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(Quelle: Laurence Chaperon)

"Politik ist kein Komödienstadl"

Volker Kauder im Interview mit der Berliner Zeitung

Im Interview mit der Berliner Zeitung nahm der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, Stellung zur aktuellen politischen Lage. Was sich mit der neuen großen Koalition ändern wird, wie man der AfD im Bundestag begegnet und worin sich die Bundesregierung und der FC Bayern München ähneln, erfahren Sie hier. 

Herr Kauder, wie oft haben Sie in den vergangenen Monaten gedacht: Jetzt reicht es aber mit dem ganzen Hin und Her?

Es war klar, dass die Regierungsbildung nicht einfach wird. Am Ende der Gespräche mit der SPD habe aber auch ich gedacht: Lasst uns zu einem Ende kommen. Die Leute verstehen das Ganze nicht mehr.

Ist das Land in einer Krise, weil sich die Regierungsbildung solange hinzieht?

Der Bundestag arbeitet. Der Aufschwung geht weiter. Nein, es ist keine Krise. Aber sechs Monate nach der Wahl müssen die vielen Herausforderungen angepackt werden - bei uns, in Europa. Dazu brauchen wir eine stabile Regierung.

Die Verständigung auf einen Koalitionsvertrag war schon nicht einfach, wie soll denn dann das Regieren funktionieren? Gibt es für alles, was nicht im Koalitionsvertrag festgehalten ist, eine Basisbefragung?

Bei uns sicher nicht. Und auch nicht bei der SPD, denke ich jedenfalls. Sicher beweist sich die Stärke einer Koalition dann, wenn Dinge zu entscheiden sind, an die bei der Verabschiedung des Koalitionsvertrags nicht zu denken war. Aber da haben Union und SPD ja Übung. Denken Sie an die Finanzkrise und die Flüchtlingsbewegung. Wir werden in den nächsten Jahren die Kraft haben, richtig auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Wir kennen uns ja.

Ist das nicht genau das Problem? Die Kritik an der großen Koalition ist ja: Es sind immer dieselben Leute, es geht immer weiter so.

Ach, was ist das für ein komischer Vorwurf. Natürlich werden wir vieles fortsetzen, was richtig ist. Beispielsweise die Förderung der Bildung oder den Kita-Ausbau. Politik ist kein Komödienstadl, wo das Publikum ständig mit neuen Gags unterhalten werden muss. Natürlich gilt es auch viele neue Akzente zu setzen, vor allem um Deutschland fit für das Zeitalter der Digitalisierung zu machen.

Ein Megathema, aber SPD und Union machen daraus nicht mal ein Schwerpunktministerium.

Es kommt auf die Inhalte an. Wir wollen die Schulen zum Beispiel ans Netz bekommen. Die Schüler sollen mit modernsten Lehrmitteln lernen. Das ist ein gigantisches Milliarden-Programm. 

Kritiker des Koalitionsvertrages sagen, viele Vorhaben seien zu wenig ambitioniert. Der Netzausbau soll bis 2025 abgeschlossen sein. Für die Pflege gibt es nur 8000 neue Stellen.

Der Vorhalt ist typisch. Jeder Plan wird zerredet. 8000 neue Pflegekräfte müssen auch erst einmal ausgebildet werden. Das dauert im Schnitt drei Jahre. Über 7000 neue Beamte bei der Bundespolizei – die Stellen sind schnell geschaffen, aber die Anwärter sind da noch längst durch die Schulen gegangen.

Der Ausbau des Internets ist auch nicht erst seit gestern eine Notwendigkeit.

Ich gebe zu, hier hätten wir noch energischer handeln müssen. Aber es gibt leider  Grenzen, weil nicht genügend Baufirmen da sind oder die Planung zu langsam ist. Für den Infrastrukturausbau wurden in der letzten Wahlperiode Milliarden zur Verfügung gestellt. Aber das Geld floss teilweise nicht ab, weil die Kommunen mit dem Planen nicht hinterherkamen. Das hat auch einen Grund: Die Planungsverfahren sind zu kompliziert. Von der Entscheidung, eine Autobahn zu bauen, bis zum ersten Spatenstich, vergeht meist über ein Jahrzehnt. Das ist doch Wahnsinn, man sieht ja wie es woanders geht. 

In anderen Ländern gibt es oft weniger Einspruchsmöglichkeiten, etwa für Anwohner.

Wir müssen die Verfahren straffen, ohne dass nun die Rechte von Bürgern   geschliffen werden. Das muss doch gehen!

Viele der Rufe nach Erneuerung kommen auch aus Ihrer eigenen Partei, der CDU. Wie erklären Sie sich das?

Natürlich war die große Koalition auch in der Union nach der Wahl nicht die erste Option. Deswegen war das Interesse an Jamaika so groß. Nach dem Scheitern herrschte Enttäuschung und deshalb wurde auch der Ruf nach Erneuerung stärker. Aber die große Koalition wird die Sache schon gut machen.

Also braucht es keine personelle Erneuerung in der CDU?

Die Kunst besteht in der richtigen Mischung zwischen Jungen und Erfahrenen. Wie in Sportmannschaften. Beim FC Bayern läuft es auch wieder ausgezeichnet, seitdem der 72-Jährige Heynckes wieder Trainer ist und der fördert wieder verstärkt Jüngere. Wie gesagt: Der Mix macht’s.

Angela Merkel ist seit 12 Jahren Kanzlerin, seit bald 18 Jahren Parteichefin. Da kann man doch auch mal sagen: Ist mal gut.

Die Mehrheit der Bürger vertraut Angela Merkel. Wenn ich allein an die Herausforderungen in Europa denke, kenne ich niemanden, der das besser machen könnte.

Was halten Sie von der Forderung aus der CSU nach einer konservativen Revolution?

Die Gedanken sind frei. Aber die Leute interessiert vor allem eins: Sie wollen konkrete Antworten. Die Schulen zu modernisieren, ist weder konservativ, noch christlich, noch liberal. Das ist eine Frage von notwendig.

Wäre das eigentlich etwas für Sie, das Bildungsministerium?

Ich mache meine Aufgabe gern und will nicht in die Regierung.

Das hat Martin Schulz auch einmal gesagt und dann seine Meinung geändert.

Ich bin nicht Martin Schulz.

Wäre es so schlimm in der Regierung?

Ich möchte Fraktionsvorsitzender bleiben. Da bin an der richtigen Stelle.

Schon die Verteilung der Ministerien hat die Partei aufgewühlt. Was ist dran am Finanzministerium, dass es manche in der CDU gar nicht loslassen wollen?

Der ausgeglichene Haushalt und eine solide EU-Finanzpolitik sind zu einem CDU-Markenzeichen geworden. Da gibt es die Sorge, dass ein SPD-Finanzminister das ändern könnte. Aber das wird nicht geschehen. Das Haushaltsrecht des Bundestags setzt ihm enge Grenzen. Wir werden keinen Haushalt mit neuen Schulden beschließen. Ein frei tanzender Künstler ist der Bundesfinanzminister nicht.

Das weiß aber der Unions-Wirtschaftsflügel auch - und sieht deswegen trotzdem das Ende der Volkspartei CDU.

Ob die CDU Volkspartei bleibt, hängt davon sicher nicht ab. Seitdem klar ist, wer CDU-Generalsekretärin wird, hat sich die Debatte auch beruhigt. Nur zur Erinnerung: Vor vier Jahren haben wir über 40 Prozent erreicht.

Vor vier Jahren gab es die AfD noch nicht.

Mit unserem Streit über die Flüchtlingspolitik haben wir als Unionsparteien dazu beigetragen, dass die AfD zulegen konnte. Deswegen ist es wichtig, dass wir im Koalitionsvertrag etwa die Begrenzung des Familiennachzugs durchgesetzt haben.

Und das reicht?

Wir werden nicht alle Wähler von der AfD zurückgewinnen können. Unter denen gibt es Leute, die unsere Demokratie ablehnen. Aber auch mit denen diskutieren wir und versuchen, sie umzustimmen. Ich weiß, dass wird schwer, sie umzustimmen. In erster Linie ist diese Partei aber eine Protestpartei. Sie wird gewählt von Bürgern, die sich zurückgesetzt fühlen. In dünn besiedelten Gebieten in den neuen Bundesländern, gibt es Frust darüber, dass es keinen Arzt, keine Apotheke, keinen Bus mehr im Dorf gibt. Hier werden wir handeln und haben zum Beispiel konkrete Pläne, die ärztliche Versorgung zu verbessern.

 Wenn Ärzte und Busse da sind, gibt es aber noch keine Arbeitsplätze.

Das stimmt. Geld allein hilft nicht. Wir müssen anderes für Ostdeutschland tun: Neue öffentliche Einrichtungen müssen vorwiegend in den neuen Ländern angesiedelt werden. Das gilt zum Beispiel für das geplante Zentrum für Künstliche Intelligenz. Es geht um Leuchtturmprojekte.

Muss nicht der Osten auch personell vertreten sein in einer Regierung?

Ja. Und da sind die neuen Länder mit einer Kanzlerin gar nicht schlecht bedient.

Und wie gehen Sie mit der AfD um? Die CSU sagt, die sei der NPD zum Teil näher als der Union.

In dieser Partei werden offen rechtsradikale Aussagen vertreten. Spitzenpolitiker und auch Abgeordnete des Bundestags äußern sich ohne Scheu in dieser Art. Die AfD stellt die Legitimität des Bundestags in Frage und untergräbt damit unsere Demokratie. All dies fügt unserem Land schweren Schaden zu. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es daher keine inhaltliche Zusammenarbeit mit der AfD. Auch mit der Linken wird es übrigens weiter keine inhaltliche Kooperation geben, weil diese unser Land aus der westlichen Wertegemeinschaft führen will. Dennoch rate ich zu Gelassenheit. Im Bundestag werden wir natürlich vor allem unsere politischen Ziele und Projekte darstellen und erläutern. Davon wollen wir die Menschen überzeugen. Wo die AfD mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten argumentiert, werden wir das natürlich klarstellen und widersprechen. Ich bin überzeugt, dass die Bürger zunehmend merken werden, was wir schon im Bundestag nach wenigen Wochen feststellen: Diese Partei hat außer ihren rechtsradikalen und populistischen Sprüchen keine Lösungen zu bieten. 

Was passiert, wenn die SPD-Mitglieder die Groko ablehnen? Gibt es dann einen neuen Anlauf für eine Jamaika-Koalition?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Jetzt haben wir einen Koalitionsvertrag mit SPD. Ich rechne damit, dass die SPD-Mitglieder zustimmen. Dann geht es endlich an die Arbeit.