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Ingmar Jung: "Kinder sind grundrechtsfähig"

Rede zur Änderung des Grundgesetzes - Kinderrechte

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. Auch wenn Sie glauben, dass die Kolleginnen und Kollegen tatsächlich nur wegen der Abstimmungen da sind, freue ich mich trotzdem, dass Sie für Aufmerksamkeit sorgen möchten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer Stunde Debatte ist es schwierig, hier noch etwas wirklich Neues beizutragen. Ich will gleichwohl versuchen, auf etwas einzugehen, was wir bereits gehört haben. Anknüpfend an den letzten Wortbeitrag möchte ich einmal in aller Deutlichkeit sagen: Der Eindruck, der hier in manchen Wortbeiträgen vermittelt wurde, Kinder seien nicht grundrechtsfähig und Kinder hätten keine Grundrechte, ist vollkommen falsch, und den sollte man auch so nicht stehen lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Kinder sind grundrechtsfähig. Kinder sind auch beschwerdefähig – das wurde eben kurz angesprochen –, und natürlich sind sie im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung, wie wir sie seit 70 Jahren leben, absolut geschützt und genießen besondere Rechte. Daran sollten wir auch gar keinen Zweifel lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gleichwohl haben wir uns in der Koalition vorgenommen – die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist mehrmals erwähnt worden –, zu prüfen, auf welchem Weg wir eine besondere Formulierung von Kinderrechten im Grundgesetz schaffen können. Ich mahne uns alle an, Sorgfalt zu wahren, wenn wir die Verfassung ändern. Denn manchmal ist etwas gut gemeint, aber am Ende dann nicht gut gemacht. Die Linke glaubt, die Verfassung ändern zu können, indem wir das, was sich bewährt hat und was Kinder übrigens seit 70 Jahren schützt, nämlich das Modell von Elternrechten, Kinderrechten und Familienschutz in unserer Verfassung, über den Haufen werfen. Eines kann ich Ihnen heute schon sagen – Herr Buschmann hat ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen –: Das wird mit der CDU/CSU-Fraktion auf gar keinen Fall zu machen sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch bei dem zugegebenermaßen wesentlich abgewogeneren Vorschlag der Grünen muss man doch schon genau hinschauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem neuen Artikel 6 Absatz 4a formulieren Sie ein Spezialgrundrecht. Das klingt im ersten Moment gut. Aber was passiert am Ende im Hinblick auf Auslegung und Rechtsprechung, wenn Sie ein Spezialgrundrecht herausgreifen, dieses gewähren und andere nicht? Mit einer solchen Spezialregelung schränken Sie möglicherweise an anderer Stelle sogar Kinderrechte ein. Das müssen wir uns genau anschauen. Deswegen sind wir gut beraten, den Vorschlag der Expertenkommission abzuwarten und dann gemeinsam mit aller Sorgfalt zu diskutieren und hier nicht vorschnell Formulierungsvorschläge für die Änderung unserer Verfassung zu machen.

Eines muss aber auch klar sein – das ist für uns selbstverständlich –: Kinderrechte sind immer dann besonders gewährt, wenn wir starke Familien haben und wenn wir nicht anfangen, wie es einige hier getan haben, Elternrechte und Kinderrechte gegeneinander auszuspielen. Das sind zwei Seiten derselben Medaille, meine Damen und Herren. Kinder sind immer dann stark, wenn die Eltern und die Familien stark sind. Darauf werden wir bei der Grundgesetzänderung am Ende auch achten. Das kann ich Ihnen heute schon versprechen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich doch noch eines sagen, da 30 Jahre Kinderrechtskonvention mehrmals angesprochen wurden: Die Kinderrechte sind in Deutschland gesetzlich umgesetzt. Praktisch für Kinder tun wir doch etwas durch Gesetze, durch tatsächliche und durch praktische Politik und nicht durch Grundgesetzänderungen. Ja, als ein gewisses Symbol ist es richtig; das haben wir jetzt mehrmals gehört. Aber schauen Sie sich doch an, was wir tun: Wir haben über das Kindergeld gesprochen. Da haben wir etwas verändert. Wir haben das Elterngeld verändert. Wir haben in den letzten Jahren den Kitaausbau vorangebracht. Wir haben jetzt einen Digitalpakt. All das sind bildungs- und familienpolitische Punkte, die Kindern doch unmittelbar nutzen. Wir reden jetzt darüber, dass wir die Strafbarkeit für das Cybergrooming ausweiten und dass wir tatsächliche Angriffspunkte haben. Das sind doch Dinge, die Kinder jeden Tag schützen, meine Damen und Herren. Dafür brauchen wir keine Grundgesetzänderung. Sie mag am Ende für ein klares Signal sorgen. Aber den Schutz von Kindern schaffen wir durch tatsächliche, pragmatische Politik, jeden Tag, und nicht durch Symboldebatten, meine Damen und Herren.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sie haben doch den Koalitionsvertrag unterschrieben, oder?)

– Wir haben den Koalitionsvertrag selbstverständlich unterschrieben. Sie haben offenbar, Herr Müller, meiner Rede bisher nicht zugehört. Das ist das Problem: dass diese Debatte von den Seiten rechts und links dieses Parlaments missbraucht wird, um hier Gerüchte zu streuen.

(Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

– Ja, Sie haben uns eben vorgeworfen, wir würden die Kinder als Eigentum der Eltern betrachten.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das war die AfD!)

Das ist Ihr Verständnis von Familie. Das ist nicht unser Verständnis, meine Damen und Herren, und deswegen machen wir auch eine andere Politik als Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich rufe uns alle auf, dieses Thema mit etwas mehr Ruhe und etwas mehr Sorgfalt anzugehen. Gerade wenn es um unsere Verfassung geht, sind Schnellschüsse immer falsch. Deshalb lassen Sie uns abwarten, was die Expertenkommission und was die Bund-Länder-Arbeitsgruppe uns vorschlagen. Lassen Sie uns dann in einem abgewogenen Prozess gemeinsam entscheiden, welcher Weg der richtige ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)