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Dr. Volker Ullrich: "Der Bedarf an Betreuung in Deutschland ist gestiegen"

Rede zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte um die Betreuer- und Vormündervergütung hat etwas mit unserem Menschenbild zu tun. Es geht um die Frage, wie wir denjenigen helfen können, die mit ihrer Arbeit für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und für eine würdevolle Mitwirkung an unserer Gesellschaft für andere Menschen Sorge tragen. Es geht um Selbstbestimmung. Es geht darum, dass die Betreuten durch die Arbeit der Betreuer letztlich an dieser Gesellschaft partizipieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deswegen gilt mein ganz persönlicher Dank dem Engagement der 12 000 Berufsbetreuer, aber auch den vielen Tausend Ehrenamtlichen in den Betreuungsvereinen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])

Sie leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Betreuung, sondern sie nehmen auch dem Staat eine originäre, wichtige Aufgabe ab, weil wir niemanden alleine lassen. Wenn der Staat diese Aufgabe übernehmen würde, wäre das wesentlich teurer; auch daran darf erinnert werden.

Ja, das hat etwas mit dem Menschenbild zu tun. Bis 1992, bis zum Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes, sind Menschen noch entmündigt worden. Das haben wir überwunden. Wir nehmen Menschen an die Hand. Das müssen wir wertschätzen und auch gesetzlich stark verankern.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Bedarf an Betreuung in Deutschland gestiegen ist: Im Jahre 1995 waren es noch etwa 600 000 Betreuungen. Heute ist die Zahl auf über 1,3 Millionen Menschen gestiegen. Die Gründe sind sicherlich vielfältig. Aber klar ist: Eine umsichtige, sorgsame und professionelle Betreuung muss dieser Gesellschaft etwas wert sein. Das ist eine Frage von Anerkennung und Wertschätzung. Aber es ist eben auch eine Frage der Vergütung, meine Damen und Herren.

Es ist nicht akzeptabel – diesen Schuh müssen wir uns selber anziehen –, dass die Vergütung seit 2005 nicht erhöht worden ist.

(Beifall des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])

Aber ich bitte auch alle, zur Kenntnis zu nehmen, dass dieser Bundestag bereits im Jahr 2017 ein erstes Gesetz zur Erhöhung der Betreuervergütung verabschiedet hat und dass dies leider 16 : 0 im Bundesrat gescheitert ist. Umso begrüßenswerter ist es, dass die Länder jetzt gemeinsam mit dem Bundestag ihrer Verantwortung gerecht werden, um eine deutliche Erhöhung der Betreuervergütung auf den Weg zu bringen. Das sind wir all denjenigen schuldig, die diese wichtige und wertvolle Arbeit machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich weiß, dass manche jetzt einwenden werden: Das reicht nicht aus. Es ist zu wenig. Die Erhöhung der Vergütung um 17 Prozent holt nur ein Stück von dem auf, was sich in der Kaufkraft seit 2005 entwickelt hat. – Ich habe für all diese Bedenken Verständnis. Aber auch hier gilt, dass es ein schwieriger Kompromiss zwischen dem Bund und den Ländern war. Die Alternative wäre nicht, die Vergütung um 17, 20 oder 25 Prozent zu erhöhen, sondern die Alternative wäre: Haben wir jetzt bald eine Vergütungserhöhung, oder haben wir keine?

Vor diesem Hintergrund, denke ich, ist es wichtiger, jetzt ein erstes Signal zu setzen und die Betreuungsvergütung sofort zu erhöhen, das Gesetz auch nicht erst zum 1. Januar 2020 in Kraft treten zu lassen, sondern sofort, damit Betreuungsvereine und Berufsbetreuer sofort mehr Geld für ihre Tätigkeit bekommen. Das war uns in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

Ebenso ist uns wichtig, dass wir nach dem Inkrafttreten dieser Betreuungsvergütung über weitere wichtige Themen sprechen. Ich glaube, dass wir die Evaluierung nicht erst im Jahr 2024 vornehmen dürfen, weil dann die nächste Effektiverhöhung erst in einem Jahrzehnt fällig wäre.

Wir müssen darüber sprechen, ob wir auch die Betreuungsvergütungen an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten knüpfen sollten. Wir müssen auch darüber sprechen, ob wir nicht insgesamt ein stärkeres Augenmerk auf das Berufsbild der Berufsbetreuer legen und über Qualifizierung und über die fachlichen Anforderungen sprechen sollten.

Es geht insgesamt darum, dass wir diese wichtige Aufgabe, mit der immerhin dafür Sorge getragen wird, dass über 1 Million Menschen an dieser Gesellschaft teilnehmen können, fortentwickeln. Wir tun das heute mit der Vergütung. Aber ich rufe allen zu, die sich für dieses Thema interessieren, nicht lockerzulassen, sondern an der Qualifikation der Berufsbetreuer und an deren Stellung in der Gesellschaft weiter zu arbeiten. Für heute bitte ich um Zustimmung und hoffe auch auf eine ebensolche Zustimmung im Bundesrat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)