Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Krankenversicherung – staatliche Leistungen bieten Sicherheit in individuellen Notlagen. Sie sollen aber nur denen zugutekommen, die sie tatsächlich benötigen. Nehmen Betrugs- oder Missbrauchsfälle überhand, gerät der Sozialstaat ins Wanken. Wie solche Fälle leichter identifiziert, verhindert oder geahndet werden können, darüber diskutierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden Carsten Linnemann mit Experten aus der Politik, der Wissenschaft und der Verwaltung.
Von einer Frage der Gerechtigkeit sprach der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Hoffmann. Wenn die Bürgerinnen und Bürger begännen, an der Gerechtigkeit eines Systems zu zweifeln, dann sei nicht nur die Akzeptanz des Sozialstaates in Gefahr, sondern auch die Demokratie als solche. Deshalb müsse man gewährleisten, dass mit den staatlichen Leistungen „effizient und sicher“ diejenigen erreicht werden, die auf die Hilfe tatsächlich angewiesen sind.
Sozialmissbrauch als Geschäftsmodell der organisierten Kriminalität
Wie Sozialbetrug ausufert, ja sogar zu einem Geschäftsmodell der organisierten Kriminalität wird, schilderte der Oberbürgermeister von Hagen, Dennis Rehbein, anschaulich. In seiner Stadt, in der 197.000 Menschen aus 149 Nationen leben, gehe das Problem vor allem von der relativ kleinen Zahl von EU-Bürgern aus Südosteuropa aus, die unter dem Deckmantel der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland lebten oder vielmehr von kriminellen Banden nach Deutschland geschleust würden. Gering qualifiziert und ohne Sprachkenntnisse würden sie in Scheinarbeitsverhältnisse gesteckt, um als Aufstocker vollen Zugriff auf Sozialleistungen zu haben. Gemeldet würden sie in Schrottimmobilien, dort anzutreffen seien sie aber so gut wie nie.
Angesichts der Unsummen, die dieser Sozialleistungsbetrug seine Stadt kostet, forderte Rehbein vom Gesetzgeber dringend Abhilfe, vor allem die Möglichkeit zum Datenabgleich zwischen den unterschiedlichen Behörden – vom Einwohnermeldeamt über das Jobcenter bis zur Ausländerbehörde. Der Forderung nach einem automatisierten Datenaustausch schlossen sich die CSU-Bundestagsabgeordnete Hülya Düber und Irene Vorholz, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Landkreistages, an.
Rechtsvereinfachungen nötig
Vanessa Ahuja, Vorständin Leistungen und Internationales der Bundesagentur für Arbeit, wies darauf hin, dass sich der Sozialmissbrauch in vielen Fällen schon mit geltenden Gesetzen bekämpfen lasse. Wichtig seien aber Rechtsvereinfachungen, damit die Beamten vor Ort genau verstünden, welche Möglichkeiten sie an der Hand hätten und welche nicht. Auch die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, sagte, es brauche einfachere Gesetze, die für die Verwaltung leichter anwendbar seien.
Mit Blick auf das besondere Problemfeld Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union hängt vieles von EU-Recht ab. Der Göttinger Professor Frank Schorkopf empfahl in schwer einschätzbaren Fällen, das Europarecht „mutig“ auszulegen und gegebenenfalls eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu riskieren. Es habe sich häufig gezeigt, dass der EuGH durchaus im Sinne des Mitgliedstaates entscheide. So habe der Gerichtshof das Problem der Scheinarbeitsverträge bereits erkannt und fordere eine „echte Tätigkeit“ als Voraussetzung für Sozialleistungsbezug.