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Elisabeth Winkelmeier-Becker: Wir wollen kein Verfahren nach US-Vorbild

Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Verbraucher und Verbraucherinnen im Land! Recht haben ist nicht immer gleich recht bekommen. Das gehört zu den ersten Erfahrungen, die man, meistens schon in der Kindheit, macht. Unsere Aufgabe, unser Anliegen ist es heute, das noch deckungsgleicher hinzubekommen. Das ist eine ganz wesentliche, zentrale Aufgabe des Rechtsstaats. Dazu gehören effektive Verfahren. Das ist im Moment unser Dauerthema. Darüber haben wir bis nach Mitternacht noch diskutiert. Da ging es auch um den Zugang zum BGH. Und das nächste Kapitel steht auch auf der Tagesordnung: Wir wollen uns ja auch um die Effizienz der Prozesse im Strafverfahren kümmern. All das gehört zum „Pakt für den Rechtsstaat“, an dem wir insgesamt arbeiten.

Im Zivilprozess wird das vor allem dadurch gewährleistet, dass den Bürgern individueller Zugang zu den Gerichten offensteht, zur Not auch mit Prozesskostenhilfe; das ist aber in aller Regel eben doch auch mit hohem Aufwand, mit eigenem persönlichem Kostenrisiko verbunden. Das führt dazu, dass man sich das gut überlegt. Wenn der Anspruch klein erscheint, das Risiko groß, dann bleibt doch eben auch der eine oder andere Anspruch liegen, der es eigentlich wert gewesen wäre, durchgesetzt zu werden. Da gibt es Fälle, in denen viele Menschen in gleichartiger Art und Weise betroffen sind. Da führt dann jeder seinen eigenen Prozess. Das könnte man deutlich effizienter machen, indem man diese Prozesse zusammenfasst. So wie es jetzt ist, werden viele Kosten verpulvert. Es macht es auch nicht besser, dass dann auch häufig die Ergebnisse noch nicht einmal übereinstimmen und das eine Gericht so entscheidet und ein anderes anders.

Fälle, die dafür gute Beispiele sind, wurden schon genannt: Digitalisierung, Onlinehandel, Massenproduktion, große Schadensereignisse. Das sind typische Fälle, die in Zukunft eher an Bedeutung gewinnen. Das Paradebeispiel, die VW-Fahrer und ‑Käufer, wurde auch schon genannt. Sie exerzieren das im Moment durch. Viele von ihnen führen ihre individuellen Prozesse mit hohem Risiko und vor dem Hintergrund einer sich verfestigenden Rechtsprechung, die ihnen recht gibt. Da muss man sagen: Das hätte VW auch einfacher haben können. Wenn man den berechtigten Ansprüchen früher abgeholfen hätte, dann hätte man dazu noch einen Imagegewinn gehabt und sich einigen Aufwand erspart.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Nun gehen wir es an. Wir wollen für solche Fälle ein einheitliches gebündeltes Verfahren implementieren, in dem solche Fragen verbindlich geklärt werden können: die kollektive Musterfeststellungsklage in der Form, wie sie die Ministerin vorgestellt hat. Wir versprechen uns davon, dass Ressourcen geschont werden können, dass Kosten gespart werden können. Wenn zunächst einmal zehn Verbraucher zusammenkommen, die ihren Anspruch plausibel machen müssen, und sich dann insgesamt 50 finden, die sich in das Klageregister eintragen lassen, dann soll ein Verbraucherverband berechtigt sein, das Verfahren zu führen. Davon profitieren – darauf ist das Ganze explizit gerichtet; das steht im Mittelpunkt – die Verbraucher, die verbindlich geklärt bekommen, ob sie Rechte haben, ob sie ihren Anspruch nachweisen können und für die vor allem auch, ganz unkompliziert, die Verjährung ihres Anspruchs gehemmt wird. Es nützt aber auch den Unternehmen, wenn sie nicht mehr 10, 50 oder 100 Prozesse führen müssen, sondern sich auf einen konzentrieren können. Dann wird das auch billiger, selbst dann, wenn man unterliegt.

Ob das den Gerichten hilft, muss man noch abwarten. Der Richterbund ist da eher skeptisch. Man muss schauen, ob es mehr Leute dazu bringt, zu klagen, oder ob es den Effekt hat, Verfahren zusammenzuführen und dadurch Aufwand zu sparen.

Wir haben uns vorgenommen, dieses Musterverfahren einzuführen, und zwar so schnell, dass auf jeden Fall auch diejenigen davon profitieren, deren Ansprüche sonst Ende dieses Jahres verjähren würden. Auch davon wären Dieselfahrer und ‑käufer betroffen. Aber es bezieht sich nicht ausschließlich auf sie.

Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass ein solches neues Verfahren schon ein scharfes Schwert ist, das gegenüber betroffenen Unternehmen eingesetzt werden kann. Wir dürfen die Diskussion nicht so führen, als sei immer gesetzt, dass das Unternehmen unterliegt, sondern es kann auch mal sein, dass das Unternehmen gewinnt, dass sich eine vermutete Kausalität nicht herausstellt oder die Argumente nicht tragen. Deshalb wollen wir verhindern, dass allein das Verfahren schon zu einer unnötigen Belastung wird. Wir müssen auch betrachten, dass das Prozessrisiko, der Imageverlust, der mit einem solchen Verfahren für das Unternehmen verbunden ist, nicht zur selbstständigen Verhandlungsmasse in Vergleichsverhandlungen, die dann stattfinden, werden darf. Deshalb sind wir uns einig, dass wir nicht ein Verfahren nach US-Vorbild wollen. Wir haben schon einige Bremsen eingezogen, die genau das verhindern. Wir haben im Koalitionsvertrag – das wurde schon gesagt – die sogenannte Klageindustrie ausgeschlossen, bzw. wir haben uns vorgenommen, das Entstehen einer Klageindustrie zu verhindern. Materielle Unterschiede sind da schon mal ganz wesentlich, aber auch die Frage: Wer ist hier klagebefugt?

Diese Klagebefugnis bezieht sich auf eine ganz wesentliche Schaltstelle in diesem Verfahren: Der Verband muss professionell agieren. Er muss zuverlässig sein; denn es stehen die Verbraucherrechte auf dem Spiel. Er darf kein eigenes wirtschaftliches Interesse haben, und er muss auch unabhängig sein. Das ist mir auch ganz wichtig. Die Musterfeststellungsklage darf nicht zu einem Vehikel werden, mit dem ein Konkurrent gegen seinen Gegner am Markt vorgehen kann. Es müssen volle Transparenz und Unabhängigkeit gegeben sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die ursprünglichen Vorschläge aus dem Justizministerium waren uns in dieser Hinsicht zu weitgehend, zu weit gefasst. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Klagebefugnis enger gefasst wird. Bestes Modell wäre nach unserer Ansicht die konkrete Beleihung von Verbänden, die diese Voraussetzungen mitbringen. Das, was jetzt im Entwurf vorgeschlagen wird, schafft immerhin höhere Voraussetzungen, die absichern, dass möglichst seriöse Verbände agieren. Wir werden uns in den Beratungen noch einmal genau anschauen, ob wir hier zielgenaue Kriterien formuliert haben.

Es sind noch viele Fragen zu klären. Obwohl die Diskussion schon länger geführt wird, sind noch nicht alle Punkte ausdiskutiert: Welche Anforderungen sind an die Anmeldung zu stellen? Gibt es Regressansprüche? Wird dem Anspruch auf rechtliches Gehör Genüge getan? Soll das Windhundprinzip gelten, oder soll es ein Auswahlermessen geben? Es gibt etliche Punkte, die zu klären sind.

(Dr. Jürgen Martens [FDP]: Ja, warum haben Sie es nicht gemacht? Wer legt denn den Gesetzentwurf vor?)

– Einige Punkte sind jetzt erst von den Fachverbänden genannt worden. Diese werden wir im Zuge der Beratungen bzw. der Sachverständigenanhörung klären.

Ich möchte noch kurz einen Punkt ansprechen. Das Thema Abmahnungen zeigt uns derzeit, dass man sehr gut aufpassen muss, wem man das Prozessrecht in die Hand gibt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

Ich komme gleich zum Schluss.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Nein, nicht gleich, sondern sofort.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

Das Problem ist, dass nicht immer die Abmahner so mit der Situation umgehen, wie sich das der Gesetzgeber gedacht hat. Ich würde gerne dieses Verfahren hier nutzen, um noch eine Ergänzung einzubringen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Nein. Bitte, Frau Kollegin, kommen zu Ihrem letzten Satz.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

Sie soll ermöglichen, vor allem Abmahnungen im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung besser zu handhaben bzw. auszuschließen.

Danke schön, Herr Präsident.

(Beifall bei der CDU/CSU)