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Dr. Stephan Harbarth: Der Rechtsstaat steht im Augenblick besonderen Herausforderungen gegenüber

Rede zum Haushaltsgesetz 2019 (Epl 07) für den Bereich Justiz und Verbraucherschutz

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt auf unserem Globus nur wenige Länder, in denen der Rechtsstaat so gut funktioniert wie in der Bundesrepublik Deutschland: die Bindung des Staates an Recht und Gesetz, die Gewaltenteilung,

(Zuruf von der AfD: Das war einmal!)

die Achtung der Menschenrechte, eine unabhängige, eine unbestechliche Justiz,

(Zuruf von der AfD: Hoi!)

eine leistungsfähige Justiz mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen. Und doch spüren wir alle, dass der Rechtsstaat im Augenblick besonderen Herausforderungen gegenübersteht und mit besonderen Gefahren zu kämpfen hat.

Nicht zuletzt die Ereignisse in Chemnitz haben all dies noch einmal verdeutlicht: ein schlimmes Tötungsdelikt, Verlangen nach Selbstjustiz, Zeigen des Hitlergrußes, Gewaltverherrlichung in einem Konzert, Angriff auf ein jüdisches Restaurant, Angriffe auf andere Menschen und viele andere schlimme Vorgänge. Wir leben in Deutschland nicht in einem Land von Faustrecht und Fehde, sondern in einem Staat des Rechts. Dieses Recht gibt den Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen Konflikte auszutragen sind. Vielleicht ist ein wenig in Vergessenheit geraten, wie jung diese Errungenschaft eigentlich ist und in wie vielen Staaten der Erde wir um sie beneidet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der Staat erwartet vom Bürger zu Recht, dass er sich der Selbstjustiz und auch der Vorverurteilung enthält, auch dort, wo brutale Verbrechen geschehen und vielleicht gar ein Täter auf frischer Tat ertappt wird. Ebenso wie wir aushalten müssen, dass in gewissen Grenzen auch Menschen demonstrieren, deren politische Auffassung wir nicht teilen, muss jeder das Strafen unabhängigen Gerichten überlassen, und zwar nicht nach dem Rechtsgefühl, sondern nach der Rechtslage. Aber so wenig wie das Rechtsgefühl bei Urteilen eine Rolle spielt: Wir müssen wachsam sein, wenn dauerhaft die Akzeptanz in der Bevölkerung zu schwinden droht.

Und damit meine ich keine schreienden Rechtsradikalen, die verfassungsfeindliche Symbole zeigen und ausländerfeindlich oder antisemitisch auftreten, sondern ich meine die Menschen in unseren Wahlkreisen, die mit ihren Sorgen und Nöten auf Sie wie auf mich zukommen. Wir müssen uns einerseits gegen jede Verächtlichmachung des Rechtsstaats wehren, und wir müssen andererseits genau hinsehen, woran es liegt, wenn in Teilen der Bevölkerung seine Akzeptanz schwindet, und wir müssen zuhören, wenn sachliche Kritik geäußert wird.

Der Verzicht auf Selbstjustiz korrespondiert mit einem Sicherheitsversprechen unseres Staates. Der Staat muss die ihm übertragenen Befugnisse effektiv ausüben, die Polizei uns alle bestmöglich vor Straftaten schützen. Wo Straftaten nicht verhindert werden können, müssen die Täter ergriffen und durch den Staat einer angemessenen Strafe zugeführt werden. Für uns als Rechtspolitiker ist klar: Es ist unverzichtbar, dass ein starker Rechtsstaat den Bürgern genau diese Sicherheit gewährt.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU):

Ich würde gerne im Zusammenhang ausführen, Herr Präsident. – Wir haben deshalb, weil wir wissen, dass der Staat den Bürgern dieses Sicherheitsversprechen gewährt, in der neuen Legislaturperiode mit dem Pakt für den Rechtsstaat einen ganz zentralen Schwerpunkt gesetzt. Der Pakt für den Rechtsstaat besteht aus mehreren Säulen.

Erstens. Ein starker, wehrhafter Rechtsstaat braucht zunächst einmal genügend Personal, um seine Bürger schützen zu können, um sicherzustellen, dass keine rechtsfreien Räume entstehen, um in vertretbarer Zeit seine Urteile zu sprechen. Er braucht genug Personal bei der Polizei und den Sicherheitsbehörden, bei den Gerichten und bei den Staatsanwaltschaften. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode nochmals – genauso wie in der vorangegangenen – einen massiven Stellenaufwuchs bei der Polizei vorgesehen: Wir haben im Haushalt 2018 2 000 und im Haushalt 2019 weitere 2 000 neue Stellen bei der Polizei geschaffen. Auch bei der Justiz, wo es sich in erster Linie um eine Länderkompetenz handelt, sind viele Länder schon tätig geworden und haben in den letzten Jahren Richter und Staatsanwälte eingestellt. Insgesamt müssen 2 000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte in Deutschland geschaffen und entsprechendes Folgepersonal eingestellt werden.

Zweitens. Ein starker Rechtsstaat braucht eine gut ausgestattete Justiz und Polizei, die in Zeiten der Digitalisierung gegenüber Kriminellen und Terroristen nicht ins Hintertreffen gerät. Sie muss auch im digitalen Bereich ermitteln können. Polizei und Justiz müssen ihre so gewonnenen Erkenntnisse über eine gemeinsame Datenschnittstelle austauschen können. Hierfür brauchen wir auch die elektronische Akte im Strafprozess.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Drittens. Ein zentraler Punkt ist, dass wir die Gerichtsverfahren noch effizienter machen. Ja, es ist das gute Recht eines Verteidigers, jedes Recht auszuüben. Aber wenn wir sehen, dass Rechte missbraucht werden, wenn wir sehen, dass beispielsweise im NSU-Prozess Dutzende von Befangenheitsanträgen gestellt werden, um einen solchen Prozess in Mitleidenschaft zu ziehen, dann sind wir als Gesetzgeber gefordert. Deshalb haben wir die klare Erwartung, dass missbräuchlichen Befangenheitsanträgen, missbräuchlichen Beweisanträgen und Ähnlichem ein Riegel vorgeschoben wird. Da haben wir auch die Bitte, dass das, was wir bei diesen Dingen vereinbart haben, Frau Bundesministerin, durch das Bundesjustizministerium nun beschleunigt erarbeitet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für uns ist ein wichtiger Punkt, dass wir den Ermittlern wichtige Erkenntnisquellen nicht vorenthalten. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die DNA-Analyse ausgeweitet werden muss, um beispielsweise besser nach den Tätern fahnden zu können, etwa auch anhand ihrer Haar- oder Augenfarbe.

Der vierte Punkt lautet: mehr Opferschutz und mehr Prävention. Für uns bedeutet Opferschutz nicht nur, dass Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, geholfen wird, sondern es bedeutet für uns auch, dass man Menschen hilft, gar nicht erst Opfer einer Straftat zu werden. Wir haben beispielsweise in den vergangenen Jahren bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls viel auf den Weg gebracht. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist im Jahr 2017 um über 20 Prozent gesunken; dennoch sind wir noch nicht am Ende der Wegstrecke angekommen. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Überwachung der Telekommunikation bei Einbruchsdiebstählen ausgeweitet werden muss, da sich oft erst in einem späten Stadium der Ermittlungen nachweisen lässt, dass hier Banden am Werk sind. Wir brauchen intelligente Videoüberwachung: nicht an allen Stellen, aber an Stellen mit besonderer Gefahrenlage, damit es auch möglich ist, die Gesichter von Straftätern zu erkennen.

Bei all diesen großen Herausforderungen im Rahmen des Pakts für den Rechtsstaat sollten wir die in Relation dazu etwas kleineren, aber dennoch wichtigen Fragen der Rechtspolitik nicht vergessen. Ich denke da an manches Projekt auf europäischer Ebene. Wir sollten in Zeiten, in denen Europa starken Anfeindungen ausgesetzt ist, anhand konkreter Projekte belegen, dass die Integration, die Rechtsvereinheitlichung, in Europa den Menschen nützt. Ich denke hierbei etwa an das Thema der Europäischen Privatgesellschaft, ein Institut, für das wir seit vielen Jahren arbeiten und das wir in Europa endlich auf den Weg bringen sollten.

Wir sollten meines Erachtens in der Rechtspolitik dort, wo wir in Europa im Augenblick manches nicht durchsetzen können, versuchen, die deutsch-französische Integration zu vertiefen. Wenn wir manches im Augenblick auf europäischer Ebene nicht durchsetzen können, aber Rechtsvereinheitlichung in wichtigen Feldern etwa mit Frankreich hinbekommen – das mag im Bereich des Insolvenzrechts, auf vielen anderen wirtschaftsrechtlichen Feldern oder im Bereich des Gesellschaftsrechts der Fall sein –, dann wäre auch das ein Fortschritt, der die Menschen erkennen lässt, wie sinnhaft eine weitere Rechtsharmonisierung und eine weitere Integration in Europa ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zu den Punkten, die uns in besonderer Weise am Herzen liegen, gehört, dass wir uns in der laufenden Legislaturperiode auch ausführlicher mit dem Fragenkreis zu Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR befassen werden. Wir sind hierbei nicht am Ende der Erkenntnisse, wir sind eher am Anfang eines langen Prozesses. Aber angesichts des Verdachts, der im Raume steht, dass nämlich Menschen aus völlig sachfremden Gründen, aus politischer Motivation heraus Kinder entzogen wurden und sie diese Kinder in der Folge vielleicht nie mehr wiedergesehen haben, ist es, glaube ich, dringend erforderlich, dass der Deutsche Bundestag diesen Fragenkreis in der laufenden Legislaturperiode aufklärt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht haben wir alle in den vergangenen Jahren etwas zu wenig für die großen rechtsstaatlichen Errungenschaften geworben. Vielleicht haben wir auch manchen Missstand in der Justiz, vielleicht manchen personellen Engpass in der Justiz zu spät bekämpft. Vielleicht haben wir damit denen, die Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in ihrem Innersten verachten und den Rechtsstaat deshalb verächtlich zu machen suchen, zu viel Angriffsfläche geboten. Sollte dem so sein, müssen wir umgehend umschalten. Kaum ein Projekt verdient es so in das Zentrum der laufenden Legislaturperiode gestellt zu werden wie die Stärkung, die Ertüchtigung unseres Rechtsstaats. Lassen Sie uns dies jedenfalls im Kreis derjenigen Fraktionen, die sich zu diesem Staat, zu seinen zentralen Pfeilern bekennen, gemeinsam in Angriff nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)