Skip to main content
Saul Friedländer
(Quelle: picture alliance / AP Photo)

Die Erinnerung wachhalten

Bundestag gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus –Friedländer mahnt zu moralischer Standfestigkeit

In einer feierlichen Gedenkstunde hat der Bundestag am Donnerstag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte: „Aus der deutschen Schuld erwächst unsere Verantwortung, nicht vergessen zu dürfen.“ Der israelische Historiker und Holocaust-Überlebende Saul Friedländer – Gastredner in diesem Jahr – nannte Deutschland „eines der starken Bollwerke“ gegen Antisemitismus, Fremdenhass und Nationalismus, die überall auf der Welt in besorgniserregender Weise auf dem Vormarsch seien.

„Für die wahre Demokratie kämpfen“

Friedländer äußerte die Hoffnung, dass die Deutschen „die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum: für die wahre Demokratie zu kämpfen“. An der Feierstunde nahmen unter anderen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesratspräsident Daniel Günther teil. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahre 1945, ist seit 1996 Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und Anlass für die alljährliche Gedenkstunde des Bundestages.

Gründung Israels war lebensnotwendig

Der 1932 in Prag geborene Friedländer überlebte den Nationalsozialismus als Kind in einem katholischen Priesterseminar in Frankreich, während seine Eltern nach Auschwitz deportiert wurden. Im Juni 1948 – wenige Wochen nach der Staatsgründung wanderte er nach Israel aus. Die Schaffung dieses Staates sei für die Juden Europas lebensnotwendig gewesen, sagte er im Bundestag. Für ihn selbst bedeute Israel Heimat und ein Gefühl von Zugehörigkeit.

Existenzrecht Israels unantastbar

Bei aller Kritik an der Politik Israels sei es „eine grundlegende moralische Verpflichtung“, das Existenzrecht Israels zu verteidigen. Dies gelte vor allem in Zeiten, in denen auf Seiten der Rechten und der Linken dieses Existenzrecht in Frage gestellt werde und der Antisemitismus in traditionellem und in neuem Gewand unübersehbar zunehme, sagte Friedländer, der als Wissenschaflter die Geschichte des Nationalsozialismus erforscht hatte, insbesondere das Schicksal der europäischen Jüdinnen und Juden.

„Scham allein reicht nicht“

Schäuble nannte es beschämend, dass Juden heutzutage mit dem Gedanken spielten auszuwandern, dass sie sich in unserem Land nicht länger sicher fühlen könnten, weil sie Anfeindungen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt seien. Doch: „Scham allein reicht nicht“, mahnte der Bundestagspräsident. Neben der Härte des Gesetzes würden im Alltag „unsere Gegenwehr gegen Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung aller Art“ benötigt. Gleichwohl sei Erinnerungskultur nicht allein Sache der Zivilgesellschaft, sondern gehöre zu den staatlichen Aufgaben, sagte er unter Applaus der Abgeordneten. „Wer daran rütteln wollte, der rührt an die Grundfesten dieser Republik.“