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Marcus Weinberg: Wir haben nicht nur eine UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch eine Sozialgesetzgebung

Rede zur Altersfeststellung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

Vielen Dank, Herr Präsident. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will eines zu Ihrer Masche sagen, nachdem ich Sie gestern und heute beobachtet habe. Gestern melden Sie ein Thema an – „Freiheit und Gleichheit von Frauen“ – und kommen relativ schnell zum Thema Kandel und dem Bereich Ausländerpolitik. Heute melden Sie das Thema „Altersfeststellung von jungen geflüchteten Migranten“ an und kommen relativ schnell über die Sprache zu den Themen „volkswirtschaftlicher Schaden“, „Lügner“ etc.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die Verbindung ist doch klar!)

Für uns als Union steht eines fest: Das Thema Altersfeststellung von jungen geflüchteten Personen ist ein wichtiges Thema. Ich stimme den Kollegen der FDP ausdrücklich zu, dass wir dieses Thema versachlichen müssen; das steht außer Frage. Aber außer Frage steht für uns auch: Wenn man Ihren Antrag liest, Ihre Rede hört, Ihre Sprache identifiziert, stellt man fest, dass das mit unseren Grundwerten einer freiheitlich-christlichen Grundordnung nichts zu tun hat, sondern dass es weitestgehend Hetze gegen Ausländer ist. Das werden wir als solches nicht unterstützen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Kollegen haben es angesprochen: Wir reden hier im Kern über Kinder.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist doch genau die Frage! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir reden über Täuscher!)

Wir haben nicht nur eine UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch eine Sozialgesetzgebung. Dabei sind Herkunft oder Geschlecht und Ähnliches für uns nicht relevant. Gerade geflüchtete Kinder verdienen unseren Schutz, unser Vertrauen und unsere Zuwendung.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja!)

– Sie nicken, das nehme ich gerne zur Kenntnis. – Es ist unsere Aufgabe, ihnen dieses zu geben.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Dann muss man auch das Alter feststellen!)

Deutschland zeigt diesen Menschen gegenüber Solidarität und Anstand – aber: Das betrifft Kinder.

Das Ausnutzen des besonderen Schutzes für Kinder durch Erwachsene, die gegebenenfalls falsche Altersangaben machen, ist auch für uns nicht hinnehmbar.

(Beatrix von Storch [AfD]: Ach, jetzt auf einmal! Das ist doch Hetze! – Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Wird die Großzügigkeit des Staates durch Unberechtigte ausgenutzt, höhlt das die Hilfsbereitschaft und die Offenheit unserer Gesellschaft aus. Das werden wir nicht hinnehmen.

Ihr Antrag insgesamt ist aus unserer Sicht in seiner Sprache menschenverachtend,

(Zurufe von der AfD: Ja, ja!)

weil Sie nur Misstrauen und Anklage formulieren und nicht zum Thema kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Sagen Sie mal, was Hetze ist, ganz konkret!)

– „Volkswirtschaftlicher Schaden“ steht im Antrag, dann Ausnutzung und es diene der Abwehr von Gefahren. Es ist also nur eine Anklage und ein Misstrauen jungen Menschen gegenüber.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ist das Hetze? Ist das Wort „Hetze“ gefallen? – Weiterer Zuruf von der AfD: Wo leben Sie eigentlich?)

Deswegen will ich zu dem kommen, was wir in den letzten Jahren gemacht haben. Nadine Schön hat schon angesprochen, dass das Saarland mit dem Vorclearingverfahren einen sehr klugen Weg gegangen ist. Ich kann als Hamburger sagen – das ist für die Sozialdemokraten vielleicht ganz interessant –, dass wir ein besonderes Verfahren, das „Hamburger Modell“, haben, das vom Institut für Rechtsmedizin am UKE unterstützt und durchgeführt wird. Ähnliches gilt für die Regelung, die in Bayern getroffen wurde.

Ganz interessant – nur am Rande notiert –: Die CSU in Bayern, die SPD in Hamburg und die CDU im Saarland haben hierzu gemeinsame, kluge Vorgehensweisen entwickelt. Mit Blick auf Sonntag wäre das, was wir in den Sondierungen verhandelt haben – nämlich diese Ankersysteme bundesweit zu implementieren –, ein gangbarer Weg.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Weinberg, jemand aus der AfD würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Ja, gerne.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte sehr, Herr Kollege.

Jan Ralf Nolte (AfD):

Sehr geehrter Herr Kollege, als man das Alter von angeblich minderjährigen Flüchtlingen beispielsweise in Dänemark feststellte, waren 75 Prozent von denen über 18 Jahre. Wieso sind Sie der Meinung, dass dann in Deutschland ein gewisses Misstrauen menschenverachtend wäre?

(Sönke Rix [SPD]: Das wissen Sie doch gar nicht! Es gibt kein Wissen darüber!)

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Eines müssen Sie wissen: Ja, in Dänemark waren es 75 Prozent. Wir haben im Saarland 35 Prozent, in Hamburg 40 Prozent falscher Altersangaben. Das ist ein Problem, und dieses Problem müssen wir angehen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Aber 60 Prozent von denen waren minderjährig. Sie diffamieren diejenigen, die minderjährig sind. Bei uns gibt es eine ganz klare Aussage: Wir wollen die Kinder schützen und haben gewisse Vorgaben, wie wir Kinder in Deutschland betreuen. Bei denjenigen, wo es nicht stimmt, werden wir das über Verfahren entsprechend regeln.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie waren jahrelang in der Regierung! Das ist ja Wahnsinn! Was machen Sie eigentlich die ganze Zeit?)

Ich glaube, dass wir mit dem Sondierungspapier als Ergebnis der Sondierung richtig liegen. Wir haben – auch das wurde angesprochen – schon Ende 2015 in der Gesetzgebung den § 42f im Sozialgesetzbuch VIII dahin gehend verändert, dass das Jugendamt die Minderjährigkeit feststellen muss und medizinische Überprüfungen anordnen kann. Warum das nicht so erfolgt, wie wir uns das vorgestellt haben, dafür mag es viele Gründe und Ursachen geben. Ich habe es schon angesprochen: Jetzt wird man dahin kommen müssen, dass man sozusagen die Kompetenzen bündelt, dass man die Verfahren klarer macht. Das muss man aber sehr sorgsam machen. Auch da kann ich dem Kollegen der FDP nur zustimmen: Es gilt weiterhin, dass wir bei all den Maßnahmen, die wir entwickeln, den Schutz der Kinder in den Vordergrund stellen. Die geplanten ANkER-Einrichtungen sind vor diesem Hintergrund, glaube ich, gut und sinnvoll.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Abschließend muss noch einmal gesagt werden: Für uns in der Union – ich glaube, dass weite Teile des Plenums uns dabei unterstützen – besteht die Herausforderung jetzt darin, das Ganze deutlich zu verbessern. Es muss aber auch ganz klar gesagt werden – das meine ich mit der Formulierung, was man in Ihrem Antrag zwischen den Zeilen liest –:

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Warum lesen Sie zwischen den Zeilen? Da steht nichts drin!)

Reines Misstrauen darf es nicht geben. Reines Misstrauen wird es mit uns nicht geben;

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Hören Sie mit dem Unsinn auf!)

denn wir stehen zu einer humanen Gesellschaft mit einem christlichen Menschenbild. Das unterscheidet uns von Ihrem Ansatz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)