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Ralph Brinkhaus: "Neben der Trauer steht für mich auch tiefe Scham"

Rede zu Rechtsterrorismus und Hass

Herr Bundespräsident, es ist ein wichtiges Zeichen, dass Sie heute bei dieser Debatte hier sind, und Herr Bundestagspräsident, vielen Dank für die wirklich wichtigen Worte, die auch uns als Parlament den Spiegel vorgehalten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn es ist einfach so, dass wir zu oft betroffen hier sitzen, und es ist so, dass wir auf zu vielen Trauerfeiern sind. Wir stehen vor einer Situation, wo wir uns fragen müssen: Warum ist das so, und warum können wir das nicht verhindern?

Es sind in erster Linie Menschen, die ermordet worden sind. Es waren neun junge Leute, die einfach den Tag ausklingen lassen wollten. Söhne, Brüder, eine zweifache Mutter, ein Familienvater. Sie gingen abends aus dem Haus. Sie trafen sich mit Freunden in einer Bar, waren auf dem Weg, Zigaretten zu holen – und sie kehrten nicht mehr zurück. Sie alle hatten genauso wie die ermordete Mutter des Täters nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht. Sie alle fehlen. Und sie werden im Übrigen auch noch fehlen, wenn diese Debatte längst vorbei ist und wir uns anderen Themen zugewandt haben.

Wir trauern um sie. Unser tiefes Mitgefühl gilt ganz besonders ihren Familien und Freunden und natürlich auch den Verletzten und Traumatisierten.

Doch neben der Trauer steht für mich auch tiefe Scham. Denn was uns als Politiker nach Hanau, nach Halle, nach so vielen – zu vielen – anderen Orten mindestens genauso erschüttern muss, ist die Tatsache, dass Menschen in diesem Land wieder Angst haben – Angst haben, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören, weil sie einen bestimmten Glauben haben und weil sie das Gefühl haben, der Staat kann sie nicht schützen.

Doch genau das ist die Aufgabe dieses Staates: den Einzelnen zu schützen. Denn, meine Damen und Herren, nur wer in Sicherheit lebt, kann auch in Freiheit leben. Der Anschlag von Hanau war daher nicht nur – was schlimm genug ist – ein Anschlag auf wehrlose Menschen. Es war ein Anschlag auf den Kern unseres Staates, auf unsere Sicherheit und damit auf die Freiheit nicht nur derjenigen, die ermordet worden sind, sondern auf die Freiheit von jedem von uns. Damit sind all die Anschläge, die wir in den letzten Jahren betrauerten, nichts anderes, meine Damen und Herren, als Anschläge auf unsere Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ja, Herr Bundestagspräsident, unsere Demokratie wird bedroht – mehr denn je. Ich bin gewiss niemand, der die Gefahr durch Extremismus auf der linken Seite oder Islamismus unterschätzt; aber der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts und nirgendwo anders, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Das zeigt eine lange Kette unerträglicher Ereignisse: die Verbrechen des NSU, der Mord an Walter Lübcke, die antisemitischen Anschläge in Halle, die Morde von Hanau und, und, und.

(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Wir dürfen uns nichts vormachen: Der Rechtsextremismus hat es eben nicht nur auf einzelne Menschen und auf einzelne Gruppen abgesehen, er hat es auf das freiheitliche Fundament unseres Staates abgesehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen noch einmal: Hanau war mehr als die Tat eines Einzelnen, eines Verwirrten. Es war im Ergebnis ein Anschlag auf uns alle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und deswegen müssen auch alle – ich betone: alle – eine Antwort geben, laut und eindeutig: Wir Demokraten stehen zusammen für ein friedliches, weltoffenes und tolerantes Deutschland. Wir schützen die Rechte aller unserer Mitbürger, egal woher sie kommen oder welche Religion sie ausüben. Wer diese Rechte missachtet oder anderen abspricht, der stellt sich ganz bewusst gegen dieses Land.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wer diese Rechte nicht achtet, stellt sich auch außerhalb unserer Gesellschaft, und er ist in Wahrheit der „andere“, meine Damen und Herren.

Doch reden reicht nicht – da haben Sie recht, Herr Bundestagspräsident; wir haben zu viel geredet –, es kommt auf die Taten an. Sicherlich, wir haben einiges gemacht: 600 zusätzliche Stellen beim Bundeskriminalamt und beim Verfassungsschutz; es wurden rechtsextreme Vereine verboten, wir haben das Waffenrecht verschärft. Wir werden in den nächsten Wochen ein Gesetz gegen Hass im Internet verabschieden.

Aber das reicht nicht. Wir müssen mehr tun, wir müssen noch mehr an Zeit und Geld im Kampf gegen diesen Hass investieren. Denn unsere Antwort darauf kann nur heißen: Wir sind ein starker, robuster Staat, der sich wehrt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn Fakt ist: Hass, Hetze und Angriffe auf Personen in unserer Gesellschaft nehmen zu. Und immer – immer! – beginnt es mit der Sprache: Beleidigungen, Schmähungen, Ausgrenzungen sind der erste Schritt in die Verrohung, der erste Schritt, dem anderen das gleichwertige Menschsein abzusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Dabei kann im Übrigen jeder von uns ins Visier geraten: Verbale Angriffe gegen Menschen mit Migrationshintergrund, leider auch zu oft im Sport, gegen Bürgermeister, Gemeinderäte, Polizisten und Rettungskräfte haben ein erschreckendes Ausmaß angenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Frage, die sich in aller Dringlichkeit stellt, ist doch: Wie können wir diese unheilvolle Eskalation stoppen? Aber der Kampf gegen diese Eskalation ist eben nicht nur Aufgabe des Staates. Wir alle, jeder Einzelne, muss dieser Verrohung der Sprache in der analogen und – auch das stimmt – ganz besonders in der digitalen Welt entschieden entgegentreten.

(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Was noch vor Jahren an Hass undenkbar war, ist heute Alltag im Netz, auf unseren Schulhöfen, in unseren Fußballstadien, und – ja, auch das gehört zur Wahrheit dazu – es ist leider auch Alltag hier im Parlament, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und um dies gleich zu sagen: Es geht überhaupt nicht darum, dass Probleme nicht benannt werden dürfen; aber es geht um das Wie. Es geht um Respekt und Achtung in der Gesellschaft und in der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn es ist letztlich die Sprache, die am Anfang einer Radikalisierung steht, einer Radikalisierung, die, wie wir gesehen haben, zu oft in Gewalt und Morden endet.

Meine Damen und Herren, die Morde von Hanau sind fürchterlich und haben uns tief erschüttert. Aber ich habe trotzdem Hoffnung, weil ich in den letzten Tage gesehen habe, wie die Menschen in diesem Land zusammenstehen und wie sie Haltung zeigen, in Hanau, aber auch an vielen, vielen anderen Orten, wie sie aufstehen und laut sagen: Jeder in diesem Land hat Anspruch auf Schutz, Achtung und Respekt, egal woher er kommt und egal was er glaubt.

Ich glaube, es wird kein einfacher Weg werden, die fatalen Entwicklungen der letzten Jahre wieder zurückzudrehen. Aber ich möchte alle in diesem Parlament – und wenn ich alle sage, dann meine ich auch wirklich alle – einladen, dass wir diesen harten Weg gemeinsam gehen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Wir sind die Vertretung des deutschen Volkes. Wir müssen ihn gemeinsam gehen, damit nie wieder in diesem Land ein Bürger auf einer Trauerfeier dem Bundespräsidenten oder der Bundeskanzlerin erklären muss: Ich habe Angst.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Roland Hartwig, AfD.

(Beifall bei der AfD)