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Elisabeth Winkelmeier-Becker: "Die Prozessrisiken sind ungleich verteilt"

Rede zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte den Faden, den Kollege Johannes Fechner am Ende seiner Rede gesponnen hat, gleich aufgreifen und möchte zu Beginn meiner Rede sagen, dass wir uns darüber einig sind, gegen Abmahnungen gezielt und auch sehr schnell vorzugehen.

Aber wir hätten es auch einfacher haben können. Wir hätten heute in diesem Verfahren schon die erste Soforthilfe gegen unberechtigte Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung beschließen können. Das wäre ein schneller Akt gewesen, der wirklich geholfen hätte. Darauf haben viele gewartet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da haben wir heute eine Chance vertan.

Aber ich will vor allem über den Gesetzentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage reden, der heute hier verabschiedet werden soll.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

Ja.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Bitte sehr.

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben Ihre Rede direkt mit dem Thema Abmahnungen begonnen. Das ist ja eigentlich fachfremd und hat mit der Musterfeststellungsklage nicht wirklich etwas zu tun. Sie haben eben den Entschließungsantrag erwähnt. Damit wollen Sie Regelungen im Zusammenhang mit Abmahnungen bei der Datenschutz-Grundverordnung vorbereiten.

Die Frage, die sich zunächst einmal stellt, ist: Brauchen wir nicht Regelungen, die Abmahnungen generell betreffen und die nicht nur im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung gelten? Und daran anschließend stellt sich die Frage: Was haben Sie denn bei dem Umsetzungsgesetz zur Datenschutz-Grundverordnung getan? Darin hätten Sie das schon regeln können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

In der Tat ist ganz klar: Das Thema Abmahnungen geht weit über die Thematik der Datenschutz-Grundverordnung hinaus. Wir wollen das insgesamt angehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch so vereinbart, und zwar – das sage ich, um falschen Eindrücken vorzubeugen – auf beiderseitige Initiative. Es ist beiden Partnern ein wichtiges Anliegen, das anzugehen; das werden wir in diesem umfassenden Sinne dann nach der Sommerpause sofort aufgreifen.

In der Beratung zur Datenschutz-Grundverordnung ist das zu kurz gekommen. Da muss sich die Politik insgesamt an die eigene Nase fassen. Das kann man nicht wegdiskutieren; das gebe ich zu. Ich habe aber auch von Ihnen und von den anderen Fraktionen dazu keinen Antrag gesehen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Stimmt nicht! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie das nicht gelesen haben!)

Ich denke, dass es auch in der Wirtschaft, wo sich dieses Problem jetzt deutlich und mit aller Macht zeigt, ein Stück weit zurückgestellt worden ist. Das ist der Befund. Wir können uns jetzt nur für die Zukunft vornehmen – und wir sind wirklich dazu gewillt –, uns dieser Problematik sehr, sehr schnell und sehr effektiv anzunehmen. Im September geht es an der Stelle los.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme zum Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage, den wir heute beschließen, zurück. Es sind diese Fragen: „Welche Ansprüche haben Käufer von Autos mit manipulierter Abgastechnik? Ist es rechtens, wenn ein Unternehmen lukrative Bausparverträge kündigen will?“, und dergleichen mehr, die viele Verbraucher betreffen. Das betrifft Fälle, wo typischerweise auf der anderen Seite ein großes Unternehmen steht, das letztendlich nur auf gerichtlichen Druck agiert. Deshalb muss das dann eben gerichtlich entschieden werden.

Dabei sind die Prozessrisiken natürlich ungleich verteilt. Das Prozessrisiko, teure Gutachten, Rechtsanwaltsgebühren über drei Instanzen, all das wiegt für einen privaten Verbraucher natürlich ungleich schwerer als für ein Unternehmen. Selbst wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat, stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Verbraucher zu einer Kanzlei findet, die so spezialisiert ist wie die aufseiten des Unternehmens tätige Kanzlei.

Es ist klar: Da ist der Verbraucher nicht auf Augenhöhe mit dem Unternehmen. Das Ziel unserer Verbraucherpolitik ist es, diese Augenhöhe herzustellen. Mit der Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage – davon sind wir überzeugt – stellen wir im Prozess diese Augenhöhe mit den Unternehmen für die Verbraucher her. Darum geht es hier heute.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir tun das, indem wir dem privaten Verbraucher einen schlagkräftigen Verband an die Seite stellen, der die Expertise mitbringt und der sich auch nicht einschüchtern lässt, wenn sich auf der anderen Seite finanzkräftige Akteure befinden.

Aber wir schauen auch auf die andere Seite und fragen: Wie sieht das Ganze von der Warte eines Unternehmens aus, das – vielleicht zu Unrecht – mit einer solchen Klage konfrontiert wird? Insofern war es uns wichtig, dass dieses Instrument sich nicht verselbstständigt und geradezu zum Geschäftsmodell wird. Fehlanreize haben wir konsequent vermieden. Ich glaube, das ist uns wirklich gelungen. Die Musterfeststellungsklage, wie wir sie hier heute vorschlagen und verabschieden werden, taugt nicht zum Geschäftsmodell, bei dem es vor allem darum gehen würde, hohe Honorare zu verdienen. Im Gegenteil: Der Verband geht sogar das Risiko ein, dass er seinerseits Geld verliert, weil er das Prozessrisiko und damit das Kostenrisiko tragen muss. Das muss er vor seinen mindestens 350 Mitgliedern auch rechtfertigen. Dadurch ist gesichert, dass der Verband dieses Risiko nur dort eingeht, wo es ihm ein eigenes Anliegen ist, weil er für seine Verbraucher, die er vertritt, etwas erreichen will.

Wir haben jetzt noch den Blick auf einige Regeln zu werfen. Im Gesetzentwurf ist geregelt, dass als Eingangsinstanz das OLG zuständig ist. Das garantiert den schnellen Weg zur verbindlichen Regelung beim BGH. Am Beginn der Verhandlung stehen einige Hinweise des Gerichts, die sicherstellen, dass abseitige Anträge, die keine Chance haben, das Verfahren nicht belasten, so wie es im KapMuG teilweise auch geregelt ist. Das ist fair für die Verbraucher. Sie können eine erste Einschätzung des Gerichts abwarten, bevor sie darüber entscheiden, ob sie auf der Liste bleiben. Das ist fair für die Unternehmen, weil sie wissen: Ab jetzt gilt es für beide Seiten. Beide Seiten sind an die Feststellungen gebunden, auch wenn es für den einen oder anderen eben ungünstig ausgeht. Das ist auch entlastend für die klagenden Verbände; denn eine erste Einschätzung des Gerichts kann manch überzogene Erwartung schon an der Stelle zurechtruckeln und dadurch das Haftungsrisiko des Verbandes ein Stück weit reduzieren.

Ich denke, dass wir so insgesamt eine sehr gute Regelung haben, die wir jetzt auch rechtzeitig ins Gesetzblatt bringen. Ein Grund für die Eile, mit der wir dieses Gesetzgebungsverfahren durchgeführt haben und dieses Gesetz heute verabschieden, war, dass wir damit den Dieselkäufern eine gute Grundlage geben, um noch in diesem Jahr ihre Rechte geltend machen zu können. Ich danke für Ihre Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)