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Stephan Mayer: Diese skandalösen Vorgänge verlangen nach einer vollständigen Aufklärung

Haltung der Bundesregierung zu den Korruptionsvorwürfen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Um eines zu Beginn klipp und klar zu sagen: Es gibt hier nichts zu beschönigen. Die Vorfälle in der BAMF-Außenstelle in Bremen sind in höchstem Maße ärgerlich und in höchstem Maße bedauernswert.

Um noch etwas in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese skandalösen Vorgänge verlangen nach einer vollständigen und rückhaltlosen Aufklärung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es muss festgestellt werden, wie es zu diesem inakzeptablen Fehlverhalten offenkundig einiger weniger Mitarbeiter kommen konnte. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass die heutige Aktuelle Stunde beantragt wurde, weil sie mir Gelegenheit gibt, Sie über den jetzigen Kenntnisstand zu informieren und die jetzigen Kenntnisse mit Ihnen zu teilen.

Worüber sprechen wir? Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Vorwurf an eine mittlerweile suspendierte Mitarbeiterin der Bremer Außenstelle lautet, sie habe wiederholt in laufende Asylverfahren eingegriffen, obwohl hierfür keine fachliche Zuständigkeit bestand. Sie habe in großem Stil Verfahren aktiv an sich gezogen und Asyl- oder Flüchtlingsschutz gewährt, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren, und sie habe Identitätsprüfungsregelungen missachtet und beispielsweise darauf verzichtet, dass eine Anhörung stattfindet und dass notwendige Ausweisdokumente vorgelegt werden.

An diesen fehlerhaften Entscheidungen waren offenkundig weitere Personen beteiligt, die mit der BAMF-Mitarbeiterin kollusiv und – ich betone – offenkundig vorsätzlich zusammengearbeitet haben. Darunter befinden sich auch zwei Rechtsanwaltskanzleien aus Niedersachsen. Um auch dies ganz klar zu sagen: Dies ist absolut inakzeptabel und nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb werden sämtliche Verfahren – ich betone: sämtliche – komplett auf den Prüfstand gestellt, in die diese Rechtsanwaltskanzleien involviert waren. Insgesamt handelt es sich dabei um exakt 4 568 Verfahren aus dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 16. November 2017, die auch in anderen BAMF-Außenstellen bearbeitet worden sind. Bestätigen sich die Vorwürfe in Bremen, wäre das ein massiver Rechtsbruch. Da gibt es, wie gesagt, nichts schönzureden.

Wie gehen wir im Bundesinnenministerium nun mit dieser Situation um, und was wird derzeit getan? Die entscheidende Frage muss aus meiner Sicht auch sein: Welche Lehren ziehen wir aus diesem Einzelfall in der BAMF-Außenstelle in Bremen für die Zukunft?

Drei Punkte sind aus meiner Sicht das Gebot der Stunde: erstens rückhaltlose, lückenlose, ehrliche und schonungslose Aufklärung. Wir werden im Bundesinnenministerium nichts tun, um irgendetwas unter den Teppich zu kehren. Wir sind für schonungslose Aufklärung.

Den Vorwurf, wir würden vertuschen oder den Eindruck erwecken, zu vertuschen, der teilweise erhoben wird, möchte ich auch im Namen der Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums und des BAMF in aller Deutlichkeit von uns weisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das BAMF hat die betreffende Mitarbeiterin bereits im Juli 2016 – genauer gesagt: am 21. Juli 2016 – nach ersten Vorwürfen von der Leitung der Außenstelle Bremen entbunden. Herr Kollege Thomae, Sie sagten, es habe so lange gedauert, da ja der erste Hinweis an die Ombudsstelle im Bundesinnenministerium schon am 25. Januar 2016 erfolgte. Das stimmt, nur: Diese ersten Hinweise haben sich in keiner Weise auf die betreffende Mitarbeiterin – damals die Leiterin – des BAMF bezogen. So kann man also nicht den Schluss ziehen: Hier ist sechs Monate zugewartet worden. Diese Vorwürfe haben sich erst wesentlich später auf die besagte Mitarbeiterin konkretisiert und spezifiziert.

Wegen weiterer Vorfälle hat das BAMF zudem bereits im Herbst 2017 Strafanzeige gestellt – ich betone: eigen­initiativ – und arbeitet seitdem eng mit der Staatsanwaltschaft Bremen zusammen. Um dies klar zu sagen: Wir unterstützen vollumfänglich die Ermittlungsarbeiten der Staatsanwaltschaft Bremen.

Die vollständige Suspendierung der besagten Mitarbeiterin erfolgte dann auf Wunsch der Staatsanwaltschaft – wohlgemerkt: auf Wunsch der Staatsanwaltschaft – erst vor wenigen Tagen, um die verdeckten Ermittlungen nicht zu gefährden. Auch hier lasse ich keinen Vorwurf konstruieren gegenüber dem Bundesinnenministerium bzw. dem BAMF. Dass so lange zugewartet wurde und die Suspendierung erst in der letzten Woche erfolgte, geschah auf ausdrücklichen Wunsch der Staatsanwaltschaft Bremen.

Aufzuklären ist zunächst das persönliche Fehlverhalten der Mitarbeiterin und möglicher weiterer Tatbeteiligter. Alle Verfahren, die unter Beteiligung der tatverdächtigen Rechtsanwälte durchgeführt wurden, werden nun komplett geprüft; ich habe dies bereits erwähnt. Es handelt sich um 4 568 Entscheidungen. In bisher 40 Prozent der Verfahren ist die Prüfung bereits erfolgt. Das erste Zwischenfazit auf Basis der Aktenlage lautet, dass in anderen BAMF-Außenstellen keine Manipulationen festgestellt werden konnten. Die manipulierten Anerkennungsbescheide werden – um dies klar zu sagen –, soweit rechtlich irgendwie möglich, aufgehoben. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag erinnern, dafür zu sorgen, für die Prüfung aller positiven Asylentscheidungen verbindliche Mitwirkungspflichten der Betroffenen vorzusehen. Es ist heute leider nicht die Rechtslage, dass die Betroffenen in einem eventuellen Rücknahmeverfahren eine verbindliche Mitwirkungspflicht haben. Dies ist aus meiner Sicht gesetzlich schnell zu regeln. Hier brauchen wir dringend eine gesetzliche Klarstellung, um deren Unterstützung ich Sie bereits heute bitte. Das Bundesinnenministerium wird hier zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der zweite Punkt betrifft die Abläufe im BAMF insgesamt. Wir werden sehr genau, intensiv und dezidiert der Frage nachgehen, ob es organisatorische Mängel im Bundesamt gab oder gibt, die ein drastisches Fehlverhalten Einzelner zulassen oder sogar begünstigen. Es wird auch die Frage zu klären sein: Wie konnten Sicherungssysteme umgangen werden, und wo bestehen mögliche Defizite in den Kontrollinstanzen? Ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung muss die Frage spielen, ob die gegenwärtige Personaldecke ausreicht, um die Bescheidungspraxis, das Controlling und die Qualitätssicherung in guter Qualität sicherzustellen. Ich persönlich bin der Meinung: Nein, sie reicht nicht aus. Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge personell besser ausstatten und aufstocken. Das Bundesinnenministerium wird mit der Forderung in die Beratungen über den Haushalt 2018 gehen, dass wir 1 300 zusätzliche Stellen im BAMF benötigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin aber sehr froh – um dies klar zu sagen –, dass der Bundesrechnungshof entschieden hat, eine ohnehin vorgesehene Überprüfung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorzuziehen und insbesondere die Vorfälle in Bremen einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Ich bin der Überzeugung, dass gerade der Bundesrechnungshof als neutrale und prüfungserfahrene Behörde dafür prädestiniert ist. Wie gesagt, es wird die Aufgabe des Bundesrechnungshofes sein, nicht nur die konkreten Einzelfälle in der BAMF-Außenstelle in Bremen zu beleuchten, sondern insgesamt auch zu prüfen, ob die vorhandenen Strukturen und Verfahren im BAMF verbesserungsbedürftig sind. Für diese wichtige Strukturuntersuchung bin ich dem Bundesrechnungshof sehr dankbar. Ich sage hier auch zu, dass wir die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes sehr ernst nehmen werden.

Das führt mich nun zu meinem letzten Punkt. Es geht um die Frage, welche nötigen Konsequenzen zu ziehen sein werden. Ich möchte dem Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes in keiner Weise vorgreifen. Aber klar ist aus meiner Sicht schon jetzt, dass die bereits nach dem Fall Franco A. aufgelegte Qualitätsoffensive im BAMF weiter ausgebaut werden muss. Bereits zum 1. September letzten Jahres sind Verbesserungen in der Qualitätssicherung ins Werk gesetzt worden – ein dreistufiges Qualitätssicherungssystem –, um Missbrauch zu verhindern. Die erste Stufe ist, dass sämtliche Verfahren und Bescheide – nicht nur in der Außenstelle Bremen, sondern in allen Außenstellen – mittlerweile nach dem Vieraugenprinzip erarbeitet und erlassen werden. Die zweite Qualitätsstufe ist, dass dezentral in allen Außenstellen 10 Prozent aller Verfahren durch Stichproben überprüft werden. Die dritte Stufe im Qualitätssicherungssystem ist, dass in der Zentrale in Nürnberg noch einmal stichprobenartig einige Verfahren einer internen Revision unterzogen werden. Ich sage deutlich, dass auch die Verwendung neuer IT-Methoden wie beispielsweise die Sprachanalyse sowie Bild- und Sprachbiometrie weiter vorangetrieben werden muss.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, um dies noch einmal klar zu sagen: Diese Vorfälle in Bremen sind in höchstem Maße bedauerlich. Sie sind ärgerlich. Sie müssen auch dazu führen, dass die schon ins Werk gesetzte Qualitätsoffensive vorangetrieben wird. Niemand hat ein so großes Interesse daran wie das Bundesinnenministerium selbst. Ich sage dazu: Es muss in Zukunft so sein, dass, wenn erhebliche, signifikante Abweichungen bei der Schutzquote von einer Außenstelle zum Bundesdurchschnitt oder zu anderen Außenstellen vorhanden sind, dies nicht erst auf anonyme Hinweise hin überprüft werden darf, sondern dass dies aus meiner Sicht von Amts wegen erfolgen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage aber auch, dass die beste Sicherung nichts hilft bei einem massiven, kollusiven und vorsätzlichen Zusammenwirken der Beteiligten. Hier war offenbar hohe kriminelle Energie dabei.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Mayer, denken bitte auch Sie an die Redezeit.

Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Ich darf abschließend, sehr verehrte Frau Präsidentin, eines noch mal deutlich machen: So schlimm und so bedauerlich diese Vorkommnisse in Bremen sind, sie dürfen aus meiner Sicht nicht dazu führen, dass wir eine Behörde insgesamt diskreditieren. Wenn ich dann von der AfD höre, dass sie das BAMF am liebsten abschaffen würde: Dies ist genau das falsche Signal.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt 7 000 Mitarbeiter im BAMF, die eine gute Arbeit leisten, und es wäre vollkommen falsch, diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Generalverdacht zu stellen. Ich sage hier noch mal volle Transparenz und nachdrückliche, vollumfängliche Aufklärung durch das Bundesinnenministerium zu.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)