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Dr. Heribert Hirte: Die Musterfeststellungsklage ist zumindest für den Augenblick ein richtiger Ansatz

Rede zum Verbandsklagerecht

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Ein Antrag befasst sich mit Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes, also mit einer Anweisung an die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten im Ministerrat. Das kam hier außer beim Kollegen Steineke, der gesagt hat: „Dafür ist es zu spät“ – das ist in der Tat so –, kaum zur Sprache.

In Wirklichkeit geht es, was nicht schlimm ist, um die Frage von Verbraucherschutz, um die Musterfeststellungsklage und die Sammelklage, also um ganz allgemeine Fragen, die wir im Bereich des Prozessrechts adressieren wollen. Deshalb möchte ich auf die Fragen, die Sie in Ihrer Begründung ausführlich angesprochen haben, ein wenig eingehen.

Ein angesprochenes Problem ist die Klagebefugnis, bei der Sie darauf verweisen, dass das OLG Stuttgart in einem der anhängigen Fälle die Klagebefugnis verneint habe. Ja, in der Tat, das ist ein Problem. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Wir werden abwarten müssen, was der Bundesgerichtshof dazu sagt, ob hier wirklich ein Problem besteht und ob das Problem möglicherweise durch Nachsteuern des Gesetzgebers zu regeln ist.

Aber wir haben auch schon gehört, es gebe Listen, es gebe eine alternative Liste nach dem UKlaG, die wir ganz bewusst nicht eins zu eins übertragen wollten. Wir wollen sie deshalb nicht eins zu eins übertragen, weil Verbände, die solche Klagen erheben, in einer gewissen Weise ein öffentliches Interesse wahrnehmen. Bei der Frage der Wahrnehmung öffentlicher Interessen müssen andere Kriterien angelegt werden. Oder jedenfalls meinen wir, dass andere Kriterien angelegt werden müssen, als das bislang der Fall ist. Es müssen nämlich besondere spezifische Anforderungen an die Mitgliedschaft, an die Finanzierung solcher Verbände und auch an die interne Corporate Governance gestellt werden. Deshalb haben wir das hier im Moment erst einmal offen gelassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein zweiter Punkt, weil Sie das Problem einer möglicherweise drohenden Verjährung ansprechen. Ja, man könnte sich vorstellen – wir haben das auch diskutiert –, mit einem klarstellenden Eröffnungsbeschluss deutlich zu machen, ab wann die Zulässigkeit der Klage begründet ist, um die Punkte Verjährungsunterbrechung und Risiko, das meines Erachtens nicht besteht, einer größeren Klärung zuzuführen. Darüber wird man gegebenenfalls noch einmal reden müssen.

Ein weiterer Punkt ist – ich glaube, dass Sie da sehr im Allgemeinen bleiben –: Wenn Sie sich die Fälle ansehen, die im Augenblick anhängig sind – OLG Braunschweig, OLG Stuttgart –, dann werden Sie feststellen, dass die Hauptdiskussion die über die Befangenheit der Richter ist. Das treibt die Parteien auf allen Seiten zu Recht um. Das führt zu ellenlangen Schriftsätzen, zu Diskussionen über die Frage, ob die Personen, die da sitzen, wirklich unparteiisch entscheiden können.

Ich glaube, das ist ein veritables Problem. Es ist deshalb ein Problem, weil es in dem einen Falle um 400 000 und mehr Kläger geht und die Macht der Richter in diesen Fällen etwa der entspricht, die wir als Parlamentarier haben. Diese Tatsache auf der Seite der klagebefugten Verbände, aber auch auf der Seite der Justiz anzusprechen und zu adressieren, halte ich für einen wichtigen Punkt. In Ihrem Antrag steht davon nichts.

(Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])

Deshalb sehen wir sehr allgemein, dass die Eins-zu-eins-Übertragung der ZPO-Regeln, die ja auf den Zweiparteienprozess zugeschnitten sind, auf solche kollektiven Regeln noch am Anfang steht. Also, hier ist möglicherweise Handlungsbedarf.

Es zieht sich durch Ihre beiden Anträge, dass die Musterfeststellungsklage keine Leistungsklage sei, dass man zweimal klagen müsse. Mein Eindruck ist, dass Sie die praktischen Erfahrungen in der Justiz nicht haben; denn wenn Sie komplexe Sachverhalte haben – unser Kollege hat es eben gesagt –, dann ist die Auflösung der Komplexität der erste, der entscheidende, der wichtigste Schritt. Sie brauchen in einem Bauprozess als Erstes das Beweissicherungsverfahren. Wenn Sie das Beweissicherungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben, werden die anderen Fragen am Ende erledigt. Das bedeutet, dass wir hier im Bereich der Tatsachenermittlung arbeiten müssen. Wir müssen möglicherweise über eine Reform des § 142 ZPO – Vorlage von Unterlagen – und solche Dinge nachdenken, damit der Sachverhalt, über den gestritten wird, anschließend richtig festgestellt ist. Das heißt, die weiteren Schritte, die Sie immer adressieren, sind nicht das wirkliche Problem.

Wenn Sie sich das Vorbild, das wir ja gar nicht übernehmen wollten, ansehen, nämlich die amerikanische Sammelklage, dann wissen Sie: Auch da gibt es am Ende der Sammelklage kein vollstreckbares Leistungsurteil. Da wird anschließend in einem weiteren Verfahren eine Summe letztlich unter gerichtlicher Aufsicht – das entspricht dem zweiten Verfahren, das wir hier vorgesehen haben – verteilt. Insofern besteht hier also kein Handlungsbedarf, jedenfalls nicht aus diesem Grunde.

Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte – Sie haben das in Ihrem Antrag am Rande erwähnt –, betrifft das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, das zum 1. November 2020 auslaufen soll. In der Tat ist es wichtig, zu klären, wie es hier weitergehen soll. Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie hierauf in der Regierungsbefragung keine zufriedenstellende Antwort bekommen haben. Ich selbst habe im Unterausschuss Europarecht die gleiche Frage gestellt und ebenfalls keine zufriedenstellende Antwort bekommen. 17 000 Klagen, die allein im Fall Telekom noch anhängig sind, können nicht einfach auslaufen; da bin ich mit dem baden-württembergischen Justizminister Wolf einig. Er hat in einem Schreiben, das mir vorliegt, mitgeteilt, das sei keine Lösung, das habe das OLG Stuttgart ihm so mitgeteilt. Ich kann mich dem nur anschließen. Deshalb hoffe ich, dass die Bundesregierung diesen Ansatz aus Baden-Württemberg übernimmt und dass wir gemeinsam möglicherweise über eine Zusammenführung der beiden Verfahren nachdenken und damit auch die weiteren Reformpunkte, die sich möglicherweise stellen, adressieren können.

Herzlichen Dank und auf weitere gute Arbeit bei diesem Projekt! Die Musterfeststellungsklage ist zumindest für den Augenblick ein richtiger Ansatz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)