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Dieter Stier

Dieter Stier: Zur weiteren Verbesserung von Tierschutz gehört auch eine wirtschaftliche Abwägung

Rede zum Tierschutz in Schlachthöfen

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen präsentiert uns heute einen Antrag, den wir so ähnlich formuliert aus der 17. Wahlperiode schon kennen: Tierschutz an Schlachthöfen verbessern. Wir sind uns dabei einig – besser geht immer! Aber, auch wenn wir uns in regelmäßigen Abständen in diesem Hohen Haus mit den gleichen, zuweilen leicht modifizierten, aber immer emotional dramatisierenden Anträgen Ihrer Fraktion zu den vermeintlich eklatanten Missständen in unseren deutschen Landwirtschafts-, Tierhaltungs- und, heute, Schlachtbetrieben beschäftigen, hilft das in der Sache und im Detail nicht weiter.

Und eines ist auch klar: Wer ein Schnitzel essen will – und ich bekenne, ich gehöre zu denjenigen, die das weiterhin wollen –, der muss natürlich wissen, dass dafür auch Tiere sterben müssen. Wir leben in einem liberalen Land, in dem jeder essen kann, was ihm schmeckt, und das soll auch so bleiben.

Sie sprechen in Ihrer Sachstandsbeschreibung von regelmäßigen gravierenden Tierschutzverletzungen, brutalem Umgang mit den Tieren, keiner Zulassung für Produktionsverfahren und nicht ausreichend geschultem Personal. Damit, meine Damen und Herren der antragstellenden Fraktion, tragen Sie wiederholt Ihre unablässigen Anklagen und Angriffe gegen unsere heimatliche Tier- und Lebensmittelproduktion auf dem Rücken all jener aus, die tagtäglich fleißig und vorbildlich in unseren Betrieben arbeiten. Eine solche pauschale Vorverurteilung mit Anfeindungen bis hin gar zur gesellschaftlichen Ächtung von Branchen scheinen Sie dabei billigend in Kauf zu nehmen, vermutlich mit dem Ziel, Ihre persönliche Parteiagenda weiter voranzutreiben.

Dies ist schlecht, bewirkt Frust auf allen Seiten und schadet nicht nur den in diesem Bereich beschäftigten Menschen unseres Landes, sondern auch den Tieren, die nämlich von vermeintlich heldenhaften Tierrettern bei nächtlichen illegalen Stalleinbrüchen gestört, verängstigt und schlussendlich politisch instrumentalisiert werden.

Erst am Montag dieser Woche konnten wir erleben, wie militante Tierrechtler lautstark das öffentliche Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu Tiertransporten in diesem Parlament gestört haben. So kann und darf es nicht weitergehen. Dies ist keine Umgangsform, die wir miteinander pflegen wollen, und ich bin mir fast sicher, dass Sie mit mir darin auch übereinstimmen.

Ihr Antrag liest sich, als bewege sich die deutsche Tierproduktion in einem rechtsfreien, unregulierten Raum. Ich kann Ihnen nur die Empfehlung geben, in die Praxis zu gehen und sich dort umzuschauen.

Und ich kann Ihnen versichern, da habe ich Ihnen etwas voraus. In meiner Heimatstadt Weißenfels in Sachsen-Anhalt befindet sich ein großes Fleischwerk. Ein Schlachtbetrieb für Schweine. Über 2 000 Beschäftigte sind dort im Bereich Fleischverarbeitung und Veredelung tätig. Ein Knochenjob – keine Frage –, welcher ein gutes Maß an körperlicher Fitness verlangt.

Mehrfach habe ich persönlich den Betrieb besucht und mir dabei jede Ecke angeschaut, vor Ort mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geredet, mich über ihre Arbeit und ihre Lebensbedingungen in der Region erkundigt. Auch bei wiederholten Besuchen hatte ich stets einen guten Eindruck von diesem Betrieb, seinen Beschäftigten und den praktizierten Tierschutzstandards. Nicht umsonst zählt dieser Weißenfelser Betrieb auch zu den modernsten seiner Branche in Europa. Ja, ein großer Teil der Beschäftigten kommt auch aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Tschechischen Republik. Überwiegend junge Leute, die hier zu Wertschöpfung und Wohlstand beitragen. Sie leisten hier eine hervorragende Arbeit.

Das ist die Realität, wie ich sie kennengelernt habe – und jetzt zu Ihrem Antrag: Am meisten verwundert haben mich die endlos pauschalen Unterstellungen in Ihrem Papier, besonders der grenzenlose Generalverdacht, den Sie gegen alles und jeden formulieren, so, als ob im ganzen Land flächendeckend die schlimmsten Tierschutzmissstände herrschen würden. Wir sind ja einiges von Ihnen gewohnt, aber das Ausmaß ist auch für mich immer wieder eine Überraschung.

Ich will nur mal drei Beispiele herausgreifen, die man auf keinen Fall unkommentiert stehen lassen darf.

Erstens. Sie sagen, wie bereits eingangs erwähnt, vollkommen pauschal, ohne jeden praxisrelevanten Bezug und aus der Ferne Ihres Bundestagsschreibtisches heraus: „Immer wieder kommt es zu gravierenden Tierschutzverletzungen.“ Das wird von Ihnen so selbstverständlich dahingeschrieben, als müsse man das gar nicht mehr belegen. Hier sage ich: Stopp! Was soll das? Sie tun so, als wäre das in allen Betrieben im ganzen Land tagein, tagaus traurige Realität. Ein festgefahrener Dauerzustand. Nein! Das ist nicht so. Das kann ich nicht bestätigen und habe es so nie erlebt. Sie präsentieren uns ein Zerrbild, Ihr ideologisch geprägtes Zerrbild, das es geradezurücken gilt.

Zweitens. Sie sagen: „… mit den Tieren wird […] brutal umgegangen.“ Gleich noch mal: Nein! Das habe ich vor Ort kein einziges Mal gesehen. Das ist falsch. Den Beschäftigten sind die Schlachttiere nicht egal. Es bleibt eine Behauptung ohne ernsthaften Faktenbeleg.

Und nun zu drittens, denn die Krönung Ihres Antrags kommt erst noch: Sie behaupten schlicht, jegliches in unseren Betrieben beschäftigte Personal sei nicht ausreichend geschult für sachgerechte und gesetzeskonforme Schlachtungen. Es herrscht also pauschal die große Inkompetenz in allen deutschen Betrieben. Hier frage ich mich: Wie kommen Sie als Grüne dazu, den einheimischen Mitarbeitern und den Menschen aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Tschechischen Republik, die ich persönlich im Weißenfelser Schlachthof kennengelernt habe, so etwas Unverschämtes zu unterstellen? Ich habe all diese Beschäftigten zügig, fachkundig und professionell arbeiten sehen. Wie viele von denen, mit denen ich gesprochen habe, kennen Sie denn persönlich und deren beruflichen Hintergrund? Wohl keinen. Spätestens hier sollten auch Sie sich ehrlich eingestehen, dass man mit solchen Argumenten keinen Antrag durchbringen wird. Dass dieser Antrag nicht seriös sein kann, das wissen Sie selber.

Weiterhin will ich darauf hinweisen, dass der gesamte Schlachtprozess von amtlichen Veterinären, die übrigens beim Landkreis und damit beim Staat und nicht beim Betreiber in Lohn und Brot stehen und damit auch entsprechend unabhängig sind, ständig überwacht wird. Bei Missständen kann hier sofort eingegriffen werden.

Sie beschreiben zu Recht, das der Lebensmittelunternehmer aufgrund geltender Rechtsgrundlage Sicherungssysteme betreiben muss, um eine richtige Betäubung und Entblutung zu garantieren. In dem Betrieb in meiner Heimatstadt gibt es zur Kontrolle dazu das sogenannte Zwei-Waagen-System, wo das Tier vor und nach der hängenden Entblutung gewogen und so die Blutmenge geprüft wird. Eine bestimmte Menge stellt dann die ordnungsgemäße Entblutung sicher. Sollte diese Blutmenge unter einer Mindestmenge liegen, wird dies durch ein Signal angezeigt, und es steht zum Beispiel ein zusätzlicher Mitarbeiter bereit, der eine Nachentblutung vornimmt. Zusätzlich gibt es eine weitere Person, welche aufgrund der Prüfung von Reflexen bei jedem Tier feststellt, ob die Betäubung eine Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit erzeugt hat. Damit wird garantiert, dass jedes einzelne Tier richtig betäubt und entblutet in den Brühbereich gelangt.

Die verwendeten Betäubungsgeräte werden regelmäßig durch das Landesverwaltungsamt und durch Selbstkontrollen des Unternehmens geprüft.

Jeder Beschäftigte im Bereich Viehannahme, Betäubung/Entblutung kann dort nur mit einer entsprechenden Sachkundegenehmigung arbeiten.

Wenn Sie eine „unabhängige Mittelinstanz“ fordern, unterstellen Sie, dass es Landkreisbehörden gibt, die nicht unabhängig sind. Ich finde das anmaßend, aber es passt zu Ihrem regelmäßigen Misstrauen gegenüber Menschen in diesem Land.

Und auch Ihre Forderung von Videoüberwachung in Schlachtbetrieben halte ich für bemerkenswert, wo Sie das doch sonst zum Beispiel an Kriminalitätsschwerpunkten hier häufig ablehnen. Das zeigt Ihr Werteverständnis für mich eindrucksvoll auf.

Tierschutz zu verbessern, ist ein wichtiges und verfassungsrechtlich gebotenes Anliegen. Die Koalition folgt diesem Anliegen ständig, zum Beispiel durch Bereitstellung von Mitteln für die Forschungsförderung auch in diesem Bereich.

Doch zur weiteren Verbesserung von Tierschutz gehört auch eine wirtschaftliche Abwägung: Die Verwendung von Argon ist selbstverständlich teurer als die von CO2, eine wünschenswerte Veränderung von Bandgeschwindigkeiten hat ebenfalls Auswirkungen auf den Preis des Endproduktes.

Zur weiteren Verbesserung von Tierschutz muss deshalb auch gesunder Menschenverstand gehören, die Betrachtung der Realität Voraussetzung und die Einschätzung der aktuellen Lage stimmig sein. Nur so haben Verbesserungsansätze auch eine realistische Chance.

Ihrem Antrag können und werden wir so nicht zustimmen, weil viele Ihrer Forderungen bereits geregelt sind und in der Realität praktiziert werden, weiteren aber auch der sachliche Ansatz fehlt und wiederum andere sich auch aus Kostengründen und gesellschaftlicher Akzeptanz an der Ladenkasse der Branche noch nicht darstellen lassen.