Skip to main content

Ingmar Jung: Anstatt der Ersatzfreiheitsstrafe kann gemeinnützige Arbeit geleistet werden

Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs und weiterer Gesetze – Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Movassat, ich habe fast geahnt, dass wir heute zum zweiten Mal die Schwarzfahrdebatte führen dürfen und Sie die Ersatzfreiheitsstrafe zum Anlass nehmen, wieder darüber zu reden.

Ich möchte als Erstes die Punkte aufgreifen, die Sie eben genannt haben; denn man kann das einfach nicht alles so stehen lassen. Sie suggerieren hier etwas, was sich in unserem Rechtssystem in keiner Weise widerspiegelt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

Zum Ersten. Ich kenne jetzt den Fall mit dem Neugeborenen und der Mutter mit dem Busticket für 2,50 Euro nicht;

(Zuruf von der LINKEN: Können Sie sich ja noch mal anschauen!)

aber Sie wissen auch, dass die StPO vorsieht, dass bei unbilligen Härten die Ersatzfreiheitsstrafe eben gerade nicht vollstreckt wird.

(Marianne Schieder [SPD]: Genau!)

Ich kann den Einzelfall nicht bewerten – ich kenne die Vorgeschichte nicht –; aber jetzt tun Sie doch bitte nicht so, als ob eine junge Mutter, die mit dem Bus fährt und einmal das Ticket für 2,50 Euro nicht bezahlt, in den Knast geht und das Kind zu Hause bleibt. Das hat doch nichts mit der Realität zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sie suggerieren hier etwas, was einfach nicht wahr ist.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Tun Sie doch nicht so, als ob es das nicht gibt!)

Zum Zweiten haben Sie als Argument vorgebracht, § 47 StGB sähe vor, dass eine kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen vorgesehen ist. Ja, das ist ja genau hier der Fall. Wir sprechen doch nur von Fällen, in denen eine Geldstrafe im Urteil steht, die uneinbringlich ist, bei der nicht eine Vereinbarung über eine andere Erbringung getroffen wurde, sodass die Strafe weiterhin nicht vollstreckt werden kann. Dann kommt es zu einer Ersatzfreiheitsstrafe. Das ist ein absoluter Ausnahmefall. Genau deswegen ist das auch im Einklang mit den sonstigen Regelungen.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: 10 Prozent aller Gefangenen sitzen wegen Ersatzfreiheitsstrafe! 10 Prozent!)

Jetzt will ich noch mal kurz auf Ihr Argument zurückkommen, es sei doch bei einem Busticket nicht einzusehen, dass das den Staat so viel kostet. Wenn wir anfangen, den Rechtsstaat aufzurechnen und auszurechnen, ob der Staat das Geld für das Busticket zurückholt,

(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist aber nicht gerecht! Das ist ungerecht!)

dann haben wir nicht verstanden, wofür das Strafrecht überhaupt da ist. Und das wissen Sie auch: Wer einmal das Busticket für 2,50 Euro nicht kauft und schwarzfährt, der bekommt in Deutschland überhaupt keine Strafe. Sie tun immer so, als wäre es anders. Das entspricht einfach nicht der Realität. Wenn Sie Gegenbeispiele haben, zeigen Sie sie uns. Die gibt es nämlich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Warum ist das bei dreimal Schwarzfahren besser?)

– Sie versuchen doch, es aufzurechnen. Wenn Sie der Auffassung sind, dass das Strafrecht dafür da ist, Schäden auszugleichen oder Geldverluste auszugleichen,

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat doch kein Mensch gesagt!)

dann haben wir eine völlig unterschiedliche Auffassung von unserem Rechtssystem, und es ist auch schlicht und ergreifend falsch.

(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es soll Gerechtigkeit herrschen!)

Sie haben „Schwitzen statt Sitzen“ angesprochen. Die Rechtsordnung sieht das vor: Die Länder können Verordnungen erlassen, die regeln, dass gemeinnützige Arbeit geleistet werden kann; mit Zustimmung des Verurteilten kann dann anstatt der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit geleistet werden. Ja, das geht heute schon. Das geht sogar in allen Bundesländern; das haben alle umgesetzt. Sie haben gesagt, da gebe es zu wenig Personal, deswegen würde das nicht wahrgenommen. Ich wüsste gerne mal, was sich durch Ihren Gesetzentwurf daran ändern soll. Wo soll das Personal plötzlich herkommen? Wenn Sie der Meinung sind, dass die Möglichkeiten der Umwandlung der Ersatzfreiheitsstrafe in den Ländern nicht ausreichend genutzt werden, weil es da nicht genug Personal gibt, dann müssten wir halt mal in Verhandlungen mit den Ländern treten oder Ähnliches machen. Aber daran etwas zu ändern, schaffen Sie nicht durch Ihren Gesetzentwurf.

Ihr Vorschlag unterscheidet sich an einer Stelle doch ganz fundamental von dem, was wir jetzt haben. Schon jetzt ist es möglich, bei Ersatzfreiheitsstrafen mit Zustimmung des Verurteilten gemeinnützige Arbeit zu leisten, damit die Ersatzfreiheitsstrafe eben nicht vollstreckt wird. Bei dem, was Sie wollen, geht es aber um die Frage: Was passiert denn, wenn der Verurteilte das gerade nicht will, wenn er nicht mitmacht, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt wird? Sie wollen dann, dass er auf eine uneinbringliche Geldstrafe zurückfällt und am Ende sanktionslos bleibt. Das ist es doch, worum es Ihnen im Kern geht: Sie wollen, dass verurteilte Straftäter bei Kleinkriminalität am Ende sanktionslos bleiben. Das ist nicht unser Verständnis von Rechtsstaat, und das wollen wir an der Stelle genau nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ich will etwas Weiteres aufgreifen, was Sie kurz vor Ende gesagt haben: Beim jetzigen System sei es ja ungerecht oder zumindest inakzeptabel, dass sich der Verurteilte selbst darum kümmern muss, wenn er statt der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit leisten möchte.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist schon ein Problem! Es sind meistens arme Menschen, die sich da nicht auskennen!)

Meine Damen und Herren, ich finde, das können wir nun wirklich auch erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Sie wissen doch, dass er auch im Urteil darauf hingewiesen wird; er erhält auch Rechtsberatung. Wenn es einer nicht weiß, dann können Sie es ihm sagen, dann kann ich es ihm sagen, wenn ich ihn treffe.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist doch praxisfern, was Sie da sagen!)

Aber es kann doch nicht sein, dass wir jetzt schon eine Mitwirkungspflicht nicht mehr für angemessen halten. Wir reden doch immerhin von verurteilten Straftätern.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Von vielen armen Menschen, die in einer prekären Situation sind!)

Das müssen wir an der Stelle auch mal sehen. Ich weiß, Sie mögen da weniger als andere einen Unwertgehalt sehen; aber dann müssen wir an die Strafgesetze herangehen. Das versuchen Sie auch an der Stelle – ich weiß –; aber wenn – –

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Was spricht dagegen, dass der Staat ein Angebot macht?)

– Jetzt lassen Sie mich doch mal einen Satz ausreden. Wenn Sie immer dasselbe dazwischenrufen, wird es doch einfach nicht richtiger, Herr Kollege. Lassen Sie mich doch einfach mal nur einen Satz ausreden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Niema ­Movassat [DIE LINKE]: Sie haben auch viel reingequatscht!)

Wenn Sie eigentlich die Straffreiheit wollen, dann müssen Sie an das Strafgesetz herangehen. Das haben Sie an der Stelle schon versucht; jetzt versuchen Sie es hier noch einmal über den Umweg.

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir haben ein klares System, das weitestgehend rechtseinheitlich ist, auch über die Länder hinweg. Der einzige Unterschied zu Ihren Forderungen ist: Im Moment werden in den Ländern zwischen vier und sechs Stunden pro Tagessatz angerechnet. Sie sagen: Ein Tagessatz darf nur drei Stunden Arbeit beinhalten. Ja, man kann darüber reden, wie lang der Arbeitstag sein sollte bzw. wie viel anzurechnen ist.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Renate ­Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so lange wie hier bei uns!)

Der fundamentale Unterschied ist der, dass Sie nicht bereit sind, zu akzeptieren, dass in den Fällen, in denen ein verurteilter Straftäter einen Ersatz – und sei es eine gemeinnützige Arbeit – nicht erbringen will, er als letzte Sanktionsmöglichkeit wieder auf die Ersatzfreiheitsstrafe zurückfällt. Genau das wollen Sie abschaffen.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber Sie lassen jetzt erst mal die Ersatzfreiheitsstrafe stehen!)

Sie wollen de facto am Ende eine Straffreiheit schaffen. Das machen wir nicht mit, meine Damen und Herren.

Es ist jetzt 0.51 Uhr. Ich schenke Ihnen 90 Sekunden. Vielleicht mögen die Nachredner es mir gleichtun.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber großzügig!)