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Peter Altmaier: Es ist unglaublich viel in dieser kurzen Zeit gelungen

Redebeitrag in der vereinbarten Debatte zu "30 Jahre Deutsche Einheit"

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich zurückdenke an meine eigenen Erlebnisse – zunächst im Saarland, wo ich gearbeitet habe, und nachher in Brüssel, wo ich junger EU-Beamter war und wo meine Kolleginnen und Kollegen aus so vielen unterschiedlichen Ländern jeden Tag voller Begeisterung über das, was sich in der damaligen DDR abgespielt hat, zu mir kamen –, dann zeigt sich, dass das nicht nur eine historische Leistung war, sondern dass es auch mit einer klaren Erwartung verbunden war, die Millionen von Menschen, die den Kommunismus und die Diktatur besiegt haben, an uns gerichtet haben: Es war die Hoffnung auf Einheit und Freiheit und Demokratie, aber auch der Wunsch nach lebenswerter Umwelt, nach sozialer Sicherheit, nach guter Infrastruktur und nach wirtschaftlichem Wohlstand. Deshalb ist die deutsche Einheit erst dann endgültig vollendet und endgültig gelungen, wenn wir in diesem magischen Sechseck alle Ziele erreicht haben.

Es ist unglaublich viel in dieser kurzen Zeit gelungen. Wir haben im wirtschaftlichen Bereich vieles erreicht; aber wir haben auch noch einigen Nachholbedarf. Eines der größten Probleme war seinerzeit das Fehlen eines starken Mittelstandes. Damals gab es – das ist eines der Wunder der deutschen Einheit – Menschen in den neuen Ländern, deren Eltern und Großeltern selbstständig waren und die deren verstaatlichte Unternehmen wieder zurückgekauft haben. Es gab Menschen, die aus anderen europäischen Ländern in die neuen Länder gekommen sind. Einer von ihnen sitzt heute hier bei uns im Deutschen Bundestag: Kees de Vries, ein niederländischer Staatsbürger, der nach Sachsen-Anhalt ging, der dort eine Landwirtschaft übernommen und erworben hat und der später als deutscher Staatsbürger in den Deutschen Bundestag gewählt worden ist.

Wenn wir uns ansehen, wie viele junge Menschen aus Ostdeutschland heute erfolgreiche Manager, erfolgreiche Unternehmensgründer – nicht nur im Osten, sondern auch im Westen – sind, dann haben wir allen Grund, auf den neuen, starken Mittelstand, der dort entstanden ist, stolz zu sein und dies in die Anerkennung dessen, was erreicht worden ist, miteinzubeziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde, wir haben heute in den neuen Ländern Regionen wie Dresden und Leipzig, an denen sich viele in den alten Bundesländern ein Vorbild nehmen können. Wir haben heute moderne, leistungsfähige Unternehmen in ganz Europa und weltweit. Aber es gibt, wie übrigens auch in den alten Bundesländern, immer noch Regionen, die abgehängt sind, die benachteiligt sind. Deshalb ist eine Zahl zu nennen, nämlich dass das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland von ursprünglich 43 Prozent des westdeutschen Niveaus auf inzwischen 79 Prozent gestiegen ist. Das ist eine gute und positive Entwicklung.

Aber viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern oder in bestimmten Regionen in Sachsen, wo die industrielle Basis nicht vorhanden war, beklagen sich über fehlende Perspektiven. Das bedeutet, dass wir auch eine Verantwortung haben, diesen Menschen Perspektiven zu geben und dazu beizutragen, dass dort neue, wettbewerbsfähige Strukturen entstehen.

Wir haben mit dem Strukturstärkungsgesetz im Hinblick auf den bevorstehenden Ausstieg aus der Kohleverstromung in den nächsten Jahren eine hervorragende Ausgangsbasis, damit in die Infrastruktur weiter investiert werden kann, damit neue Industrieansiedlungen entstehen können.

Wir haben im Rahmen der innovativen Industriepolitik des Bundes mitgeholfen, dass die BASF-Ansiedlung in Schwarzheide zur Produktion von Katoden gelingt. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei allen Politikern in Brandenburg, die mitgeholfen haben, dass die Tesla-Ansiedlung gelingt. Ich möchte auch die Batteriefertigung von CATL in Thüringen erwähnen. Wir haben Bundesbehörden in Leipzig angesiedelt, zum Beispiel die Agentur für Sprunginnovationen. Gerade in den letzten Monaten haben wir beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, dem BAFA, in meinem Geschäftsbereich über 150 neue Arbeitsplätze in Weißwasser geschaffen, wo für ganz Deutschland die Gebäudesanierungs- und Heizungserneuerungsprogramme administriert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden in den nächsten Monaten dafür sorgen, dass wir unsere Zusagen einhalten. Wir werden dafür sorgen, dass die Marktwirtschaft auch dort eine Chance erhält, wo es an den Akteuren fehlt. Wir werden uns nicht darauf konzentrieren, alte und überkommene Strukturen zu erhalten, sondern wir werden die wettbewerbsfähigen Strukturen der Zukunft in den Blick nehmen: im Bereich der erneuerbaren Energien, im Bereich der Produktion von klimaneutralem Wasserstoff, im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung.

Dresden ist heute eine europäische Hauptstadt der Halbleiterproduktion und der digitalen Technologien. Wir erleben, dass überall dort, wo solche neuen Kerne entstehen, auch Zukunftsperspektiven entstehen und dass sich die Menschen dann nicht mehr an den populistischen Parteien von rechts oder links orientieren, sondern dass sie dazu beitragen, dass ihre Region, dass ihre Gemeinde, dass ihre Stadt eine Zukunftsperspektive hat.

(Beifall der Abg. Yvonne Magwas [CDU/CSU])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja richtig, dass es in den neuen Ländern weniger Zentralen großer Konzerne gibt. Es ist richtig, dass es in den neuen Ländern teilweise weniger gut bezahlte Arbeitsplätze gibt. Aber es ist kein Naturgesetz, dass dies auf alle Zeiten so bleibt. Ich bin überzeugt, dass wir die Zukunft in den neuen Ländern nicht dadurch gewinnen, dass wir immer nur versuchen, die Defizite zu verkleistern und zu besänftigen. Vielmehr wird es uns gelingen, die Zukunft zu gewinnen, wenn wir selber daran glauben, dass wir als Bundesrepublik Deutschland in den großen Innovationszyklen der Zukunft einen Platz haben, und wenn wir dazu beitragen, dass in den neuen Ländern, wo man bereit ist, diese Technologien offensiv und mutig anzunehmen und anzugehen, diese Investitionen gelingen. Ich bin sicher, dass wir regionenübergreifend in Ost- und in Westdeutschland viel Neues schaffen können, und ich bin überzeugt, dass die meisten Innovationsimpulse von den ostdeutschen Ländern ausgehen werden.

Ich hatte vor 14 Tagen die Ehre, eingeladen zu sein bei dem sogenannten Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow, wo viele Mittelständler beisammen waren. Dort, wo vor zwei Jahren noch die bange Frage war: „Wie soll es denn nach dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung weitergehen? Wie soll es denn angesichts der Situation in einzelnen Bereichen weitergehen?“, war zum ersten Mal Aufbruch spürbar. Denn wir haben in einer großen Kraftanstrengung gezeigt, dass wir die Substanz unserer Wirtschaft und unseres Mittelstandes auch in der Coronapandemie beschützt und bewahrt haben. Aufbruch war aber auch deshalb spürbar, weil wir jetzt endlich über das diskutieren, was für die Zukunft notwendig ist. Das heißt: Nicht nur reden, sondern handeln.

Sorgen wir dafür, dass Deutschland das Land wird, wo die Digitalisierung eine Heimat hat. Sorgen wir dafür, dass Deutschland das Land wird, wo man den Mut hat, autonomes Fahren auszuprobieren. Sorgen wir dafür, dass wir in Ostdeutschland bei der Produktion von klimaneutralem Wasserstoff europaweit führend und anerkannt werden. Ich bin überzeugt, dass wir die deutsche Einheit damit ein ganzes Stück ihrer Vollendung entgegenbringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])