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Marian Wendt: Petitionen sind die richtige Wahl, um sich an uns zu wenden

Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2017

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! In der öffentlichen Diskussion ist in letzter Zeit vermehrt von sogenannter Politikverdrossenheit die Rede. In der Bevölkerung entstünde der Eindruck, „die da oben“ kümmerten sich nicht um die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Hier muss ich als Vorsitzender des Petitionsausschusses ganz klar widersprechen: Petitionen sind die richtige Wahl, sich an uns, die Volksvertreter, zu wenden, mit den ganz kleinen Problemen, mit den Alltagssorgen, aber natürlich auch mit Vorschlägen für bessere Gesetze zum Wohl unseres Volkes. Genau deswegen unterstützte ich jeden, der eine Petition hier einreichen und sich damit im Parlament Gehör verschaffen möchte. Eine Petition ist nämlich viel mehr als ein bloßes Schriftstück; eine solche an uns zu richten, ist ein Grundrecht, welches in unserer Verfassung verankert ist. Und seit 1975 ist in unserer Verfassung festgeschrieben, dass wir einen entsprechenden Ausschuss zu benennen haben.

Das Jahr 2017 war ein gutes Jahr für den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. 11 507 Petitionen wurden insgesamt eingereicht; das waren etwas mehr als im Jahre 2016. Und ja, wenn man den Bericht liest, muss man mit Erstaunen feststellen: Die großen öffentlichen medialen Debatten, die wir oft führen, die in den Zeitungen oder bei Facebook kursieren, spiegeln sich in den Anliegen, die die Bürger vorbringen, doch nicht genau wider. Es handelt sich vielmehr um kleine Alltagsprobleme mit Behörden oder im Bereich des Sozialen und der Gesundheit. 68 Prozent der eingereichten Eingaben enthielten nämlich persönliche Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern. Sie waren unzufrieden mit einer Behördenentscheidung oder hatten Alltagsprobleme vorzubringen.

Die Mehrzahl der Petitionen, insgesamt ein Drittel, kam aus den Bereichen Arbeit und Soziales sowie Gesundheit. Bei diesen individuellen Problemen ging es beispielsweise um die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente, die Gewährung einer Rehamaßnahme; es ging um Krankenkassenbeiträge sowie um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Das zeigt, dass dieser Bereich für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sehr wichtig ist und ihnen teilweise große Sorgen bereitet.

Erst an dritter Stelle lagen Petitionen aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums, wobei die Zahl der Asylpetitionen sogar stark gesunken ist, von über 600 auf über 500. Das sind die Zahlen aus 2017; sie spiegeln also, wie ich bereits betonte, nicht ganz die Situation wider, die wir oft in der Öffentlichkeit oder in den Medien erleben.

Neben den vielen Einzelfällen wurden auch zahlreiche Bitten zur Gesetzgebung oder zur politischen Gestaltung unseres Landes an den Ausschuss herangetragen. Ähnlich wie im Vorjahr wurden dabei ein Drittel der Petitionen online und zwei Drittel schriftlich, per Brief oder per Fax, eingereicht. Es ist für viele Bürgerinnen und Bürger doch etwas Besonderes, sich an den Petitionsausschuss zu wenden. Sie gehen nicht einfach ins Onlineformular, sondern machen sich die Mühe, handschriftlich einen Text zu verfassen, diesen aufs Postamt zu bringen und entsprechend nach Berlin zu senden.

Insgesamt wurden 703 Petitionen veröffentlicht; das waren 70 mehr als im Jahre davor. Es fanden mit 2,1 Millionen registrierten Nutzern lebhafte Debatten statt. 16 000 Diskussionsbeiträge wurden abgegeben, und fünf Petitionen wurden mehr als 5 000-mal elektronisch mitgezeichnet. Hinzu kommen jeweils noch die Unterstützer, die per Post oder per Fax mitzeichnen. Auch das sei erwähnt: Die Mehrzahl der Mitzeichnungen einer Petition erfolgen postalisch oder per Fax. Das mag man kritisieren; aber es ist einfach so. Es zeigt vielleicht, wie ich bereits erwähnte, die besondere Mühe, die sich Bürger geben, wenn sie sich an unseren Ausschuss, an das Parlament, wenden.

Insgesamt gab es vielfältige Vorgehensweisen bei den Beratungen des Petitionsausschusses. Bei den Beratungen werden wir, die zurzeit 28 Mitglieder, stark von den über 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats unterstützt, indem sie uns zuarbeiten. Unter der Leitung von Dr. Paschmanns stehen sie uns in der Sacharbeit und bei inhaltlichen Fragen ganz besonders auch direkt zur Verfügung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihnen gilt ein besonderer Dank. So ist es oft möglich, dass einzelne Petitionen bereits im Dienstgang erledigt werden können. Der Bürger bekommt eine Information. Manchmal erübrigt sich dann schon das weitere Vorgehen.

Jetzt kommen wir zu dem wichtigen Punkt, dass viel Arbeit des Petitionsausschusses nicht auf der großen Bühne stattfindet. Wir debattieren hier einmal im Jahr diesen Bericht; aber die eigentliche Kernarbeit findet in zahlreichen Berichterstattergesprächen statt, sie findet in Anhörungen statt, in Einzelberatungen mit Petenten und vor allen Dingen in der Vorarbeit, im Gespräch mit Behörden und Ministerien durch das Ausschusssekretariat, um die Sachlage zu klären.

Öffentliche Sitzungen werden durchgeführt, wenn eine Petition mindestens 50 000 Unterstützer erfährt oder wenn sich die Fraktionen übergreifend darauf verständigen, eine wichtige Petition zu debattieren. Im letzten Jahr war es beispielsweise die Petition „Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung von Mukoviszidose-Patienten“; diese Petition hatte über 96 000 Mitzeichner. Ebenso wurde über den Stopp der Umsetzung der EU-Richtlinie über Pauschalreisen diskutiert, auch hier im Plenum. Das ist arbeitsgruppen- und ausschussübergreifend ein wichtiges Thema; ging es doch um den Schutz von kleinen und mittelständischen Reisebüros, die mit dieser EU-Verordnung in ihrer Existenz gefährdet worden wären. Gemeinsam konnten der Petitionsausschuss und die anderen Ausschüsse eine sinnvolle Lösung erarbeiten.

Manchmal begeben sich die Kolleginnen und Kollegen sogar auf Reisen ins Land. So fanden vier Ortstermine statt: Einmal ging es um eine Lärmschutzwand an der Autobahn 52. Ein anderes Mal ging es nach Rostock, um über den Erhalt der Mühlendammschleuse zu diskutieren. Beim dritten Termin ging es nach Dorfen. Hier ging es um die Tieferlegung von Bahngleisen im Gemeindebereich. Beim vierten Termin ging es nach Detmold, wo eine ältere Dame sich von einem grauen Netzverteilkasten der Telekom gestört fühlte, weil er die Sicht auf die Straße sowie die historische Ansicht auf ihr Gebäude beeinträchtigte. Das kann man jetzt für Klein-Klein halten, aber das zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger im Alltag vor allem kleine Probleme haben, die sie stören. Sie stört oft nicht die große Weltpolitik, also das, was vielleicht Herr Trump sagt oder was im Nahen Osten passiert, sondern sie fordern, dass endlich die Bahngleise vor dem Haus tiefergelegt werden und dass ein Netzverteilkasten, wofür wir erfolgreich eintreten konnten, in die Nebenstraße verlegt wird. Das sind wichtige Arbeiten, die, wie gesagt, im Klein-Klein stattfinden. Darum sollten wir uns immer wieder kümmern, und wir sollten uns dieser Arbeit auch verpflichtet fühlen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Bereich der größeren Gesetzgebungsvorhaben und der Anliegen unseres Landes konnten wir beispielsweise auch eine Petition erfolgreich umsetzen, bei der es um die Regelung von Rettungsgassen ging. Ich glaube, dieses sehr emotionale Thema – auch letzte Woche mussten hier in Brandenburg wieder Retter 4 Kilometer laufen, um an die Unfallstelle zu kommen – ist sehr wichtig. Im letzten Jahr konnte aufgrund einer Eingabe hier eine gemeinsame Regelung gefunden werden, dass diese Rettungsgassenbildung einheitlich – in der StVO und auch EU-weit nach gleichem Standard – erfolgt. Das ist auf eine erfolgreiche Petition zurückzuführen.

In einem anderen Fall konnte das Haus von Thomas Mann, in dem er im Exil in Los Angeles wohnte, zu­rück­erworben werden. Eine Petentin hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Haus zum Verkauf steht, und das Auswärtige Amt und der Deutsche Bundestag haben gemeinsam die Initiative ergriffen und dieses Haus zurückgekauft. Die Villa soll künftig von Stipendiaten aus allen Bereichen der deutschen Gesellschaft, insbesondere Kulturwissenschaft, Politik und Medien, genutzt werden. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Arbeit unseres Ausschusses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich aber zum Schluss auch noch einmal vorausblicken. Wichtig ist, wie ich bereits erwähnte, dass wir immer dauerhaftes Bindeglied zwischen Parlament und Bevölkerung sind. Der Bürger unseres Landes wendet sich in der Regel an den Deutschen Bundestag. Bei Wahlen hat er Kontakt, indem er uns wählt. Wenn er ein Anliegen hat, sagt er: Ich schreibe dazu eine Petition. – Er schreibt meist an uns als Erstes, und wir fühlen uns auch verpflichtet und verantwortlich, die Gedanken, die er vorträgt, das Anliegen zu prüfen und dann auch widerzuspiegeln. Dieses Spiegeln in die Fraktionen unseres Hauses, in die Ausschussarbeit, glaube ich, müssen wir noch stärker vornehmen. Wir müssen die Gedanken, die Anliegen, die Bürger an uns herantragen und die aus meiner Sicht sehr klug und umfassend sind, weil auch wir nicht alles sehen können – wir sind nicht allwissend; so viel Demut gehört, glaube ich, dazu –, ab und an aufnehmen und in unsere Arbeit einbringen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wenn wir dies tun, dann können wir auch die Akzeptanz unseres Parlamentes verbessern. Dann merken die Leute: Die im Bundestag hören mir zu; mein Anliegen, welches ich vorbringe, ist wichtig. – In diesem Sinne möchte ich gemeinsam mit ihnen und den Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2018 und gerne auch darüber hinaus zusammenarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)