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Stephan Mayer: "Es gibt in all diesen vier Ländern keine Gruppenverfolgung"

Rede - Einstufung als sichere Herkunftsstaaten

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bitte ohne Doktortitel, das führt schnell zu Komplikationen. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir jetzt führen, schließt sich an sich sehr gut an die Debatte an, die gerade zum Global Compact for Migration geführt wurde.

Es geht darum, dass wir jetzt endlich das parlamentarische Verfahren eröffnen, was die Umsetzung eines wichtigen Anliegens der Regierungskoalition anbelangt, nämlich die vier Länder Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Das ist ein wichtiger Punkt im innenpolitischen Bereich des Koalitionsvertrages.

Die Bundesregierung hat schnell gehandelt. Das Bundesinnenministerium hat den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Aus unserer Sicht geht von diesem Gesetzentwurf sehr wohl ein richtiges und gutes Signal aus. Es hat sich bereits bei der Einstufung der sechs Westbalkanländer im Jahr 2016 bewährt: Die Zahlen der Asylanträge aus diesen Ländern sind nach der Einstufung als sichere Herkunftsländer signifikant zurückgegangen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Ähnliches auch der Fall sein dürfte, wenn wir die vier genannten Länder als sichere Herkunftsstaaten einstufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Alleine im vergangenen Jahr sind insgesamt 15 000 Asylverfahren von Angehörigen aus diesen vier Ländern durchgeführt worden. Das bedeutet: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hatten bei 15 000 Verfahren sehr sorgfältig zu prüfen, ob ein Asylbewerberstatus oder der Status als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter zu gewähren ist. In der überwiegenden Zahl der Verfahren waren die Bescheide negativ: Bei den Bewerbern aus Georgien betrug die Anerkennungsquote gerade mal 0,6 Prozent, bei Marokko 4,1 Prozent, bei Algerien 2,0 Prozent und bei Tunesien 2,7 Prozent. Das bedeutet, der überwiegende Teil der Bewerber aus diesen vier Ländern hatte von vornherein keine Perspektive, einen Schutzstatus zuerkannt zu bekommen.

Deshalb ist es aus unserer Sicht nur logisch und sachgerecht, dass wir diese Länder als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Es gibt in all diesen vier Ländern keine Gruppenverfolgung. Es gibt keine systematische Verfolgung. Es gibt auch keine unmenschliche oder unwürdige Behandlung oder Bestrafung von Personen, sodass es aus Sicht der Bundesregierung keine Gründe gibt, diese Einstufung der vier Länder nicht vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Sehr gerne.

Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade sinngemäß behauptet, es gäbe in den Ländern, über die wir heute sprechen, keine systematische und keine Gruppenverfolgung.

Jetzt möchte ich Sie mit etwas konfrontieren und fragen, ob Ihnen das bekannt ist, dass nämlich in den drei Ländern in Nordafrika, über die wir sprechen, Marokko, Algerien und Tunesien, Homosexualität mit bis zu drei Jahren Haft bestraft wird, dass es allein in Tunesien in diesem Jahr 70 Verurteilungen deswegen gegeben hat und dass die Bundesregierung auf meine Anfrage geantwortet hat, dass ihr die Zahl über die Verurteilungen in Algerien noch nicht einmal bekannt sei. Das heißt, in diesen Ländern findet eine strukturelle Diskriminierung und Verfolgung gerade von sexuellen Minderheiten statt. In dieses Klima kommen Sie mit einem Gesetzentwurf, der diesen Menschenrechtsverletzungen quasi ein Gütesiegel erteilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte Sie fragen, was Sie künftig dafür tun, damit diesen vulnerablen Gruppen ein ordentliches Verfahren gewährleistet wird, oder ob Ihnen das einfach egal ist, weil in Ihrem Gesetzentwurf im Gegensatz zu dem Gesetzentwurf der FDP zum Beispiel noch nicht einmal vorgesehen ist, dass es für diese vulnerablen Gruppen eine ordentliche Rechtsberatung gibt.

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Sehr geehrter Herr Kollege, ich danke Ihnen ganz herzlich für die Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, intensiver darzulegen, dass es eben nicht so ist, wie Sie es darstellen, dass nämlich Bewerbern aus sicheren Herkunftsländern kein ordnungsgemäßes und rechtsstaatliches Verfahren zuteilwird. Das Gegenteil ist der Fall: Selbstverständlich bleibt es auch bei Bewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten bei einer Individualprüfung. Jeder einzelne Asylantrag wird natürlich individuell geprüft. Nur die Verfahren sind etwas verkürzt. Das ist durchaus auch ein Vorteil.

Es besteht natürlich auch für Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten die Möglichkeit, gegen einen negativen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu klagen, sich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, die auch anderen abgelehnten Bewerbern zur Verfügung stehen, zur Wehr zu setzen. Es stimmt also nicht, was immer fälschlicherweise behauptet wird, nämlich dass Bewerber aus Ländern, die als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, kategorisch gar kein Verfahren bekommen oder dass deren Anträge pauschal abgelehnt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Es bleibt bei einer individuellen Prüfung, selbstverständlich auch bei vulnerablen Personen.

Es ist uns ein wichtiges Anliegen – und wir werden dieses Anliegen demnächst konkret umsetzen –, nicht nur die Rechtsberatung für vulnerable Personen, sondern auch die Asylverfahrensberatung insgesamt deutlich zu verbessern. Da passiert schon sehr viel Gutes in den Erstaufnahmeeinrichtungen, gerade in den neuen AnKER-Einrichtungen, die mittlerweile in Betrieb sind. Wir können sicherlich für eine neutrale und unabhängige Beratung noch mehr tun. Aber ich sage ganz offen: Die Beratung muss auch in die Richtung gehen, dass gerade den Personen, bei denen von vornherein und mit großer Wahrscheinlichkeit klar ist, dass der Asylbescheid negativ sein wird, sehr frühzeitig Perspektiven einer freiwilligen Rückkehr in das Heimatland – auch mit finanzieller Hilfe – eröffnet werden.

Es geht also nicht nur darum, Asylverfahrensberatung in die Richtung zu betreiben, dass man die Verfahren möglichst in die Länge zieht und möglichst alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpft. Vielmehr sollte Asylverfahrensberatung nach unserer Auffassung auch in die Richtung gehen, dass man frühzeitig Perspektiven einer Rückkehr in das Heimatland aufzeigt.

Wie gesagt, es bleibt bei einer individuellen Prüfung der Anträge auch aller Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten. Aber ich bin der Überzeugung, dass es gerade vor dem Hintergrund der starken Belastung und der hohen Anzahl an noch offenen Verfahren durchaus sachgerecht ist, dass wir die Kapazitäten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf die Länder fokussieren, bei denen die Anerkennungsquoten deutlich höher sind als bei den vier genannten Ländern Georgien, Algerien, Marokko und Tunesien.

Aus meiner Sicht ist durchaus auch wichtig, zu erwähnen, dass diese vier Länder selbst den Wunsch geäußert haben, als sicheres Herkunftsland eingestuft zu werden. Es ist sehr wohl eine gewisse Anerkennung der Entwicklung in diesen Ländern, wenn man sie als sichere Herkunftsländer einstuft. Das gilt aus meiner Sicht auch für die drei Maghreb-Länder. Natürlich gibt es da in rechtsstaatlicher Hinsicht noch Defizite; das möchte ich gar nicht leugnen. Aber es gibt in diesen drei Maghreb-Ländern, wie schon von mir ausgeführt – das wird durch die entsprechenden Länderberichte des Auswärtigen Amtes untermauert –, keine strukturelle Gruppenverfolgung. Es besteht die Möglichkeit, das dortige Justizsystem in Anspruch zu nehmen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Staatssekretär, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Polat? – Das würde dazu beitragen, Ihre Redezeit zu verdreifachen.

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Es muss keine Verdreifachung sein. Dennoch lasse ich die Frage sehr gerne zu.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär Mayer, das passt ganz gut an dieser Stelle. Ich möchte die Frage des Kollegen Lehmann wiederholen. Sie sind in Ihrer Antwort nur in Teilen auf seine Frage eingegangen. Er hat sich explizit auf die Gruppenverfolgung in den genannten Herkunftsländern bezogen. Das Bundesverfassungsgericht sagt ganz klar: Ein Land ist nicht als sicher einzustufen, wenn Gruppenverfolgung belegt ist. – Mein Kollege hat gesagt, dass es nicht nur eine strukturelle Diskriminierung gibt, sondern dass die homosexuelle Identität auch strafbewehrt ist. Was sagen Sie dazu? Aus unserer Sicht ist hiermit das Kriterium, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil erwähnt hat, nicht erfüllt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Sehr geehrte Frau Kollegin Polat, für uns als Bundesinnenministerium ist der Länderbericht des Auswärtigen Amtes von entscheidender Bedeutung. Die Länderberichte des Auswärtigen Amtes bezüglich der drei Maghreb-Länder beinhalten klar die Aussage, dass es keine strukturelle Gruppenverfolgung von Homosexuellen gibt. Vor diesem Hintergrund spricht aus unserer Sicht überhaupt nichts dagegen, diese drei Länder als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies ein wichtiges politisches Signal ist. Wir erwarten davon die klare Wirkung, dass die Zahl der Anträge aus diesen Ländern in der Folge zurückgehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte nachdrücklich für den Gesetzentwurf der Bundesregierung werben. Ich bin froh, dass dieser Gesetzentwurf nun die parlamentarischen Beratungen erreicht hat und im parlamentarischen Verfahren ist; denn aus unserer Sicht ist wichtig, dass wir möglichst zeitnah diesen Gesetzentwurf so weit gedeihen lassen, dass aus ihm Gesetzeskraft erwachsen kann, um dann die entsprechenden positiven Wirkungen zu haben, und zwar sowohl in verwaltungstechnischer Hinsicht, was die Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge anbelangt, als auch im Hinblick auf die Signalwirkung in Richtung der vier genannten Länder.

Ich freue mich auf eine konstruktive und intensive Befassung mit diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU/CSU)