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Dr. Joachim Pfeiffer: Der Aufschwung kommt mehr denn je bei den Bürgern an

Rede zum Jahreswirtschaftsbericht 2020

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Glücksspirale dreht sich weiter, und zwar im elften Jahr. Es ist bereits vom Bundeswirtschaftsminister und auch vom Kollegen Linnemann angesprochen worden: Wir sind im elften Jahr des Wachstums, wenn auch moderat, und das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand: 45,3 Millionen Menschen, die in Lohn und Brot sind. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Und wir haben 4,2 Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund, die bei uns beschäftigt sind, davon 2,24 Millionen aus der EU. Das sind die Fachkräfte, die wir zum Teil händeringend suchen und die diesen Wirtschaftsaufschwung auch mittragen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir im letzten Jahr entsprechende Entscheidungen im Fachkräftebereich getroffen haben. Wir brauchen diese Fachkräfte weiterhin.

Der Aufschwung kommt mehr denn je bei den Bürgern an. 2020 werden zum ersten Mal seit unvordenklichen Zeiten die Nettolöhne sogar stärker steigen als die Bruttolöhne, und zwar um 2,9 Prozent. Die Lohnquote steigt – das wurde von den Linken immer eingefordert; davon habe ich vom Kollegen Ernst heute nichts gehört, dabei hätte er das einmal loben können, sonst spricht er es immer an – zum ersten Mal seit den 90er-Jahren wieder deutlich an auf 70,9 Prozent. Die Beiträge in der Sozialversicherung bleiben unter 40 Prozent. Den Vorschlag des Wirtschaftsministers, diese zu deckeln oder zu begrenzen, können wir nur nachdrücklich unterstützen; denn das war der Grund – das war ja das große Thema in den 90er-Jahren –, weshalb die Glücksspirale damals durchbrochen wurde und wir in einer Teufelsspirale waren von immer mehr Arbeitslosen. Weil die Sozialversicherungsbeiträge zu hoch waren, waren wir nicht wettbewerbsfähig. Deshalb müssen sie dauerhaft unter 40 Prozent gehalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch über die Neuverschuldung und die Schuldentilgung spricht kein Mensch mehr. Wir haben im letzten Jahr das Maastricht-Kritierium eingehalten und sind bei einer Staatsverschuldung von unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geblieben. Das ist für uns aber nicht genug. Das Maastricht-Kriterium ist eine Obergrenze. Wir werden dieses Jahr Richtung 55 Prozent gehen. Das heißt, wir haben solide gewirtschaftet, wir haben solide Haushalte, und trotzdem können wir uns die größten Infrastrukturinvestitionen der öffentlichen Hand leisten, die wir seit der Wiedervereinigung hatten. Insofern gibt es wirklich sehr viel Gutes zu berichten.

Auch geben wir mehr Geld für Forschung und Innovation aus. Da will ich bei dieser Gelegenheit klarstellen: Es gab die eine oder andere Meldung und auch besorgte Schreiben, dass wir weniger für die Energieforschung ausgeben. Das ist natürlich nicht der Fall. Die Ausgaben für die Energieforschung lagen 2011 bei rund 650 Millionen Euro und 2018 bei knapp 1,1 Milliarden Euro, also doppelt so hoch. Auf diesem hohen Niveau wird sie nicht nur verstetigt, sondern sie wächst weiter an. Wir geben beispielsweise für die Reallabore, ein neues, gutes, innovatives Instrument des Technologietransfers im Energiebereich, zwischen 2019 und 2022 zusätzlich 100 Millionen Euro pro Jahr aus. Insofern könnten wir sagen: Alles gut, wunderbar, weiter so! – Das mache ich aber nicht.

In der Tat gibt es auch Sorgenkinder. Wir haben als Träger des Wachstums den privaten Konsum aufgrund der Glücksspirale, die ich gerade beschrieben habe. Wir haben den staatlichen Konsum mit 0,5 Prozent; der private liegt bei 0,7 Prozent. Wir haben auch Bauinvestitionen. Wir stehen gerade, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, vor einem kleinen Bauwunder: 700 000 Genehmigungen im Baubereich, die noch nicht umgesetzt sind, die also dafür sorgen, dass noch gebaut wird. Im letzten Jahr gab es 350 000 neue Baugenehmigungen, so viele wie schon lange nicht mehr. Das Baukindergeld schlägt voll ein und trägt maßgeblich dazu bei, dass breite Teile unserer Bevölkerung in der Lage sind, zukünftig Wohneigentum zu erwirtschaften.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sorgenkind ist aber der Außenbeitrag; das wurde heute schon angesprochen. Über 30 Jahre war – mit Ausnahme der Jahre 1993 und 2009, in denen es Rezessionen gab – der Außenbeitrag immer der Träger des Wachstums. Auch weltweit ist in über 40 Jahren das Handelsvolumen immer stärker gewachsen als das Sozialprodukt. Das heißt, der Handel und die Globalisierung haben dazu geführt, dass alle, die dort mitmachen, es besser haben, mehr davon haben und ein größeres Wachstum erzielen; Kollege Linnemann hat das vorhin angesprochen. Das muss man mit aller Deutlichkeit wiederholen: Wer der Abgrenzung und dem Protektionismus, wie es die AfD tut oder wie die linke Seite das angesprochen hat, das Wort redet, der schadet Deutschland, der schadet der deutschen Wirtschaft, der schadet der europäischen Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen alles tun, um die multilateralen Institutionen wieder lebensfähig zu machen. Wir müssen alles tun, auch im Rahmen einer Koalition der Willigen. Es gibt genug Länder auf dieser Welt, mit denen wir freien Handel treiben können, von Japan über Neuseeland, Australien, Kanada bis hin zu den Mercosur-Ländern. Europa muss hier an der Spitze sein und die Koalition der Willigen für Freihandel und Globalisierung anführen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass die Wertschöpfungsketten zurückgehen, ist ein Grund dafür, warum der Außenbeitrag im letzten Jahr einen negativen Beitrag geleistet hat. Die Wertschöpfungsketten, also Vorprodukte, die geliefert werden, und deren Austausch – seit 200 Jahren wissen wir, dass Handel Effizienzgewinne für alle bringt – sind im letzten Jahr kürzer geworden. Das ist ein erstes Fanal. Dagegen müssen wir kräftig arbeiten.

Das zweite Sorgenkind sind – Peter Altmaier hat das angesprochen – die Ausrüstungsinvestitionen. Wir brauchen einen wettbewerbsfähigen Industriestandard. Unternehmensteuerreform ist das andere Stichwort. Aber wir brauchen in Europa auch eine europäische Industriestrategie, die Antworten darauf gibt, wie Europa bei den Herausforderungen und Zielen, die wir uns beispielsweise im Rahmen des Green Deals gesetzt haben, handeln soll. Wir benötigen einen europäischen Industriestrompreis, der im Vergleich zu anderen Regionen der Welt wettbewerbsfähig ist, sodass die Wertschöpfungsketten der Grundstoffindustrie – egal ob Chemie, Kupfer, Aluminium – hier in Europa bleiben und es kein sogenanntes Carbon Leakage, keine Abwanderung der Industrie gibt. Ein Industriestrompreis ist hier allemal die bessere Lösung als die angedachte Border Adjustment Tax.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch andere Instrumente wie die Important Projects of Common European Interest im Batteriebereich und in der Mikroelektronik müssen ausgebaut werden. Ich bin der Meinung, dass wir sie sowohl bei 5G als auch bei 6G brauchen, damit Europa hier die Kompetenzen zurückgewinnt. Wenn wir diese klugen Strukturreformen jetzt angehen, dann wird der Aufschwung weitergehen und die deutsche Glücksspirale sich weiterdrehen.

In diesem Sinne lassen Sie uns in diesem Jahr dafür gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)