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Marc Henrichmann: Wir sollten Schnellschüsse und einfache Lösungen vermeiden

Rede zur Gesetzesänderung über einzutragende Angaben ins Geburtenregister

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Im Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht einen teilweisen Verstoß des Personenstandsgesetzes gegen grundgesetzliche Schutzvorschriften festgestellt und uns ins Stammbuch geschrieben, der Gesetzgeber müsse bei der Geburt eines Kindes neben der Eintragung „männlich“, „weiblich“ sowie „Eintragung des Personenstandsfalls ohne eine solche Angabe“ auch die Option eines positiven Geschlechtseintrag außerhalb dieser drei Varianten anbieten, wenn der Gesetzgeber auf die Pflicht zur Angabe des Geschlechts im Geburtenregister generell bestehen will. Zur Umsetzung der Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31. Dezember dieses Jahres gesetzt. Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung setzen wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um.

Für uns als Union ist unstreitig, dass wir die Angabe des Geschlechts nicht abschaffen wollen, da wir zum Beispiel insbesondere in Bereichen wie der Frauenförderung eine notwendige Differenzierung brauchen.

Das vorgelegte Gesetz regelt zwei Fälle.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Henrichmann – ich habe die Uhr angehalten –, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Schauws?

Marc Henrichmann (CDU/CSU):

Vielen Dank, nein. Das machen wir im Nachgang in den Ausschussberatungen.

Das Gesetz regelt, wie gesagt, zwei Fälle: als Erstes die Geburt eines Neugeborenen, wo neben der Angabe „weiblich“ oder „männlich“ und dem Eintrag „ohne Angabe“ zukünftig die Bezeichnung „divers“ gewählt werden kann, und als Zweites, wenn die weitere Geschlechtsentwicklung eines Menschen nicht zu einer Zuordnung zu den beiden Geschlechtern führen kann oder unrichtig erfolgte, die Möglichkeit, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt die Zuordnung ändern zu lassen. In § 45b Absatz 3 ist dann die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung angesprochen, die zum Nachweis erforderlich ist.

Ich selber habe im Vorfeld der Beratungen mit vielen Betroffenen und Betroffenengruppen gesprochen. Ich gebe zu, auch einiges gelernt zu haben. Oft wurde gerade die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung kritisiert.

(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Es gibt meines Erachtens gute Gründe, an der Beweispflicht festzuhalten. Denn das Personenstandsregister hat Beweiskraft. Aus diesem Eintrag erwachsen eben auch Rechte und Pflichten für die Betroffenen. Wir brauchen im Bereich der Frauenförderung, beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und in vielen anderen Lebensbereichen einen ernsthaften, validen und auf objektiven Kriterien beruhenden Geschlechtereintrag mit Beweiskraft.

Viele Betroffenenverbände führen aus, dass es keines Attestes bedarf, um die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit zu belegen; ein Beratungsgespräch würde hier genügen. Ich selber sehe die reine Beratungslösung hier allerdings kritisch, auch weil ganz viele wichtige Fragen noch gar nicht geklärt sind. Und: Wenn wir eingreifen und deutschlandweit eine flächendeckende Beratung einführen, kann das in die Zuständigkeit der Länder eingreifen und eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich machen. Das hieße dann unter dem Strich, dass wir die Frist, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, nicht würden einhalten können.

Der Anwendungsbereich des Gesetzes beschränkt sich also auf die sogenannte kleine Lösung, auf Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Das ist der Terminus, der der Konsensuskonferenz 2005 in Chicago entstammt, wo objektivierbare Entscheidungen zusammengetragen wurden, aufgrund derer eine entsprechende Beurteilung erfolgen kann. Ein Beratungsgespräch kann diese Objektivierbarkeit eben nicht erreichen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich auf zweierlei Art und Weise lesen. Wir haben im zweiten Leitsatz den Beschluss, dass der Artikel 3 Grundgesetz auch Menschen schützt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. „Zuordnen lassen“ lese ich so, dass eine Zuordnung anhand objektivierbarer medizinischer Kriterien erfolgen kann und in dem ersten gesetzlichen Schritt, über den wir hier befinden – mit den engen zeitlichen Vorgaben –, auch erfolgen muss. Denn wenn wir jetzt die Beratungslösung verfolgen, dann machen wir damit im gleichen Zuge das Transsexuellengesetz obsolet.

(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Dann haben Sie es nicht richtig gelesen!)

An dessen Reformbedürftigkeit besteht sicherlich kein Zweifel. Aber was ist mit Schutzregeln wie beispielsweise dem Offenbarungsverbot, die sich im Personenstandsrecht gar nicht finden, die aber im Transsexuellenrecht vorhanden sind? Diese Frage werden wir klären. Wir haben neben der Frage der rein rechtlichen Zulässigkeit auch die Frage zu klären: Was macht denn der Standesbeamte, der dann zwei gleichartige Rechtsrahmen hat und entscheiden muss, welches Gesetz er anwendet? Das führt zu Problemen. All das werden wir bis zum 31. Dezember dieses Jahres nicht klären können.

Wenn teilweise angemerkt wird, dass das Attest schwer zu beschaffen sei, dann sei der deutliche Hinweis erlaubt, dass es in ganz vielen Fällen des Anwendungsbereiches, den ich gerade skizziert habe, so ist, dass die Atteste ja schon vorliegen, dass es also kein neues sein muss, dass der reine Nachweis reicht und dass auch keine Diagnose enthalten sein muss. Insofern wäre die Beratungslösung, die derzeit von vielen Verbänden gefordert wird, teilweise sogar aufwendiger als diese Vorgehensweise.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf setzen wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Ich begrüße ausdrücklich, dass BMI und BMJV im Gespräch sind, was die Reform des Transsexuellengesetzes angeht. Wir werden das in dieser Legislaturperiode wie verabredet angehen. Allerdings sollten wir Schnellschüsse und einfache Lösungen vermeiden. Denn dieses Thema ist komplexer, als man denkt, und mit Blick auf die gesetzte Frist sind die alternativen Vorschläge nicht umsetzbar. Deswegen werbe ich für diesen Gesetzentwurf und freue mich auf die Ausschussberatungen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)