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(Quelle: Holocaust-Denkmal | unsplash.com/Michael Fousert)

Warnung vor wachsendem Antisemitismus

Bundestag gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

Vor dem Hintergrund von 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland hat der Bundestag in einer feierlichen Stunde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nannte es ein „unglaubliches Glück“, dass nach den Schrecken der Shoah jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich ist. „Deutschland ist für Juden wieder eine gute, mit Hoffnungen verbundene Heimat“, sagte Gastrednerin Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Schäuble erinnerte daran, dass Juden am Rhein lebten, lange bevor es Deutschland gab. Sie seien „Teil der deutschen Geschichte“, der hellsten Kapitel und der dunkelsten. Sie hätten das Leben auf vielfältigste Weise bereichert. Doch nach dem Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten, ihrem Versuch, jüdische Geschichte aus der deutschen, gar aus der Weltgeschichte zu tilgen, schien es, als sei jüdisches Leben in Deutschland unmöglich geworden. Eine, die daran mitgewirkt habe, ein neues deutsch-jüdisches Selbstbewusstsein aufzubauen, sei Charlotte Knobloch. 

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Charlotte Knobloch (Foto: Michael Wittig)

„Heimat ist Heimat“

In bewegenden Worten berichtete die 1932 in München geborene Knobloch von ihrer Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus, von der Großmutter, die in Theresienstadt ermordet worden war, und dem Vater, der - von Zwangsarbeit schwer gezeichnet – überlebte und sich nach 1945 für den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde in München engagierte. Sie schilderte auch ihren Wunsch, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in die USA auszureisen, den sie letztlich nie verwirklichte. Als Teil der jüdischen Gemeinschaft habe sie versucht, „aus dem Überleben ein Leben zu formen“, das geprägt gewesen sei von Trauer, Schmerz und Wut, aber: „Heimat ist Heimat.“

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Gedenkstunde im Deutschen Bundestag (Foto: Michael Wittig)

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden appellierte an die Politik, die kostbare Errungenschaft eines pluralistischen, vitalen deutschen Judentums zu verteidigen. Denn judenfeindliches Denken und Reden sei wieder salonfähig geworden. Antisemitismus und Rechtsextremismus stellten zunehmend eine Gefahr dar. „Passen Sie auf auf unser Land!“, bat sie die Abgeordneten. 

Schäuble nannte es „niederschmetternd“, dass unsere Erinnerungskultur nicht vor einer Umdeutung der Geschichte, vor Rassismus und Antisemitismus schütze. Gleichwohl müsse die Erinnerung an den Zivilisationsbruch der Shoah weitergegeben werden: „Unsere kollektive Verantwortung bleibt.“ Deutschland bekenne sich zu einer Zukunft, in der Juden ihr Jüdischsein offen, sicher und sichtbar leben können.

Warnung vor Schlussstrich-Debatte

Für die Generation der Nachfahren der Shoah-Überlebenden sprach Marina Weisband zu den Abgeordneten und Gästen. Die in der Ukraine geborene Publizistin und Politikerin, die 1993 mit ihrer Familie nach Deutschland kam, beschrieb die mühsame Suche nach Identität und Normalität, ihrem Wunsch, „einfach nur Mensch“ zu sein. Zugleich warnte sie vor der Debatte über den Schlussstrich. Denn was in der Zeit des Nationalsozialismus passiert sei, könne wieder passieren. Es beginne schleichend, unter anderem mit Verschwörungstheorien. 

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Marina Weisband (Foto: Michael Wittig)

Gedenktag von Bundespräsident Herzog vor 25 Jahren eingeführt

Der Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführt. Er fällt auf den 27. Januar, den Tag, an dem 1945 die Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz von Soldaten der Roten Armee befreit wurden. Jährlich veranstaltet der Bundestag am 27. Januar oder in zeitlicher Nähe eine Gedenkstunde. 

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Kolja Lessing (Foto: Michael Wittig)