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Dr. Heribert Hirte: Dem Insolvenzrecht wird künftig dieselbe Spezialisierung zuteil

Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften

Wir beraten heute in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften. Unter den zahlreichen wichtigen Detailfragen, die der Entwurf angeht und die wir in den nächsten Wochen noch ausführlich beraten werden, möchte ich an dieser Stelle nur einige herausgreifen:

Erstens. Im Mittelpunkt des Entwurfes steht die dauerhafte Festschreibung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen in Höhe von 20 000 Euro in § 544 Absatz 2 ZPO n. F., bislang im EGZPO. Das ist zunächst einmal insoweit richtig, als damit das unwürdige Verfahren immer wieder nur befristeter Verlängerungen dieses jetzt schon geltenden Rechtszustandes ein Ende findet. Das ist aber auch sachlich richtig, weil es zur Ehrlichkeit gehört, einzugestehen, dass Recht Geld kostet und dass auch das staatliche Justizsystem eine Ressource darstellt, die nur endlich zur Verfügung steht. Den Zugang zu diesem System an eine leicht ermittelbare Größe, nämlich den Streitwert, anzuknüpfen, ist daher im Grundsatz richtig.

Das erschwert allerdings den Revisionszugang für Sachverhalte, die nur einen kleinen Streitwert haben, gleichwohl aber – insbesondere wegen ihres häufigen oder wiederholten Auftretens – hohe rechtspolitische Bedeutung. Allerdings lässt sich dieses Problem in der Praxis durchaus lösen, etwa durch entsprechende Angaben zum Streitwert – die dann naturgemäß, aber zu Recht auch höhere Kosten nach sich ziehen –, vor allem aber durch die Zusammenfassung von Verfahren. Gerade in diesem letzten Punkt wird aber im Zusammenhang mit den weiteren Reformüberlegungen zum kollektiven Rechtsschutz zu prüfen sein, wie schon von Gesetzes wegen mit Fällen umzugehen ist, in denen der Streitwert im rechtlichen Einzelfall klein, die wirtschaftliche Bedeutung wegen der faktischen Auswirkung auf vergleichbare Fälle aber deutlich größer ist. Auf diese Frage weist der Antrag der FDP – Drucksache 19/14038 – zwar hin, aber ohne wirklich weiterführende Lösungsansätze zu bieten. Der Antrag der Grünen – Drucksache 19/14027 – gibt demgegenüber zu diesem Problemkreis durchaus bedenkenswerte Anregungen.

Zweitens. Einen weiteren hier erwähnenswerten Schwerpunkt des Gesetzes stellen die erweiterten Vorgaben für die Spezialisierung der Land- und Oberlandesgerichte dar, § 72a Absatz 1, Nummern 5 bis 7 GVG-E und entsprechend § 119a GVG-E. Neben den Pressesachen und dem Erbrecht möchte ich naturgemäß das Insolvenzrecht hier in besonderer Weise hervorheben.

Dem Insolvenzrecht wird damit künftig dieselbe Spezialisierung zuteil, wie sie für „Handelssachen“ in Form der Kammern für Handelssachen schon seit Ewigkeiten gilt. Und das ist richtig so, weil es sich jedenfalls bei den praktisch wichtigsten Insolvenzen, nämlich den Unternehmensinsolvenzen, der Sache nach ebenfalls um Wirtschaftsrecht handelt. So sehen dies auch verschiedene ausländische Rechtsordnungen. Die Änderungen sind daher ein erster Schritt in die Richtung einer Stärkung auch des Standorts Deutschland für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten, wie dies im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung zu Recht hervorgehoben wird. Dass sie andererseits noch nicht ausreichen, wie sowohl der Grünen- Antrag – Drucksache 19/14028 – als auch der FDP-An- trag – Drucksache 19/14037 – hervorheben, ist richtig.

 Aber weitere Schritte in diese Richtung werden noch folgen.

Im Detail ist hervorzuheben, dass nach der Vorstellung der Entwurfsverfasser zu den von der neuen Spezialzuständigkeit erfassten insolvenzrechtlichen Streitigkeiten unter anderem gehören sollen: „Haftungsklagen gegen Geschäftsleiter wegen Zahlungen bei materieller Insolvenz nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und vergleichbaren Anspruchsgrundlagen wie § 92 Absatz 2, § 93 Absatz 2 Nummer 6 des Aktiengesetzes oder die §§ 130a, 177a des Handelsgesetzbuchs (HGB) sowie Klagen, mit denen nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO und vergleichbaren Anspruchsgrundlagen wie die §§ 130a, 177a HGB Haftungsansprüche wegen Insolvenzverschleppung geltend gemacht werden.“ Das überzeugt in der Sache, kann aber möglicherweise noch Abgrenzungsbedarf zur Kammer für Handelssachen schaffen.

Drittens. Dass der Entwurf schließlich – noch – keine Vorgaben zur Digitalisierung der Justiz enthält – so die Kritik der Grünen in Drucksache 19/14028 –, ist richtig. Aber seien Sie sicher: Hier werden wir in den in Vorbereitung befindlichen Gesetzgebungsverfahren noch nachlegen. Schließlich haben wir diesen Punkt nicht ohne Grund im Koalitionsvertrag gerade für das Insolvenzrecht verbindlich vereinbart. Wir haben aber bereits bei der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs gesehen, dass man sich dem Sachverhalt aufgrund seiner Komplexität in einem angemessen ausführlichen Rahmen widmen muss.

Ich freue mich auf die weitere Beratung.