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Prof. Dr. Patrick Sensburg: Hetze jedweder Art sollten wir nicht tolerieren

Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Legaldefinition in Paragraph 130 StGB

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Ich glaube, das trifft ganz genau auf Ihren Antrag zu, meine Damen und Herren von der AfD.

(Stephan Brandner [AfD]: Das Gesetz gibt es doch schon!)

– Sie wollen ja eine Gesetzesänderung; das ist natürlich auch ein Gesetz. Das sollten Sie als Vorsitzender des Rechtsausschusses wirklich wissen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wenn Sie sagen, Sie wollten nicht schon lange Hand an den § 130 StGB anlegen und die Volksverhetzung abschaffen, dann ist das falsch. Frau Kollegin Renner hat Sie eben zitiert, aber ich möchte das Zitat komplettieren, weil es so gut ist. Herr Kollege Maier, Sie haben im März dieses Jahres noch gesagt:

Vor diesem Hintergrund wäre es an und für sich konsequent, den § 130 zu streichen, um nicht große Teile der Gesamtbevölkerung zu kriminalisieren.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sprechen Sie doch zum Antrag! – Stephan Brandner [AfD]: Das war doch der Konjunktiv, oder nicht?)

Das ist völlig klar, in welche Richtung Sie gehen wollten. Ihr Zitat ist im „Handelsblatt“ am 23. März 2018 nachzulesen. Schon vor drei Jahren hat Höcke an vielen Stellen, selbst in internen Mails – darüber ist berichtet worden –, die Abschaffung der §§ 86 und 130 StGB gefordert. Also sagen Sie nicht, Sie wollten keine Hand an den § 130 legen. Doch, das ist genau Ihre Linie.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen, man müsste im § 130 ein neues Tatobjekt aufnehmen, nämlich uns Deutsche. Dazu besteht kein Bedarf. Sie stützen Ihre Argumentation auf zwei Urteile. Auf das Revisionsurteil ist der Kollege Jung schon eingegangen. Außerdem stützen Sie Ihre Argumentation auf einen Aufsatz in der „Juristischen Rundschau“ vom Kollegen Nowrousian. Das ist übrigens ein Kollege von mir von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Münster. Sie sollten den Aufsatz aber genau lesen. Darin steht gar nicht, dass man als Tatobjekt die Deutschen aufnehmen muss. Er besagt, dass der Paragraf, wie er jetzt besteht – das haben Sie in Ihrer Rede selbst erwähnt, Herr Maier –, im Grunde schon all das einschließt.

Die Frage ist, ob der öffentliche Friede verletzt wird, wenn der ein oder andere mit welch schlimmen Worten auch immer etwas Böses sagt. Dafür haben wir den Tatbestand der Beleidigung. Es ist gut, dass er angewendet werden kann.

(Widerspruch bei Abgeordneten der AfD)

Selbst die Aufsätze, die Sie für Ihre Gesetzesinitiative zugrunde legen, decken Sie nicht. Lesen Sie den Aufsatz in der „Juristischen Rundschau“ von 2017 einmal ordentlich durch.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Sensburg, der Kollege Maier würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Das kann er gerne machen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte, Herr Maier.

Jens Maier (AfD):

Erst einmal, Herr Dr. Sensburg, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich muss noch einmal auf Ihre Bemerkung zur Abschaffung des § 130 StGB von vorhin zurückkommen; ich wurde hier nicht zur Kenntnis genommen. Das geht nicht, weil es eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2008 gibt, die dies verbietet. Insofern war das nur ein Fabulieren ins Blaue hinein,

(Lachen bei der CDU/CSU)

insbesondere vor dem geschichtlichen Hintergrund, dass dieser Paragraf als Kampfmittel angewendet wurde, unter anderem im 19. Jahrhundert gegen die Sozialdemokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie es denn gefordert?)

Ich bin dagegen, dass über das Strafrecht die Meinungsfreiheit reguliert wird. Das ist nicht in Ordnung.

Danke.

(Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Jetzt ist die Maske gefallen! Jetzt wissen wir, worum es geht! – Michael ­Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt schlag ihn aus dem Feld!)

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):

Herzlichen Dank für die Anmerkung; ich denke noch darüber nach, wo die Frage war. Sie haben bestätigt, dass Sie die Abschaffung des § 130 StGB gefordert haben, auch wenn es nur ins Blaue hinein fabuliert war. Sie haben aber eben – auch wenn das, was Sie gemacht haben, nur ins Blaue hinein fabuliert war – dem Kollegen Jung unterstellt, er hätte gelogen, als er Sie zitiert hat.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig, so ist es!)

Von daher: Wer lügt denn hier? Das ist das Traurige.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gönne Ihnen, Herr Kollege Maier, jedes Fabulieren ins Blaue; Sie sind auch nur ein Mensch. Das ist völlig okay. Aber dann sagen Sie es von Anfang an, und werfen Sie nicht anderen Kollegen vor, sie hätten gelogen. Das ist schlechter Stil. Das wollte ich aufzeigen, und das ist auch deutlich geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben nun in verschiedenen Reden festgestellt, dass der § 130 StGB in seiner jetzigen Form – bei aller Komplexität, die er auch hat, historisch gesehen, in seiner Entwicklungsgeschichte usw. – von der Rechtsprechung vollumfänglich gut erfasst wird. Dass es vielleicht Einzelentscheidungen, auch Einstellungen von Staatsanwaltschaften gibt, über die man diskutieren kann, ist richtig – schreiben Sie dazu einen Aufsatz! –; aber deswegen die Änderung des Gesetzes zu fordern, ist falsch.

Ich erinnere noch einmal an meinen Eingangssatz: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Hetze jedweder Art sollten wir nicht tolerieren. Eine klare Anwendung der Normen, die es gibt, sollten wir fordern. Aber Finger weg von Gesetzen, wenn es nur dazu dient, das eigene nationaldeutsche Antlitz anzustreichen und ins Licht zu rücken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist falsch. Es gibt keine gute oder schlechte Hetze. Daher sollten wir hier ganz deutlich sagen: Setzen gerade Sie sich dafür ein, dass Hetze nicht stattfindet. Ich glaube, damit wäre schon viel erreicht.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)