja im Zuge der Finanzkrise auch die Schuldenbremse – war, finde ich, gelebter Föderalismus.

Gestern haben die Länder sehr viel Wert darauf gelegt, dass sie die Kultushoheit haben. Wenn ich mir dann aber allein die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz von vor drei Tagen angucke – fünf Punkte; alles Hoheit der Länder –, dann wundere ich mich schon; denn auch für die Schulbusse soll jetzt der Bund aufkommen.

(Otto Fricke [FDP]: Genau!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, so geht es nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gestern darauf zu beharren und zu sagen: „Wir haben die Kultushoheit; wir haben das Sagen, wann Kitas und Schulen wieder geöffnet werden“, und gleichzeitig, wenn es darum geht, der Finanzverantwortung angesichts der föderalen, formalen Zuständigkeit gerecht zu werden, auf den Bund zu verweisen, geht nicht. Ich muss sagen: Da fehlt mir jedes Argument, um das für vernünftig und gut zu halten.

Noch einmal zum Verhältnis Bund–Länder. Der Bund hatte im letzten Jahr eine Kreditfinanzierungsquote von 30 Prozent, die Länder hatten nicht einmal eine Quote von 10 Prozent; 9 Prozent genau. Wenn wir uns einmal die Einnahmesituation angucken, müssen wir feststellen: Die Gesamtheit der Länder hatte im letzten Jahr – Kassenstatistik – bereinigte Einnahmen von 430 Milliarden Euro. Im Jahr 2019 waren es nur 417 Milliarden Euro. Warum bereinigte Einnahmen? Weil man natürlich die Dutzenden Milliarden Euro, die der Bund an Zuweisungen gibt, von Umsatzsteuer über Kosten der Unterkunft etc., an der Stelle natürlich mit dazurechnen muss. Der Bund, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat ein Defizit von gut 50 Milliarden Euro. Das heißt, die Länder tragen deutlich weniger Lasten in dieser Krise, und bisher sind sie auch deutlich günstiger durchgekommen. Ich hätte noch zu manch einem Land Anmerkungen zur Kassenstatistik, wie etwa zum Parken von Kreditaufnahmen in Sondervermögen; aber das lasse ich jetzt weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bewirkt die Debatte „Die Schuldenbremse muss weg“ eigentlich beim Normalbürger? Was denkt der Normalbürger? Was denkt der Bürgermeister? Was denkt ein Landrat? Denkt man: „Schulden sind sexy, Schulden kann man mal einfach so machen“? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen auch ein bisschen aufpassen, welches Signal ein „Weg mit der Schuldenbremse!“ in die gesamte Gesellschaft sendet. Ich sehe das hochkritisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Bruno Hollnagel [AfD])

Dazu kommt: Lieber Olaf Scholz, ich rede nicht der Spar- und Austeritätspolitik das Wort; das ist nicht mein Thema. Aber es muss noch gestattet sein, als Haushälter nachzufragen: Sind diese Mittel notwendig? Sind sie sinnvoll eingesetzt? Ich glaube, das muss noch erlaubt sein an dieser Stelle. Wenn man 90 Milliarden Euro weniger Kredit aufnimmt, dann ist die eine oder andere Frage berechtigt. Auch wenn wir in den letzten drei Jahren ein Aufwachsen der Ausgabereste von 15 Milliarden auf 22 Milliarden Euro im Bundeshaushalt hatten, muss dennoch die Frage gestattet sein: Ist wirklich all das Geld notwendig, was da ins Schaufenster gestellt wird? Ich weiß selber, es ist oft nicht mehr als ein Blick in die Glaskugel, weil alles etwas schwieriger ist in dieser Situation. Aber noch einmal: Gerade auch deswegen sehe ich die gesellschaftliche Auswirkung, wenn die Schuldenbremse einmal wegfallen würde, hochkritisch.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)