Skip to main content

Alois Karl: "Wir haben in Europa gemeinschaftliche Aufgaben zu erfüllen"

Rede zum Einsatz deutscher Steuergelder im EU-Budget

Das Spiel ist noch nicht aus, Herr Präsident.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die augenblickliche Pandemiezeit hat auch etwas Positives: Man kann lesen und vorlesen. Meinem Enkelsohn Christoph habe ich die griechischen Mythologien vorgetragen: Trojanischer Krieg, die Odyssee. In den Abenteuern ist auch der Zyklop Polyphemos vorgekommen. Er hatte mehrere Nachteile, unter anderem den, dass er einäugig war. Wie ich den Antrag der AfD gelesen habe, habe ich an Polyphemos gedacht; denn Sie betrachten die Dinge sehr eindimensional und insbesondere ohne Weitsicht. Sie sind in Ihrer Sichtweise doch sehr eingeschränkt.

(Otto Fricke [FDP]: Immerhin hat er uns den Hammelsprung gebracht!)

In Ihrem Antrag heißt es, es soll der Mehrwert, den Deutschland aus der Mitgliedschaft in der EU zieht, durch die Bundesregierung dargestellt werden. Wie ich das so gelesen habe, da habe ich mir beide Augen gerieben und gedacht: Es liegt doch auf der Hand, welchen Mehrwert wir aus der Mitgliedschaft in der EU ziehen.

Man muss nicht so weit zurückgehen. Seit Konrad Adenauer 1957 mit den anderen Partnerländern die Römischen Verträge geschlossen und die deutsche Wirtschaft in die Europäische Gemeinschaft geführt hat, gibt es in der deutschen Wirtschaft – um es einmal zu benennen – doch nur eine einzige Richtung, nämlich vorwärts und aufwärts. Noch nie haben wir eine so lange Zeit des wirtschaftlichen Wachstums mit hohen Beschäftigungsraten erlebt

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt jetzt auch nicht so ganz! Ich denke an die Finanzkrise!)

und auch nicht des freien Austausches zwischen Menschen, Meinungen, Informationen und Dienstleistungen. All das hat zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte in Deutschland geführt. Ich möchte nicht, dass das hier irgendeiner kleinredet, auch Sie nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte wird erweitert um das Friedensprojekt Europa, um eine Wertegemeinschaft. Wenn die Geschichtsschreiber später über die jetzige Zeit schreiben, dann werden sie von einem goldenen Zeitalter reden, von einer Zeit, von der viele Generationen vorher geträumt haben.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Meine Damen und Herren von der AfD, das ist der Mehrwert, den ich für Deutschland in Europa erkenne: dass wir in diesem Zeitalter leben dürfen und dass wir dies alles genießen können: Frieden, Freiheit, wirtschaftlichen Wohlstand und eine Wertegemeinschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um auf die Wirtschaft zurückzukommen: Wir haben diese Gemeinschaft von 27 Ländern, zollfrei und grenzfrei. 450 Millionen Menschen umfasst sozusagen der europäische Binnenmarkt. Deutschland ist ein vertrauenswürdiger Partner in diesem Europa geworden. Das hat uns sehr vieles gebracht, unter anderem auch die deutsche Wiedervereinigung. Auch darin sehe ich einen Mehrwert für Deutschland innerhalb dieser großen europäischen Gemeinschaft, der nicht kleingeredet werden darf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die AfD, meine sehr verehrten Damen und Herren, spricht davon, dass Deutschland der größte Beitragszahler in der EU ist. – Stimmt. Wir zahlen ungefähr 25,5 Milliarden Euro. Wir haben eine Nettolast von 13,4 Milliarden Euro, und nach dem Austritt der Briten wird das noch mehr werden. Nur darauf zu verweisen, dass Deutschland der größte Einzahler ist, entspricht Ihrer eingeschränkten Sicht; denn Deutschland ist nicht bloß der größte Einzahler, sondern auch der größte Gewinner in der EU. Wir haben eine Exportleistung von 777 Milliarden Euro in die Mitgliedsländer der EU. Wir sichern damit 6,3 Millionen Arbeitsplätze. Als ob das nichts wäre, meine Damen und Herren!

Dass Sie immer wieder auf die Nettobelastung eingehen, ergibt doch gar keinen Sinn. Wir haben in Europa gemeinschaftliche Aufgaben zu erfüllen, was die Sicherheitspolitik und was die Verteidigung anbelangt. Wir haben in Europa gemeinschaftliche Aufgaben zu erfüllen, was Klimaschutz und Energie, was Forschung und Entwicklung, aber auch die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und vieles andere mehr anbelangt. All dies gehört zu dem Mehrwert, den wir aus Europa ziehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Sie sprechen auch die Hebelung des EU-Budgets und die Risiken der Haftung an. Das ist natürlich nicht ganz unrichtig, aber Fakt ist: Wir verhalten uns in Deutschland schon seit 70 Jahren entsprechend, seit 1951 zum Beispiel mit den Hermesbürgschaften.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Wir verbürgten uns im vorletzten Jahr für deutsche Exporte im Wert von 177 Milliarden Euro und hoffen, dass wir nicht auf den Bürgschaften sitzen bleiben. Wir zahlen trotzdem 1 Milliarde Euro drauf, wir nehmen aber auch 1,7 Milliarden Euro an Gebühren ein. Obwohl wir das nicht wollen, ziehen wir daraus also einen großen Nutzen.

Ich würde Sie fast bitten, meine Kollegen von der AfD-Fraktion: Verlassen Sie den Holzweg Ihrer Demagogie und der Widersprüchlichkeit,

(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])

nicht dass es Ihnen so geht wie seinerzeit dem vorhin angesprochenen Polyphemos, der am Ende erblindet.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

 

Alois Karl (CDU/CSU):

Aber ich sehe erste Anzeichen, dass Sie auch weiterhin blind Ihre Politik betreiben.

Ich wünsche Ihnen allen ein gutes neues Jahr und Ihnen von der AfD insbesondere Weitsicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Albrecht Glaser [AfD])