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Volker Kauder: Wir wollen ein Europa ohne Binnengrenzen

Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat in Brüssel und zum NATO-Gipfel in Brüssel

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dieser Gipfel, der heute und morgen in Europa stattfindet, findet in einer angestrengten Situation und in einer aufgewühlten Welt statt. Wenn wir die neuen Nachrichten vom amerikanischen Präsidenten hören – alles natürlich über Twitter – nach dem Motto „Handelskriege sind gut, weil man kann sie gewinnen“, dann kann ich nur sagen: So wird die Welt nicht besser, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Wir haben nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg gelernt, dass Deutschland nie mehr allein in Europa stehen kann. Wir haben daraus die Lehren gezogen, dass wir ein Europa aufbauen wollen in der festen Gewissheit: nie wieder Krieg aus Europa, nie wieder Krieg in Europa,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

eine gute Zukunft vor allem für die heranwachsende junge Generation, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Theurer [FDP])

Wenn ich in der Zeit zurückblicke als jemand, der zur ersten Nachkriegsgeneration nach dem Zweiten Weltkrieg gehört, habe ich manchmal den Eindruck, dass diejenigen, die jetzt besonders Europa kritisieren, gar nicht verstanden haben, was für eine große Kraftanstrengung notwendig war, um diese Einheit und die Friedensvoraussetzung in Europa zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Theurer [FDP])

Sie zerstören etwas,

(Fabian Jacobi [AfD]: Sie zerstören!)

was auch für sie wichtig ist, nämlich Frieden in unserer Region zu halten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Europa ist die große Friedensgarantie, aber auch die Wohlstandsgarantie. Natürlich haben wir in Europa noch eine Menge Aufgaben vor uns, weil wir auch innerhalb der Euro-Zone nicht alle auf dem gleichen Stand sind. Natürlich ist es richtig, Frau Bundeskanzlerin, dass man sich darum bemüht, dass wir in Europa möglichst alle auf einen entsprechenden Stand kommen. Aber da würde ich mir dann wünschen, dass die Regeln, die wir uns gegeben haben, um dieses Ziel zu erreichen, von allen in gleichem Umfang ernst genommen werden. Nur wenn wir uns an die Regeln halten, die wir uns in Europa gegeben haben, werden wir auf einen guten Weg kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Klar ist auch – das habe ich schon einige Male an diesem Rednerpult gesagt –: Europa muss die Aufgaben, die von Europa verlangt werden und die nur von Europa gelöst werden können, auch erfüllen. Natürlich weiß ich, dass bestimmte Dinge Zeit brauchen, aber: Die Sicherung der Außengrenzen muss ernsthaft angegangen werden. Frontex muss gestärkt werden. Dafür sind wir bereit zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.

(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Wer glaubt Ihnen denn? Niemand!)

Ich hoffe, dass die Botschaft jetzt ankommt: Wir wollen ein Europa ohne Binnengrenzen. Aber dann brauchen wir ein Europa mit geschützten Außengrenzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ihr regiert doch! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das hören wir seit Jahren!)

– Dass Sie dazu keinen Beitrag leisten, ist überhaupt nichts Neues. Deswegen brauchen Sie sich auch gar nicht aufzuregen.

(Widerspruch bei der AfD – Fabian Jacobi [AfD]: Unverschämtheit!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Aufgaben, die Europa leisten muss, gehört auch, dass wir eine gemeinsame Außenpolitik gestalten. Die Herausforderungen in der Welt sind groß. Da kann es nicht sein, dass wir in Europa nicht mit einer Stimme sprechen. Mit dem Sitz im Weltsicherheitsrat, den Deutschland jetzt hat, besteht nun die Möglichkeit, Europa zusammenzubinden und diejenigen, die einen dauerhaften Sitz haben, zu einer gemeinsamen Handlungsoption zu bringen. Lieber Herr Lindner, wir sind nicht handlungsunfähig, aber es wäre schon eine schöne Botschaft, wenn in den nächsten zwei Jahren im Sicherheitsrat die Vertreter aus Europa mit einer europäischen Stimme sprechen und entsprechend agieren würden. Das würde uns stärken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wenn wir uns die Situation in Deutschland anschauen, muss man wirklich sagen: Wir stehen gut da, was nicht heißt, dass wir nicht noch das eine oder andere Problem zu lösen haben. Eines will ich deutlich machen, weil da ein bisschen Kritik aufkam über die Diskussionen, die wir in der Union führen:

(Christian Lindner [FDP]: Bisschen Kritik über Diskussionen? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!)

Ich erinnere mich sehr genau an die Diskussionen, die Sie in der FDP auch schon geführt haben. Da würde ich mal nicht mit Steinen auf andere werfen,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da hat er doch darauf hingewiesen! – Christian Lindner [FDP]: Und zu was hat es geführt?)

sondern in die eigenen Reihen schauen, Herr Lindner.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst bei der AfD kenne ich das nicht anders, dass es auch mal Diskussionen in der Parteifamilie gibt,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei der AfD in jedem Landesverband!)

aber eins will ich klar sagen: Wir haben als Koalition trotzdem unsere Aufgaben gemacht. Ich erinnere an die Beschlüsse im Rahmen des Baupakets: das Baukindergeld, die Städtebauförderung, den sozialen Wohnungsbau. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unsere Arbeit machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Mit dem Scheckbuch!)

– Herr Buschmann, ich kann schon verstehen, dass es manchmal bitter ist, wenn man den Satz hört und man hätte selbst bei der Lösung dieser Probleme dabei sein können; aber das ist nicht mein Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Lindner [FDP]: Da wollen wir nicht dabei sein!)

Wenn ich die Situation in unserem Land anschaue: Wir wissen ganz genau, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Ich denke an die Situation in unserer Automobilindustrie.

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Die Sie zu verantworten haben!)

Wenn die Amerikaner auf unsere Automobile Zölle erheben wollen, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen in unserem Land. In einer solchen Situation ist es doch nur gut, wenn wir Freunde haben.

(Jürgen Braun [AfD]: Interessen!)

Deswegen finde ich es richtig, dass Deutschland und Frankreich versuchen, ganz eng beieinander zu bleiben, und sich gerade in dieser Situation auch unterstützen. Wir sind auf die Hilfe in Europa angewiesen. Deutschland allein wird es in der Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten nicht schaffen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist dieser Gipfel, von dem auch ein Signal der Zusammenarbeit ausgeht, von großer Bedeutung.

Ja, wir wissen alle, dass Europa nicht bedeutet, dass nun alles in Europa gelöst werden muss. Wir haben auch unsere nationalen Aufgaben. Aber zu glauben, dass allein im nationalen Bereich – diese Töne, die aus einer bestimmten Richtung kommen, halte ich für gefährlich – alles gelöst werden kann, hat uns schon einmal in Deutschland in die Irre geführt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollten wir nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen besteht die gesunde Mischung aus dem, was in Europa gemacht werden muss – da muss Europa streckenweise schneller werden; das meine ich auch –, und dem, was in unserem Land in nationaler Verantwortung gemacht werden kann.

(Martin Hebner [AfD]: Tun Sie doch was!)

Ich finde, da haben wir eine richtige Mischung im Koalitionsvertrag formuliert, und daher können wir auch selbstbewusst sagen: Ja, ein neuer Aufbruch für Europa, ein neuer Aufbruch in unserem Land. Wir werden diesem Land mit einer Regierung das zur Verfügung stellen, was notwendig ist für eine gute Zukunft.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)