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Horst Seehofer: Wir wollen rasche Lösungen, und rasche Lösungen sind auch europäisch möglich

Redebeitrag zu Konsequenzen aus dem Brand in Moria

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Durch mehrere Brände ist das Flüchtlingscamp Moria auf der Insel Lesbos zerstört. Gott sei Dank gab es keine Verletzten und Toten, gleichwohl haben wir eine bittere humanitäre Notlage.

Ich möchte zu Beginn die humanitäre Leistung der Bundesrepublik Deutschland und auch unserer Bevölkerung kurz in Zahlen darstellen. Wir haben seit 2015 1,73 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Wir nehmen zurzeit werktäglich 300 bis 400 Flüchtlinge auf – jeden Werktag. Wir nähern uns wieder den Höchstzahlen der Vergangenheit.

Ich habe vor dem Brand auf Lesbos entschieden, dass wir 243 behandlungsbedürftige Kinder sowie 53 Jugendliche mit ihren Familienangehörigen aufnehmen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie doch die Länder einfach einmal machen!)

Das sind insgesamt etwa 1 000 Personen, bei denen schon vor dem Brand entschieden wurde, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland Hilfe erfahren.

(Siemtje Möller [SPD]: Wir würden auch mehr nehmen!)

Angesichts von 1,37 Millionen Flüchtlingen insgesamt in fünf Jahren und jetzt werktäglich 300 bis 400 Personen sowie der 1 000 Personen, die wir aus dem Bereich der behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen aufgenommen haben, ist mir sehr daran gelegen, unserer Bevölkerung zu danken für die Humanität, die bei uns vorherrscht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den alten und behinderten Menschen? – Michel Brandt [DIE LINKE]: Was genau hat das mit Moria zu tun?)

Ich sage: Das machen wir nicht notgedrungen; das machen wir gern.

Wir haben jetzt eine humanitäre Notlage. Sie erfordert in enger Abstimmung mit der griechischen Regierung, aber auch mit der Kommission der Europäischen Union – wir haben ja gerade die Ratspräsidentschaft inne – vor allem drei Punkte:

Erstens. Die Hilfe vor Ort – das ist das Wichtigste –, damit die Menschen dort wieder eine vernünftige Bleibe und eine gute Versorgung bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michel Brandt [DIE LINKE]: „Wieder eine vernünftige Bleibe“! Das ist zynisch! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Jetzt muss man handeln! Das dauert Monate! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben gestern am Spätnachmittag eine Liste der griechischen Regierung bekommen. Wir sind ständig mit ihr in Kontakt darüber, welche Bedarfsgegenstände notwendig sind. Unsere Hilfsorganisationen sind unterwegs. Ich finde, das ist für die Menschen die wichtigste Maßnahme: nicht zu reden, sondern zu helfen. Das tun wir.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sehr erfreut darüber, was der Vizekommissionspräsident Schinas mir heute gesagt hat: dass die Kommission der griechischen Regierung vorschlagen wird, das neue Projekt auf der Insel so zu bauen, dass es höheren Ansprüchen genügt, als das bisher der Fall war, und dass sich die Europäische Kommission vorstellen kann, dass es zu einer gemeinsamen Trägerschaft der griechischen Regierung und der Kommission bei dem Betreiben dieses Flüchtlingscamps in der Zukunft kommen wird. Das ist ein großer Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Seehofer, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat:

Nein. – Das könnte die Blaupause auch für andere Länder sein. Wir haben ja ähnliche Probleme auf Zypern, auf Malta, in Italien, in Spanien und zum Teil in Portugal. Das ist also der erste und wichtigste Punkt: Hilfe vor Ort.

Der zweite Punkt ist die Hilfe für die Jugendlichen, die nicht begleitet sind, die ganz alleine auf dieser Insel waren, aber mittlerweile auf das Festland überführt wurden. Wir haben in den letzten Tagen im Innenministerium fieberhaft daran gearbeitet, dass es zu einer europäischen Lösung diesbezüglich kommt. Herr Macron und Angela Merkel haben das gestern Abend im Grundsatz verkündet. Wir haben durch intensive Kontakte mit anderen europäischen Ländern erreicht, dass sich zehn Länder an der Aufnahme von diesen 400 Jugendlichen beteiligen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz, Herr Seehofer! – Zurufe von der LINKEN)

Die Hauptaufgabe wird bei Frankreich und Deutschland liegen. Aber ich bin für jede Solidarität in Europa, auch wenn sie nur wenige Flüchtlinge umfasst, dankbar. Deshalb wird es für uns wahrscheinlich eine Größenordnung – das hängt davon ab, wie viele Länder wir noch gewinnen –

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Gehen wir doch mit gutem Beispiel voran, Herr Minister!

zwischen 100 und 150 Jugendlichen sein.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Was ist denn aus den letzten europäischen Lösungen geworden? – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!)

Wir werden alles daransetzen, dass die Umsiedlung nach Deutschland noch im September erfolgt. Auch dies ist ein ganz konkretes Beispiel praktizierter Nächstenliebe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Dritte ist die europäische Lösung des Flüchtlingsthemas. Wir haben ja deshalb regelmäßig Probleme mit Seenotrettung, mit Blockaden, mit solchen schlimmen Ereignissen wie jetzt auf Lesbos, weil es eine europäische Regel bisher nicht gibt. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich unzählige Male hier vor dem Deutschen Bundestag diese europäische Regel eingefordert habe.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Handeln, nicht nur reden!)

Die Kommission hat heute erklärt, dass sie am 30. September diesen Vorschlag für die gemeinsame Asylpolitik vorlegen wird. Das ist ein ganzheitlicher Vorschlag von der Hilfe für die Herkunftsländer über die Rückführung von der Außengrenze der Europäischen Union in die Herkunftsländer mit Frontex bis hin zur Solidarität innerhalb Europas bei der Aufnahme von Schutzberechtigten. Nichtschutzberechtigte gelangen wieder zurück in ihre Herkunftsländer.

Wir im Innenministerium beginnen mit der Kommission in der nächsten Woche mit der Arbeit zur Umsetzung einer europäischen Lösung auch für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge. Die Hilfe für die Jugendlichen war der erste Schritt. Der zweite Schritt ist eine europäische Lösung mit weiteren Ländern. Hier lege ich persönlich sehr großen Wert darauf, dass wir innerhalb der gesamten Europäischen Union eine rasche Lösung für Familien mit Kindern finden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder gar nicht!)

Ich glaube, die brauchen die Hilfe besonders. Darum werde ich mich auch persönlich sehr kümmern.

Ich betone also: Das, was wir jetzt gemeinsam mit Frankreich und anderen Ländern entschieden haben, ist ein erster Schritt. Es werden weitere Schritte folgen. Innerhalb dieser weiteren Schritte gilt immer der Grundsatz „Gemeinsam in Europa“ und gilt für mich der Grundsatz – ich denke, der gilt für die ganze Regierung –, dass wir für Familien mit Kindern besonders rasch eine Lösung herbeiführen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Über die Kinder von Moria reden wir seit Jahren!)

Ich glaube, diese drei Punkte sind ein guter Kompass für die nächsten Tage und Wochen. Ich kann nur sagen: Es kommt niemandem bei uns in der Regierung darauf an, die Aufgaben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Wir wollen rasche Lösungen, und rasche Lösungen sind auch europäisch möglich. Ich vertrete seit jeher die Auffassung, dass man nicht warten muss, bis das letzte der 27 Mitgliedsländer auch noch zustimmt,

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Ja eben, Herr Seehofer! – Michel Brandt [DIE LINKE]: Sie setzen die Hürde immer genau so, dass es gerade nicht klappt! Das kennen wir schon von Ihnen!)

sondern dass man mit denen, die jetzt bereit sind, bei der Hilfe für die 400 Kinder europäische Solidarität zu zeigen, vorneweg marschieren soll.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Wie viele Menschen leben in der Europäischen Union, und um wie viele Flüchtlinge geht es?)

Dazu sind wir auch weiterhin entschlossen. Also: Kein Warten auf den letzten Staat, sondern wir handeln so schnell wie möglich mit den Staaten, die zu einer guten Lösung bereit sind.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Länder machen sich doch bereit!)

Ich möchte hier aber auch eine tiefe Überzeugung ausdrücken, die daher rührt, dass ich die letzten Jahre auch in anderer Position sehr intensiv erlebt habe: Ich nehme den Satz: „2015 darf und soll sich nicht wiederholen“, sehr, sehr ernst; wir alle in der Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michel Brandt [DIE LINKE]: Zynisch!)

Deshalb sage ich Ihnen: Man kann mal punktuell mit Lösungen voranmarschieren, wie jetzt bei den 243 Kindern. Aber wenn wir als Bundesrepublik Deutschland glauben, die europäische Asylproblematik alleine lösen zu können, dann wird sich das Jahr 2015 wiederholen; denn dann wird es eine europäische Lösung nicht mehr geben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist doch eine Schimäre! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Alles Ausreden! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kaltherzig!)

Davon bin ich zutiefst überzeugt, dafür arbeiten wir, und das ist uns auch gelungen – wir haben ja dieses Thema in den letzten Jahren sehr gut in den Griff bekommen –: die Balance herzustellen zwischen unserer humanitären Verantwortung auf der einen Seite und Ordnung und Steuerung dieses Migrantengeschehens, das ein globales ist, auf der anderen Seite.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür können die kleinen Kinder in Moria nichts!)

Es ist kein lokales Geschehen. Ein globales Problem werden wir auch nur international und europäisch lösen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden über Menschenleben, Herr Seehofer! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Artikel 1 des Grundgesetzes!)

Ich danke zum Schluss den Kommunen. Beteiligt sind flächendeckend fast alle Kommunen in Deutschland und nicht nur jene, die sich gelegentlich bis jeden Tag werbewirksam in der Öffentlichkeit melden.

(Zurufe von der LINKEN)

Alle Kommunen nehmen unsere Flüchtlinge auf und versorgen sie. Dafür möchte ich heute mal danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michel Brandt [DIE LINKE]: Die Kommunen wollen wenigstens helfen!)

Dieses schreckliche Feuer sollte für uns alle eine Mahnung sein,

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Für Sie! Interessiert Sie das Feuer überhaupt?)

und zwar europaweit, dass sich die Verhältnisse wirklich substanziell verändern müssen.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Das Feuer ist die Konsequenz aus der Politik, die Sie dort betreiben!)

Wir werden als Bundesregierung alles dafür tun.

Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)