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Dr. Volker Ullrich: Ein Vergessen darf es beim 17. Juni nicht geben

Rede in der vereinbarten Debatte zum Gedenktag 17. Juni 1953

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die mutigen Frauen und Männer des 17. Juni wollten Freiheit und Einheit, Selbstbestimmung und freie Wahlen. Sie wollten Aufbruch aus der Diktatur heraus. Und das ist der Grund, weshalb es auf den ersten Bildern hoffnungsfroh gestimmte Menschen zu sehen gibt. Am Ende war dieser Aufbruch nicht erfolgreich. Die Regierung der DDR hat gemeinsam mit der Sowjetunion diese Hoffnungen blutig zerschlagen. Aber es war nur ein vermeintlicher und vorübergehender Sieg der Diktatur.

Die Frauen und Männer des 17. Juni haben das Richtige getan. In der übersichtlichen Reihe der deutschen demokratischen Revolutionen steht der 17. Juni 1953 in einer Reihe mit 1848. Überzeugungen und Ideale konnten sich für den Moment nicht durchsetzen; aber sie haben den richtigen Weg der Geschichte aufgezeigt. Deswegen sind wir jedem Einzelnen des 17. Juni 1953 dankbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Der 17. Juni hatte auch eine europäische Dimension. Er hat die Aufstände in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei 1968 und in Polen 1980 inspiriert. Wir müssen uns fragen: Wäre die Friedliche Revolution von 1989 wirklich so verlaufen, wenn die Menschen von 1953 mit ihrer Haltung nicht Vorbild gewesen wären, weil ja bereits einmal die Möglichkeit der Freiheit in der Luft lag?

Die Niederschlagung des Aufstands hat viele Opfer gefordert; ich empfehle jedem die erschütternde Dokumentation über Paul Ochsenbauer. Standrechtliche Erschießungen, Todesurteile, lange Zuchthausstrafen, Tausende sind inhaftiert und entrechtet worden, viele mussten fliehen und ihre Heimat verlassen. All der Opfer gedenken wir heute.

Die Frage, ob die DDR denn ein Unrechtsstaat gewesen sei oder nicht, war bereits nach diesem 17. Juni eindeutig entschieden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Die angeblich demokratische Republik, in Wahrheit eine sozialistisch-kommunistische Diktatur, war bereits zu diesem Zeitpunkt moralisch am Ende; sie hat es bloß nicht gewusst.

Wir müssen heute dafür sorgen, dass der 17. Juni nicht in Vergessenheit gerät, gerade in beiden Teilen unseres zusammengewachsenen Landes. Im Westteil war bis 1990 der 17. Juni ein Feiertag. Aber wir müssen uns fragen, ob gerade in den 80er-Jahren er am Ende nicht eher ein weiterer freier Tag war, über den wir uns vielleicht zu gedankenlos freuten, während die Menschen jenseits der Mauer nur wieder einen weiteren unfreien Tag zu erdulden hatten.

Wir brauchen 67 Jahre nach dem 17. Juni eine Wiederbelebung und Verstärkung der Erinnerungskultur. Wir müssen uns fragen, ob genügend Straßen und Plätze auch im Westteil unseres Landes nach den Helden und Opfern des 17. Juni benannt sind. Ein Vergessen darf es beim 17. Juni nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Martin Hebner [AfD])

Denn uns ist allen klar: Ohne den 17. Juni hätten wir den glücklichen Moment des 3. Oktober nicht erleben dürfen.

Der große Historiker Fritz Stern – damit möchte ich schließen – hat im Deutschen Bundestag 1987 davon gesprochen – auch bei einer Rede zum Thema 17. Juni –, dass Freiheit etwas wunderbar Verführerisches ist. Und daraus erwächst unsere Verantwortung für die Verfasstheit unseres Landes und für den Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Das sind wir uns, aber auch den Menschen des 17. Juni schuldig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)