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Tankred Schipanski: "Auch Netzwerke haben Verantwortung für die Debattenkultur"

Rede in der Aktuellen Stunde | Big Tech und die Meinungsfreiheit im Internet

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner der Debatte darf ich zusammenfassen, richtigstellen und natürlich Lösungsvorschläge präsentieren.

Wir haben es gehört: Anlass dieser Aktuellen Stunde der AfD ist, dass der Twitter-Account ihres Freundes Trump gesperrt wurde. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – wie viele andere Redner hier auch –: Gott sei Dank!

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Es war nicht mehr zu ertragen, was dieser Mann an Falschinformationen und Hetze verbreitet hat. Ich persönlich finde – wie viele Redner heute hier –: Die Netzwerke haben da viel zu spät reagiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde daher auch, dass die Netzwerke nicht unberechtigt in die Meinungsfreiheit eingegriffen haben, fernab der berechtigten Debatte, inwieweit durch mittelbare Drittwirkung von Grundrechten diese gebunden sind oder ob es einer gesetzlichen Grundlage für diese Sperrung bedarf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, ich glaube, Doro Bär hat zu Ihren Rednern heute alles Wesentliche gesagt.

(Lachen bei der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist eine Unverschämtheit! Hass und Hetze von der Regierungsbank!)

Ich darf an der Stelle vielleicht einfach noch mal Charlotte Knobloch in Erinnerung rufen, die gestern von dieser Stelle aus sehr zu Recht zu Ihnen gesagt hat – ich zitiere –: „Sie haben Ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.“

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt dieser Debatte sind nicht Google, Facebook oder Twitter. Ausgangspunkt der heutigen Debatte ist die Meinungsfreiheit in Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Artikel 5 differenziert dabei sehr klug in Schutzbereich und Schranken. Der Schutzbereich umfasst natürlich die Meinungsbildung und die Meinungsäußerung. Wert oder Unwert einer Äußerung sind nicht maßgeblich. Werturteile und Tatsachenbehauptungen werden umfasst. Ausgenommen sind – Tabea Rößner hat darauf hingewiesen – Schmähkritik und unwahre Tatsachenbehauptungen. Soweit wir Fake News unter „unwahre Tatsachenbehauptungen“ fassen, fällt eben gerade die Verbreitung von Fake News nicht in die Meinungsfreiheit.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Der zweite wichtige Punkt: Trumps Gewaltaufruf vom 6. Januar 2021. Ein Gewaltaufruf ist in Deutschland tatsächlich von der Meinungsfreiheit umfasst. Aber das Grundrecht auf Meinungsfreiheit darf beschränkt werden, und zwar durch allgemeine Gesetze; so steht es in der Verfassung. Allgemeine Gesetze sind die, die nicht per se eine Meinungsäußerung verbieten. Das wichtigste Gesetz, die wichtigste Grenze ist natürlich das Strafgesetzbuch – aber nicht nur. Daher haben wir eben mit übler Nachrede, Beleidigung und Verleumdung Äußerungsdelikte, die zu Recht diese Meinungsfreiheit einschränken, und auch § 111 StGB, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Sie sehen: Die Verhinderung dieses Aufrufs zu Gewalt ist möglich; das ist kein ungerechtfertigter Eingriff in die Meinungsfreiheit.

(Beatrix von Storch [AfD]: Es muss aber ein Gericht darüber entscheiden! Gewaltenteilung! Rechtsstaat!)

Meine Damen und Herren, ein weiterer absurder Vorwurf in dieser Debatte: Das NetzDG beschränkt die Meinungsfreiheit. – Blödsinn! Es geht darum, dass ich mein Recht, nämlich nicht beleidigt zu werden, nicht verleumdet zu werden, auch online in einem sozialen Netzwerk durchsetzen kann. Daher heißt es ja „Durchsetzungsgesetz“. Das Gesetz begründet gerade keine neuen Straftatbestände oder Strafbarkeiten.

Als Deutscher Bundestag sind wir mit dieser Plattformregulierung weltweit vorangegangen – das haben viele Redner hier betont –, und die EU zieht jetzt mit dem Digital Services Act nach. Als Gesetzgeber verlangen wir ausdrücklich, dass das Löschen von Posts unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein muss; Carsten Müller hat darauf hingewiesen. Wir haben die Transparenzberichte der Netzwerke. Wir debattieren über eine Forschungsklausel, und wir bearbeiten gerade die Novelle zum NetzDG. Das heißt: Auch Netzwerke haben Verantwortung für die Debattenkultur. Das ist etwas, was wir als deutscher Gesetzgeber mit dem NetzDG deutlich gemacht haben. Die EU zieht jetzt nach; wir sind Vorreiter.

Meine Damen und Herren, aber die Netzwerke selber leisten in ihren Gemeinschaftsstandards auch einen wichtigen Beitrag zur Debattenkultur. Sie haben klare Regeln aufgestellt, gerade auch mit Blick auf Fake News und Gewalt. Diese wurden beispielsweise nach den Ereignissen vom 6. Januar in Washington noch mal überarbeitet. YouTube – das können Sie nachschauen – hat ein dreistufiges Verwarnungssystem, wenn die Gemeinschaftsstandards nicht eingehalten werden. Erste Verwarnung: eine Woche Sperre. Zweite Verwarnung: zwei Wochen Sperre. Dritte Verwarnung: Schließen des Kanals. Das Schließen bzw. das Sperren des Kanals ist also die Ultima Ratio, das letzte Mittel, was diesem Netzwerk verbleibt. Auch das Netzwerk kennt damit den Begriff der Verhältnismäßigkeit.

Die politische Frage ist doch – das hat diese Debatte heute deutlich gemacht –, ob es notwendig ist, dass wir als Gesetzgeber Vorgaben machen mit Blick auf diese Gemeinschaftsstandards und bei Verstoß ganz konkrete Rechtsfolgen anordnen. Das kennen wir letztlich schon aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, für die wir ja im BGB klare Vorgaben machen. Das können wir auch diskutieren. Rechtlicher Anknüpfungspunkt dieser Debatte ist dabei für mich der Digital Services Act. Wenn Sie nachschauen: Der Erwägungsgrund 68 greift genau diese Problematik auf. Ich lade Sie herzlich ein, sich an dieser Debatte konstruktiv zu beteiligen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)