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Peter Stein: "Das Problem kann nur international gelöst werden"

Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin auch Mitglied der Ostseeparlamentarierkonferenz und dort seit November 2019 Berichterstatter für Munitionsaltlasten. Ich danke an dieser Stelle meinem SPD-Kollegen Johannes Schraps ganz herzlich für die kollegiale und, so möchte ich sagen, freundschaftliche Unterstützung meiner Arbeit.

Es ist mir gelungen, im August 2020 einen national und international beachteten Zwischenbericht der Ostseeparlamentarierkonferenz vorzulegen. Damit ist eine neue politische Dynamik ausgelöst worden, worüber wir, glaube ich, sehr froh sein können.

Wir befinden uns aktuell kurz vor der Einbringung eines umfassenden Koalitionsantrages, an dem intensiv gearbeitet wurde. Wir haben eine thematische Besetzung während der Nationalen Maritimen Konferenz geplant. Das Europaparlament befasst sich aktiv mit dem Thema, und letztlich werde ich im August meinen Abschlussbericht der Ostseeparlamentarierkonferenz vorlegen.

Ich freue mich darüber, liebe Kollegen von den Grünen und der FDP, dass ich sehr viele meiner Gedanken und Positionen aus dem Zwischenbericht in Ihrem Antrag wiederfinde. Offenbar hat Sie das motiviert – spät, aber nicht zu spät –, mit in diese Thematik einzusteigen;

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unanständig, was Sie da gerade machen! Das wissen Sie!)

denn jahrelang steckte man fest. Insbesondere die Verteilung der Zuständigkeiten und der Finanzierung der nationalen Maßnahmen zwischen Bund und Ländern führte bisher nicht zu einer der bedrohlichen Situation angemessenen Abarbeitung des Problems. Zwar haben die Bund-Länder-Arbeitsgruppen immer wieder Beschlüsse gefasst und Vorschläge unterbreitet, aber umgesetzt oder politisch weitergetragen wurde zu wenig.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Sie sind doch in der Regierung!)

Richtig ist dabei: Der Bund hat nicht alles an sich zu ziehen, aber er hat stärker als bisher zu organisieren.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, da macht mal hinne!)

Denn angesichts der gewaltigen Mengen an Munitionsaltlasten ist das Problem in unseren nordeuropäischen Meeren nicht nur national oder regional zu lösen, nein, es hat eine internationale, eine europäische Dimension.

Und es ist auch bei Weitem nicht nur ein umweltpolitisches Thema. Es betrifft auch die Bereiche der militärischen Zuständigkeiten, der maritimen Wirtschaft wie beispielsweise der Fischerei, des Tourismus oder die Offshore-Wirtschaft und die Schifffahrt. Es ist ein Thema der Innen- und der Außenpolitik, und es braucht den kompletten Baukasten von Forschung und Entwicklung.

Wir haben gerade in den letzten drei Jahren einen erheblichen Wissensschub erfahren. Wir wissen um die Gefahren, die von Giftstoffen wie Senfgas oder TNT ausgehen. Wir kennen die Dimension der notwendigen Finanzierungen, und das geht natürlich über die Möglichkeiten einzelner Bundesländer hinaus. Da brauchen wir ein Finanzierungspaket, das eine faire Aufteilung beinhaltet, und es sollte auch die Europäische Union mit ins Boot.

Und spätestens hier stoßen wir an Grenzen des national Machbaren; denn beispielsweise das, was im Bornholmer Becken liegt, haben nicht die Dänen da hineingeschmissen. Baltische Staaten leiden unter erheblichen Belastungen, die auch auf sowjetische Hinterlassenschaften zurückzuführen sind. Auch nach dem Weltkrieg wurde belastendes Material entsorgt: von Alliierten, von der NVA, der Roten Armee und anderen. Dazu kommen versenkte Schiffe und die Vermüllungen der Neuzeit.

Das Wissen, das heute vorhanden ist, resultiert nicht zuletzt aus Auswertungen militärischer Daten. Ich wiederhole daher hier und heute das, was ich bereits bei der Vorstellung des Zwischenberichts in der Ostseeparlamentarierkonferenz gefordert habe: Ich bitte die russischen Freunde dringend um Auswertung ihrer Kriegs- und Nachkriegsdokumentationen und um das Zur-Verfügung-Stellen der Ergebnisse im Dienste der Wissenschaft und der gemeinsamen Sache, insbesondere in der Ostsee.

Das Problem kann nur international gelöst werden. Aber wir müssen eigene Schritte einleiten und an der Spitze der internationalen Lösungen stehen.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: So viele Berichte!

Ich schlage daher seit Längerem neben der Startfinanzierung über einen freiwilligen Geberfonds in Höhe von 500 Millionen Euro unter dem Dach der HELCOM die Initiierung eines Pilotprojektes vor, mit dem Munition auf hoher See geborgen und unschädlich gemacht werden kann.

Die maritimen Technologien gibt es bereits; wir müssen sie zur Anwendung bringen. Dadurch wird sich für die maritime Wirtschaft und unsere Forscher und Entwickler ein neuer Geschäftsbereich ergeben; denn weltweit gibt es zahlreiche Munitionsversenkungsgebiete. Fürs Erste haben wir vor unserer eigenen Haustür, vor unserer eigenen Küste, jedoch genug zu tun.

Wir wissen, dass wir jetzt endlich in größerem Maßstab anfangen müssen, wir wissen, dass das viel Geld kosten wird. Daher macht es sehr viel Sinn, die damit verbundene Wertschöpfung nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist selbstverständlich in der kurzen, direkten Betrachtung ein Umweltthema. Aber gelöst kriegen wir es nur, indem wir die Entsorgung des Mülls in einem maritim-industriellen Maßstab hochskalieren und damit schneller, sicherer, nachhaltiger und kostengünstiger machen.

Und ich wundere mich sehr, dass dies nicht viel deutlicher zur Zielrichtung der FDP geworden ist und dieser Antrag jetzt im Umweltausschuss beraten wird.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kümmern sich halt um die Bewahrung der Schöpfung! – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Sind Sie jetzt lösungsorientiert, oder was?)

Aber wir können uns sowohl im Umweltausschuss als auch nach der Einbringung unseres Antrages in anderen Ausschüssen auf eine interessante Befassung freuen. Und ich freue mich über die gemeinsame Zielstellung, die wir ja eigentlich haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir auch bei einer gemeinsamen Zeitschiene landen können. Das sehen wir, wenn wir die abschließenden Beratungen der Anträge hier in diesem Parlament hinter uns gebracht haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon noch, an wem es lag, oder? – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Hauptsache, wir haben darüber gesprochen!)