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Elisabeth Winkelmeier-Becker: Der Rechtsstaat und die Justiz sind nicht in Gefahr

Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklärung Recht und Verbraucherschutz

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lassen Sie mich zu Beginn der Rede kurz auf die guten Tipps eingehen, die wir von der FDP bekommen haben. Ich gebe zu: Das Thema § 219a StGB macht uns den Start in eine gute Zusammenarbeit, die ich trotzdem erwarte und auch anbiete, nicht leichter. Es sollte aber nicht die Sorge der FDP sein, wie wir zusammenarbeiten. Gute Tipps von einer Partei, die die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Regierung ausgeschlagen hat und Rechtspolitik hätte gestalten können, brauchen wir nun wirklich nicht, lieber Stephan Thomae.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Thomae [FDP]: Kann die Opposition keine Vorschläge mehr unterbreiten?)

Mir ist aufgefallen, dass es Anzeichen für einen Strategiewechsel, der heute Morgen in der „Welt“ sehr anschaulich beschrieben ist, gibt. Dort kann man lesen, dass man sich offenbar vorgenommen hat, das Framing zu ändern. Bisher ging es immer um Werbung für Abtreibung. Aber man hat jetzt gemerkt, dass es in der Öffentlichkeit doch noch ein Bewusstsein dafür gibt, dass man für Abtreibung, für Tötung von ungeborenen Kindern nicht wirbt. Sie haben gemerkt, dass Sie damit nicht gut ankommen. Jetzt soll das Framing geändert werden. Werbung soll jetzt Information heißen.

Ich kann dazu nur sagen: Ein Informationsdefizit über die medizinischen und sachlichen Zusammenhänge beim Schwangerschaftsabbruch kann ich nicht erkennen. Und es gibt auch kein Informationsdefizit darüber, welche Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, wenn eine Frau sich letztendlich dazu entscheidet. Sollte es dieses aber geben, gibt es andere Möglichkeiten, es auszugleichen. In diesem Sinne verstehe ich auch die Vereinbarungen auf der Ebene der Fraktionsspitzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Stephan Thomae [FDP]: Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge!)

Ein weiterer Punkt. Wir reden heute über Rechtspolitik. Dabei machen wir uns Gedanken über die vornehmste Aufgabe des Rechtsstaats. Die vornehmste Aufgabe des Rechtsstaats ist es, Opfer zu schützen. Deshalb müssen wir gerade diejenigen in den Blick nehmen, die sich selber am wenigsten zur Wehr setzen können, und durch den Staat schützen.

Am schutzbedürftigsten sind die ungeborenen Kinder im Mutterleib. Deshalb müssen wir uns eher darüber Gedanken machen – das ist meine Überzeugung –, wie wir diesen Schutz verbessern können, und nicht darüber, ob wir Werbung für Abtreibung zulassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Dr. Eva Högl [SPD]: Niemand will hier Werbung! Echt ätzend!)

Liebe Kollegen, wir haben unsere Vorhaben in der Rechtspolitik in dieser 19. Wahlperiode unter die Überschrift „Ein handlungsfähiger und starker Staat für eine freie Gesellschaft“ gestellt. Dazu gehört der Pakt für den Rechtsstaat, der mehr Personal vorsieht. Dieses Vorhaben ist im Übrigen zu hundert Prozent an die die ­PEBB§Y-Berechnungen des Deutschen Richterbundes angelehnt. Wir brauchen eine bessere Ausstattung und – dafür sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig – effektivere Verfahren; denn wir machen die Beobachtung, dass sich die Dauer der Verfahren signifikant verlängert hat, vor allem im Strafrecht.

Wir haben zum Beispiel im NSU-Prozess immer wieder dieselbe Leier, dass unsinnige Beweisanträge gestellt werden; zuletzt sollte sogar – kein Scherz – der letzte Gefängniswärter von Rudolf Heß vernommen werden. Diese werden zu Recht zurückgewiesen, und dann folgt natürlich ein Befangenheitsantrag. So geht es immer und immer weiter, wirklich exzessiv und in einer letztendlich prozessverschleppenden Art und Absicht. Oder: Vor dem Landgericht Koblenz platzte ein Prozess gegen 26 mutmaßliche Neonazis, weil nach fünf Jahren die Altersgrenze des Richters erreicht war. Das sind Dinge, die einen Missbrauch darstellen. Hier müssen wir uns tatsächlich Gedanken machen. Lösungen sind schon vorgeschlagen. Diese Dinge müssen wir angehen. Es geht um die Abwehr von nicht weiterführenden Beweisanträgen, Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen und in großen Verfahren auch um die Bündelung der Nebenklagen.

Wir haben hohe Belastungen an den Verwaltungsgerichten. Es gibt schon Vorschläge, wie wir hier zu einer schnelleren Klärung relevanter Rechtsfragen kommen. Auch darum wollen wir uns kümmern, genauso wie um viele andere Dinge mehr.

Ich möchte einem Eindruck entgegentreten: Der Rechtsstaat ist nicht etwa in Gefahr, auch die Justiz nicht. Wir haben sicherlich einen Bedarf, Dinge zu verbessern, und wir wollen das entschlossen anpacken. Aber das Justizbarometer der Europäischen Union von 2017 weist aus, dass die deutsche Justiz weiterhin hohes Ansehen genießt, und das völlig zu Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Im Vergleich sind die Verfahrensdauern bei uns immer noch sehr ansehnlich, und wir haben eine hohe Qualität. Da brauchen wir uns wirklich nicht zu verstecken.

Zum Pakt für den Rechtsstaat gehört ein neues Verfahren, nämlich die Musterfeststellungsklage, die wir gerade im Sinne der Verbraucher ins Gesetzblatt bringen wollen. Hier soll derjenige, der recht hat, auch recht bekommen. Das darf nicht daran scheitern, dass Prozesskosten und -risiko zu hoch sind. Ganz entscheidend wird dabei sein, dass wir uns die Klagebefugnis genau anschauen: Wer darf diese Verfahren führen? Denn wir müssen und wollen verhindern, dass dies nach US-amerikanischem Vorbild ein Geschäftsmodell für große Kanzleien wird, die vor allem eines im Sinn haben: damit selber Geld zu verdienen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, es wird viel Fleiß von uns erwartet. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)